Glaube und Wahrheit: Wenn Behauptungen Triumphe feiern
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Das einzig Beständige sei der Wandel, so heißt es, ein paar Dinge jedoch bleiben: Da sind die großen Fragen des Lebens, die viele Menschen umtreiben und die immer mehr Wahrheitsverkünder für sich reklamieren.
So ist es und nicht anders, solche Behauptungen kommen gern aus der esoterischen Szene, die gerade jetzt in der Corona-Pandemie mit seltsamen Deutungen auffällt. Man erkranke nur an Covid-19, wenn "der Gesamtorganismus dies auch wolle, etwa wegen einer karmischen Schuld", so ein beliebtes Postulat. Erstaunlich, wie viele Menschen derartige Parolen unreflektiert übernehmen. Schon lange vor der Pandemie verbreiteten sich seltsame Behauptungen schneller als ein Virus: Dass "falsche Glaubenssätze" den Menschen an seiner Selbstverwirklichung hindern, dass Heilung nur auf geistiger Ebene gelingt, dass der Mensch sich von Licht ernähren kann, so und ähnlich geht der Tenor.
Behauptungen können gefährliche Folgen haben
Beinahe jeder, der sich heute Coach, Yogalehrer, Heilpraktiker und Wünschelrutengänger nennt, bedient sich in einem spirituellen Bauchladen, in dem sich Versatzstücke aus Weltreligionen und philosophischen und psychologischen Strömungen versammelt haben und leitet daraus seine "höhere Erkenntnis" ab.
Das ist das gute Recht dieser Menschen. Es geht mir nicht darum, sie und ihre Berufe zu verunglimpfen, ihre Verlautbarungen enthalten selbstverständlich auch Wahrheiten, und viele Suchende erhoffen sich durch sie Transformation, Heilung und Wiederverzauberung.
Ich selbst bin in einer Phase meines Lebens solchen Behauptungen aufgesessen, dann aber eines Besseren belehrt worden. Besser heißt in diesem Fall, dass ich irgendwann erkennen durfte, dass die unerklärlichen Phänomene der Welt, an denen sich die Wissenschaften abarbeiten, dass sie unerklärlich bleiben, und nicht, wie die Esoteriker behaupten, durch sie beherrschbar seien. Das jedenfalls entnimmt man den aus ihren Erkenntnissen abgeleiteten Behauptungen, die ganz lässig die großen, die ewig ungelösten Fragen zu beantworten scheinen. Das kann gefährliche Folgen haben, wie man an den Covid-19-Interpreten sieht.
Dass seit Jahrtausenden Denker und Denkerinnen den Geheimnissen des Lebens und des Sterbens fragend nachspüren – woher kommt alles Leben, was ist nach dem Tod, was mit Gott – und dass die meisten irgendwann in der Erkenntnis landen: "Ich weiß, dass ich nichts weiß" und ihre Sucharbeit fortan einem gewissen Demutsgedanken unterordnen, diese Tatsache ist für die meisten Anhänger von sogenannten Geheimlehren ohne Bedeutung. Beweise ihrer Behauptungen bleiben sie schuldig, einfach, weil diese Beweise niemand abfragt.
In der Kirche geht es mehr um Glauben als um Behauptungen
Jeder Behauptung wohnt ein Wahrheitsanspruch inne, das gilt auch für die Kirche: In ihr stehen Dogmen für unumstößliche Lehrsätze, die unter Berufung auf eine göttliche Offenbarung, die kirchliche Autorität bzw. das kirchliche Lehramt als wahr und relevant gelten. Auch das führt immer wieder zu Gegenreaktionen, ist aber doch etwas anderes als eine aus der Luft gegriffene Behauptung.
In der kirchlichen Lehre, die sich durch das Alte und das Neue Testament, durch die Worte Jesu, die Apostelgeschichte und die Kirchenväter erklärt, geht es mehr um "Glauben" als um Behauptungen. Das christliche Glaubensbekenntnis spricht hier eine deutliche Sprache und lässt ganz klar auch andere Weltdeutungen zu. Denn: Man kann nur innerhalb einer konkreten Perspektive deuten und urteilen. Das macht die Behauptung einer absoluten Wahrheit unmöglich.
Die Autorin
Brigitte Haertel ist Redaktionsleiterin von "theo – Das Katholische Magazin".Hinweis: Der Artikel erschien zuerst im "theo"-Magazin.