Himmelklar – Der katholische Podcast

Anselm Grün: Suche nach neuer Form und Sprache für die Kirche

Veröffentlicht am 02.09.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Die Corona-Pandemie hat die Pläne und Lebensentwürfe vieler Menschen durcheinandergewirbelt. In dieser Zeit sucht der Benediktinerpater Anselm Grün nach neuen Wegen für die Kirche, auch Fernstehende anzusprechen – und zu berühren.

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Anselm Grün ist Benediktinerpater und lebt in der Abtei Münsterschwarzach. Er ist Verfasser unzähliger spiritueller Bücher, hält Vorträge und äußert sich zu den unterschiedlichsten Themen. Die Corona-Zeit ist auch für ihn eine ganz besondere Herausforderung, erzählt er im Interview.

Frage: Es ist in dieser Zeit, wo wir von der Corona-Pandemie geprägt sind, vieles ausgefallen und nicht jeder kann so arbeiten wie er muss, aber auch Freizeitveranstaltungen fallen natürlich aus. Wie ist die Zeit für Sie gewesen? Ist es eher ruhiger oder aufgewühlter gewesen?

Grün: Es war mehr eine ruhige Zeit. Ich habe ja keine Vorträge halten können und bin nicht so viel in der Gegend herumgefahren. Auf der anderen Seite gab es mehr Interviews per Skype und per Telefon, aber da bin ich ja im Kloster. Insofern ist das nicht so aufregend.

Frage: In Ihrem Kloster leben etwa 80 Mönche, die alle auch schon älter sind. Ich würde sagen, dass die meisten zur Risikogruppe zählen. Wie gehen Sie da mit den Corona-Vorsichtsmaßnahmen um und wie gestaltet sich Ihr Klosteralltag inzwischen?

Grün: Wir haben mehr Abstand, zum Beispiel beim Chorgebet. Dort besetzen wir nur jeden zweiten Platz. Beim Essen gibt es auch mehr Abstand, aber ansonsten nehmen wir das ziemlich gelassen. Wir sind ja eine Hausgemeinschaft. Natürlich achten wir bei den Kontakten nach außen auf Abstand und Hygiene. Es wäre schlimm, wenn das Virus ins Kloster kommen würde. Viele ältere Mitbrüder sind aber eher gelassen. Ein Mitbruder, der 88 Jahre alt ist, sagt: "Wenn ich an Corona sterbe, ist das auch nicht schlimm. Irgendwann muss ich sowieso sterben."

Frage: Ist das die Haltung, die Sie auch einnehmen? Treten Sie dem Ganzen gelassen entgegen, weil wir alle irgendwann sowieso sterben müssen, oder sind Sie eher verunsichert und haben Angst vor einer Ansteckung? Ihre Krebserkrankung spielt da sicherlich auch eine Rolle, oder?

Grün: Für mich selber ist es keine Angst, aber ich weiß, wenn der Virus in den Konvent kommen würde, das wäre schlimm. Deswegen achte ich darauf, dass ich mich schütze, dass ich Abstand halte, aber ich bin nicht ängstlich. Ich hoffe darauf, dass ich unter dem Segen Gottes stehe und wenn es kommen soll, dann kommt es eben. Irgendwann müssen wir alle sterben und ich muss mich mit 75 sowieso mit dem Tod beschäftigen. Ich habe keine Angst, sondern verstehe die momentane Situation eher als Einladung, bewusst zu leben.

„Nehmen Sie die Zeit, die Ihnen noch bleibt, als wertvolle Zeit und sagen Sie Ihren Angehörigen, was Sie ihnen noch sagen möchten, was Sie sich vielleicht nie getraut haben, ihnen zu sagen. Versuchen Sie dankbar auf Ihr Leben zu schauen und natürlich zu hoffen. Denn man soll ja immer noch auf Heilung hoffen können“

—  Zitat: Anselm Grün

Frage: Was sagen Sie Menschen, die jetzt infiziert sind und mit dem baldigen Tod konfrontiert sind?

Grün: Diesen Menschen würde ich sagen: "Nehmen Sie die Zeit, die Ihnen noch bleibt, als wertvolle Zeit und sagen Sie Ihren Angehörigen, was Sie ihnen noch sagen möchten, was Sie sich vielleicht nie getraut haben, ihnen zu sagen. Versuchen Sie dankbar auf Ihr Leben zu schauen und natürlich zu hoffen. Denn man soll ja immer noch auf Heilung hoffen können."

Frage: Wir haben uns in der letzten Zeit viele Gedanken gemacht, auch über die Hoffnung auf Heilung. Dennoch müssen wir diese Ungewissheit auch aushalten, oder? Wir wissen nicht, wie es in Zukunft weitergehen wird.

Grün: Ja, das Aushalten ist für manche Menschen schwierig. Für mich ist es schwierig, weil ich nichts planen kann, auch nicht das nächste Jahr. Diese Unsicherheit ist eine Herausforderung. Wir müssen einfach im Augenblick leben und können keine riesigen Pläne machen. Am besten einfach das tun, was im Augenblick gerade sinnvoll und wichtig ist.

Frage: Nach Ihrer Krebserkrankung konnten Sie auch nicht so richtig planen. Da haben Sie gesagt: "Solange ich atme, hoffe ich." Auch da haben Sie wochenlang Veranstaltungen, Reisen und Vorträge absagen müssen. Ist die aktuelle Krisensituation mit der damals vergleichbar?

Grün: Nein, damals war es ganz persönlich. Ich wusste nicht, wie die Krebserkrankung sich entwickelt und wie lange ich noch leben kann. Jetzt bin ich da zuversichtlich, denn es ist keine persönliche Herausforderung, sondern mehr die Unsicherheit, mit anderen Menschen zusammen zu planen. Vorher war es nur meine eigene Zukunft, jetzt ist es die Zukunft der Gemeinschaft, die Zukunft des Gästehauses, der Kurse usw.

Frage: Es gibt ja eine Diskrepanz zwischen denjenigen, die in der aktuellen Situation eine Chance sehen und denjenigen, die tatsächlich darunter leiden, weil sie ihren Job oder einen geliebten Menschen verloren haben. Wie kommt man aus dieser Zwickmühle wieder heraus?

Grün: Das Leid müssen wir uns anschauen und ernst nehmen. Die wirtschaftlichen Probleme sind wirklich für viele sehr existenziell. Einen lieben Menschen zu verlieren, tut immer weh, diese Trauer kann man nicht überspringen. Aber was gibt in der Trauer Trost? Trost gibt, was die Bibel sagt, was die christliche Botschaft sagt: "Die Liebe ist stärker als der Tod. Durch den Tod hört die Liebe nicht auf, sondern wird auf eine andere Ebene gehoben und gewandelt."

Frage: Und dann guckt man hoffnungsvoll nach vorne. In Büchern und Vorträgen haben Sie ja Millionen Menschen Mut zugesprochen, nicht nur jetzt in der Corona-Pandemie. Natürlich ist das jetzt besonders gefragt und man freut sich, wenn man da Ihre Impulse mitnehmen kann. Wenn Sie mal jemanden brauchen – von wem lassen Sie sich Mut zusprechen oder wen können Sie um Rat fragen?

Grün: Meine Mitbrüder. Es gibt ein paar Mitbrüder, mit denen ich gerne spreche. Viele erwarten von mir, dass ich stark bin nach außen. Mit meinen Mitbrüdern kann ich meine eigenen Unsicherheiten und Ängste besprechen. Ich erwarte bei den Gesprächen keine Lösung, aber das gemeinsame Hoffnung Finden ist für mich ein ganz wichtiger Weg, mit dieser Krise umzugehen.

„Ich kann mich nur selbst aushalten, wenn ich mich nicht bewerte, sondern von Gott angenommen fühle.“

—  Zitat: Anselm Grün

Frage: Jetzt gibt es für Ihre Mitbrüder und die Menschen, die Sie ansprechen, Ihre persönlichen Impulse per Video im Internet. Es gibt keine Allround-Lösung für alle, also keine generelle Hilfe für jeden, wie man mit der Situation umgehen kann. Was raten Sie den Menschen also, die sich in dieser Krisenzeit an Sie wenden?

Grün: Man soll sich selbst aushalten und selbst kennenlernen. Ich kann mich nur selbst aushalten, wenn ich mich nicht bewerte, sondern von Gott angenommen fühle. Man sollte dem Ganzen einen Sinn geben und sich nicht nur als Opfer fühlen, sondern sich überlegen, wie man diese Krisensituation aktiv gestalten kann. Was könnte ich jetzt tun? Wenn ich nicht mehr so viel reise, kann ich lesen, meditieren und Gespräche führen. Wir sollten kreativ auf die Krise reagieren und nicht passiv.

Frage: Was machen Sie denn stattdessen?

Grün: Ich lese mehr und habe jetzt mehr Zeit zum Schreiben. Das macht mir Spaß und ich kann neue Themen entwickeln, mir Zeit lassen, nicht unter Druck schreiben, sondern einfach schauen, wo ich Anregungen für neue Ideen finden kann.

Frage: Wollen Sie verraten, was gerade Ihr aktuelles Thema ist?

Grün: Ein Thema, das durch die Corona-Krise auch ausgelöst wird, ist für mich: Wie können wir den Glauben auch ohne Kirche, also ohne Gottesdienste in der Kirche, im persönlichen Leben ausdrücken? Wie können wir gemeinsame Formen finden in der Familie, in Freundeskreisen für das Thema Hauskirche? Wie können wir eine neue Form und eine neue Sprache finden? Ich kenne viele Menschen, die um die 40 sind und sich von der Kirche abgewandt haben, die aber trotzdem suchend sind. Und da ist für mich die größte Herausforderung, eine Sprache und eine Form zu finden, um den Glauben auszudrücken, um die Sehnsucht dieser Menschen anzusprechen.

Frage: Glauben Sie, dass das die Zukunft der Christen und der katholischen Kirche ist? Können Sie sich vorstellen, dass sich das schon in den kommenden Jahren dahin entwickelt?

Grün: Ich denke, es ist wichtig, dass wir gemeinsame Gottesdienste feiern und diese als Höhepunkt feiern, der die Menschen berührt. Aber ich denke schon, dass es eine große Herausforderung für die Kirche ist, eine Sprache und Formen zu finden, die Menschen berühren. Ich persönlich glaube, dass jeder Mensch, auch der kirchenferne, eine innere Sehnsucht hat nach Gott, nach Heilung, nach spiritueller Erfahrung. Aber wie kann ich diese Sehnsucht ansprechen? Ich kann sie nur ansprechen, wenn ich daran glaube und wenn ich gut hinhöre auf die Menschen und weiß, was sie wirklich berührt.

Frage: Und was berührt die Menschen wirklich? Ich denke, Sie haben viele Gespräche geführt. Es gibt unzählige Menschen, die sich an Sie wenden und bei Ihnen diesen Halt suchen. Was berührt denn die Menschen jetzt und wieso wird das gerade durch so eine Krise ausgelöst?

Grün: Die Menschen fragen sich: Wie finde ich einen Sinn in meinem Leben? Was gibt mir Halt? Ein großes Thema sind natürlich auch immer die Beziehungen. Wie kann ich Beziehungen so leben, dass sie gelingen? Das klingt mehr nach einem psychologischen Thema, ist aber für mich auch ein spirituelles Thema, denn wir erwarten oft zu viel von Beziehungen. Wenn wir uns von Gott getragen fühlen, dann können wir uns gelassener auf die Beziehungen einlassen, ohne uns ständig zu überfordern.

Frage: Ein Ankerpunkt ist natürlich auch, dass man auf das, an was man glaubt, und auf seine Erfahrungen setzt. Wo ist da Ihr persönlicher Ankerpunkt? Wir fragen hier jeden unserer Gesprächspartner: Was gibt Ihnen Hoffnung in dieser Zeit?

Grün: Mir gibt Hoffnung, dass die Welt nicht nur in der Hand des Virus ist oder nicht nur in der Hand der Politiker, sondern in der Hand Gottes. Auch wenn vieles außen herum unsicher ist, habe ich in Gott einen Grund, der nicht zerbröckelt und nicht zerstört werden kann. Das ist für mich die Hoffnung. Und die Hoffnung, dass der Geist Gottes auch durch die Krise an den Menschen wirkt und neue Möglichkeiten, neue Nachdenklichkeiten und neue Sehnsucht in den Menschen entfacht. So ist ein neues Miteinander in Verantwortung möglich. Durch die Krise spüren wir, dass wir einander anstecken können – im negativen und im positiven Sinne. Für mich ist die Hoffnung, dass die Menschen aufwachen und die anderen mit Barmherzigkeit, mit Liebe und mit Zuversicht anstecken.

Von Katharina Geiger

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