Was eine Enzyklika von anderen Papstschreiben unterscheidet
"Fratelli tutti" soll sie also heißen, die neue Enzyklika, die Papst Franziskus heute, am 3. Oktober, in Assisi unterzeichnet. Es ist gerade einmal das dritte Rundschreiben dieser Art in seinem gesamten Pontifikat, wobei die erste Enzyklika, "Lumen fidei", noch größtenteils von Benedikt XVI. verantwortet wurde. Dass es nun eine neue Enzyklika geben wird, die sich Medienberichten zufolge unter anderem mit den Themen Bewahrung der Schöpfung, Frieden und der Welt nach der Covid-Pandemie auseinandersetzt, kam nicht unbedingt überraschend. Schon längere Zeit wurde spekuliert, dass ein neues Rundschreiben in Arbeit sei, wobei sich die genaue inhaltliche Ausrichtung aufgrund der derzeitigen Lage natürlich noch einmal völlig verlagert hat.
Das Thema "Enzyklika" jedenfalls ist wieder in aller Munde. Doch was versteht man eigentlich unter einer Enzyklika? Was unterscheidet sie von anderen päpstlichen Äußerungen? Und welche bekannten und häufig rezipierten Enzykliken hat es in der Geschichte bereits gegeben?
Etwas, das im Kreis herumgeht
Am besten fängt man mit der Bezeichnung an, die für viele schon ein unaussprechliches Hindernis darstellt: Enzyklika. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und meint eigentlich etwas, das im Kreis herumgeht. Im Deutschen verwendet man zum Beispiel noch das Fremdwort "Zyklus", um etwas zu bezeichnen, das sich in einem bestimmten zeitlichen Abstand wiederholt. Zyklus und Enzyklika weisen damit auf ein und dasselbe hin: Es geht nicht um ein lineares Fortschreiten oder Vorwärtskommen, sondern um eine Kreisbewegung. Damit lässt sich auch relativ einfach ableiten, was der Zweck einer Enzyklika ist: Eine bestimmte Botschaft soll um den Erdkreis herumlaufen, soll also zu allen Menschen auf dieser Erde gelangen. Die Enzyklika ist damit kein Brief, der gewissermaßen linear zu einem einzigen bestimmten Adressaten gesandt wird, sondern ein Schreiben, von dem alle Menschen Kenntnis erhalten sollen.
Der Inhalt der päpstlichen Enzykliken widmet sich daher meistens auch Themen, welche die ganze Kirche betreffen und alle Menschen angehen. Erinnert sei an die drei Enzykliken Benedikts XVI. über Glaube, Hoffnung und Liebe oder an die Enzyklika von Franziskus "Laudato si", in der sich der Papst mit der Verpflichtung des Menschen zum Schutz der Umwelt widmet. In den vergangenen Pontifikaten haben sich die Enzykliken sehr häufig mit solchen allgemeinen Themen auseinandergesetzt, die grundsätzlich für "alle Menschen guten Willens" offenstehen. Damit unterscheiden sie sich auch von früheren päpstlichen Rundschreiben, in denen oftmals katholische "Spezialthemen", wie das Priestertum, die Eucharistie oder der Rosenkranz Thema waren.
Häufig wurden solche Enzykliken auch genutzt, um mit ihnen bestimmte Positionen oder Lehrmeinungen zu bekämpfen. Hierbei wären zum Beispiel die Enzyklika "Vehementer nos" von Pius X. zu nennen, in welcher er den Laizismus in Frankreich verurteilt, oder "Humani generis" von Pius XII., die sich gegen den Modernismus und die Nouvelle theologie wendet. Somit lässt sich grundsätzlich festhalten, dass sich der Ton der Enzykliken in den letzten Pontifikaten sehr stark gewandelt hat: Vom Fokus auf die katholische Kirche weitet zuletzt auch Papst Franziskus den Blick auf alle Menschen, die den Erdkreis bewohnen, und spricht sie in ihrer Verantwortung für die Schöpfung und für ein solidarisches Miteinander an. Eine Fortsetzung desselben wird ja auch für die bevorstehende Enzyklika "Fratelli tutti" erwartet. Damit werden die Rundschreiben ihrem Namen erst wirklich gerecht: Waren sie bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch ausschließlich an die "ehrwürdigen Brüder" gerichtet, sind die letzten Enzykliken ausdrücklich an "alle Christgläubigen" gerichtet. Johannes XXIII. sprach in seiner Enzyklika "Pacem in terris" gar "alle Menschen guten Willens" an, da das Thema Frieden längst nicht nur die Christgläubigen betrifft. Möglich, dass auch Franziskus in seiner neuen Enzyklika diese Adresse übernimmt.
Die ersten lateinischen Worte
Die ersten Enzykliken wurden von Papst Benedikt XIV. verfasst, dessen Pontifikat von 1740 bis 1758 andauerte. Bereits im ersten Jahr nach seiner Wahl auf den Stuhl Petri verfasste Benedikt XIV. das Schreiben "Ubi primum", in dem er über die Pflichten der Bischöfe und ihre Amtsführung nachdachte. Da die Gedanken des Papstes allen Bischöfen der Kirche zugesandt wurden, sprach der Pontifex auch erstmals die gesamte Kirche an. Die Tradition der Enzykliken war damit begründet; Benedikt XIV. machte von ihr gleich zwölf Mal Gebrauch.
Der Titel einer Enzyklika richtet sich, wie auch bei anderen päpstlichen Schreiben, stets nach den ersten lateinischen Worten des Textes. Diese sind daher auch von besonderer Bedeutung, da sie in sehr komprimierter Form bereits auf den Inhalt des Textes aufmerksam machen. In "Fratelli tutti" wird es beispielsweise wohl um Geschwisterlichkeit und Solidarität gehen; "Deus caritas est" – die Antrittsenzyklika von Benedikt XVI. – widmete sich dem Thema Liebe und "Fides et ratio" von Johannes Paul II. aus dem Jahr 1998 beschäftigte sich mit der Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft. Eine Ausnahme bildet dabei übrigens eine Enzyklika von Pius XI.: Das päpstliche Rundschreiben gegen den Nationalsozialismus ist mit den Worten "Mit brennender Sorge" überschrieben. Da sich der Papst hierbei besonders an die Katholiken im deutschen Sprachgebiet wandte, war die Enzyklika nicht wie sonst üblich in lateinischer Sprache, sondern auf Deutsch verfasst. Daher wird auch ihr Titel nicht wie sonst lateinisch zitiert.
Eine besondere Stellung unter den Rundschreiben der Päpste nimmt die erste Enzyklika ein, die von einem neuen Pontifex veröffentlicht wird. Als "Antrittsenzyklika" steht sie immer ein bisschen im Ruf, etwas vom Regierungsprogramm des neuen Papstes durchblicken zu lassen oder zumindest ein Thema anzuschlagen, das dem neugewählten Bischof von Rom besonders am Herzen liegt. Johannes XXIII. kündigte in seiner ersten Enzyklika "Ad Petri cathedram" das Zweite Vatikanische Konzil an, Papst Paul VI. sprach sich in "Ecclesiam suam" besonders für den Dialog mit allen Menschen aus und Johannes Paul II. richtet in "Redemptor Hominis" den Blick auf Christus, den Erlöser aller Menschen, und betont nachdrücklich die Bedeutung die Menschenrechte und die Würde des Menschen. Ein bisschen Erstaunen hat es hingegen hervorgerufen, dass sich Benedikt XVI. in seiner ersten Enzyklika ausgerechnet mit dem Thema Liebe auseinandersetzte.
Ein Apostolisches Schreiben, keine Enzyklika
Im Pontifikat von Papst Franziskus hingegen ist auffällig, dass sein Schreiben "Evangelii gaudium", das noch im Jahr seiner Papstwahl erschien, oftmals auch als Enzyklika bezeichnet wurde. Tatsächlich handelt es sich aber um ein Apostolisches Schreiben, das nicht unbedingt als Rundschreiben für die ganze Weltkirche bestimmt ist. Meistens ist das Apostolische Schreiben eine weniger feierliche Form der päpstlichen Äußerung; wenngleich es, wie die Adresse von "Evangelii gaudium" zeigt, dennoch an die gesamte Kirche gerichtet ist. So ist "Evangelii gaudium" zwar das Schreiben, in dem Papst Franziskus seine Herzensthemen formuliert hat, es ist jedoch nicht seine Antrittsenzyklika. Als solche wird "Lumen fidei" gewertet, jener Text, der allerdings maßgeblich schon von Benedikt XVI. verantwortet war und von Franziskus "durch einige weitere Beiträge" (Nr. 7) angereichert wurde.
Letztendlich zeigt sich dadurch, dass in einer globalisierten und medial eng verwobenen Welt viele päpstliche Schreiben den Rang einer Enzyklika einnehmen, wenngleich sie dem Titel nach auch keine sind. Jedes päpstliche Wort geht heutzutage auf dem Erdkreis rund und ist demnach Enzyklika. Dennoch ist es wichtig, dass es auch noch die großen Schreiben der Päpste gibt, in denen sie brisante Themen ausführlich reflektieren und somit wegweisende Impulse geben. Man darf gespannt sein, wie Franziskus diese Gedanken nun in "Fratelli tutti" formuliert hat.