Diözese veröffentlicht umfangreichen Antwortenkatalog zur Untersuchung

Erzbistum Köln: Missbrauchs-Gutachten bleibt komplett geheim

Veröffentlicht am 04.11.2020 um 12:42 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Das Erzbistum Köln wird das von ihm beauftragte Gutachten einer Münchner Kanzlei zu sexualisierter Gewalt nicht veröffentlichen – auch nicht in Teilen. Die Vorgänge um das Gutachten erläutert die Diözese nun in einer ausführlichen Liste.

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Das Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zur unabhängigen Untersuchung von Missbrauch im Erzbistum Köln wird auch in Teilen nicht veröffentlicht. Das geht aus einer am Mittwoch von der Erzdiözese veröffentlichten Liste von Fragen und Antworten hervor. Zwar hätten sich die Beanstandungen durch die Professoren Matthias Jahn und Franz Streng an dem von der Münchener Kanzlei angefertigten Gutachten nur auf die Teile IX ("Persönliche Verantwortlichkeiten"), III ("Vorgehensweise bei der Untersuchung"), IV ("Die tatsächlichen Hintergründe") und VII ("Bewertung der untersuchten Fälle") bezogen, die dabei konstatierten "methodischen Mängel" machten jedoch eine Teilveröffentlichung "nicht möglich", so das Erzbistum. Dies würde "dem Sinn eines belastbaren und rechtssicheren Gutachtens widersprechen". Das Erzbistum Köln ist allerdings bereit, das WSW-Gutachten den Mitgliedern des Betroffenenbeirats "zur Kenntnis anzubieten", sobald ein bereits beauftragtes neues "ordentliches und belastbares" Gutachten vorliegt.

Im Wortlaut: FAQ "Unabhängige Untersuchung"

"Das Erzbistum Köln möchte mithilfe einer Aufstellung der häufigsten Fragen für eine transparente Erklärung des aktuellen Stands und des Fortgangs der unabhängigen Untersuchung sorgen. Diese Fragen und Antworten werden nach jeweils vorliegenden Informationen laufend aktualisiert."

Das Erzbistum wendet sich außerdem gegen die Darstellung der Kanzlei WSW, die am Montag in einer Stellungnahme mitgeteilt hatte, dass die Kritik an ihrer Untersuchung unter einem "grundlegenden methodischen Fehler" leide. Die Verfasser gingen von einem falschen Sachverhalt aus, so WSW, da der Auftrag in einer "umfassenden Bewertung des Handelns der Bistumsverantwortlichen" und nicht nur in einer "bloßen Rechtmäßigkeitskontrolle" bestanden hätte. Aus Sicht des Erzbistums Köln bildet dagegen “die juristische Aufarbeitung den Kernpunkt der Beauftragung", so die Antwortenliste.

Gutachten: Münchener Untersuchung "keine taugliche Grundlage"

Mit der Fragenliste wird auch die Formulierung des an die Kanzlei WSW erteilten Auftrags teilweise öffentlich gemacht. Demnach sollten die Gutachter Fälle möglichen sexuellen Missbrauchs "dahingehend evaluieren, ob die Vorgehensweise der damaligen Diözesanverantwortlichen im Einklang mit den insoweit bestehenden Vorgaben des kirchlichen und des staatlichen Rechts und/oder dem kirchlichen Selbstverständnis stand, bzw. steht". Verantwortliche und Ursache für "insoweit etwa bestehende Defizite/Rechtsverstöße" seien zu benennen.

Das bereits am Freitag veröffentlichte Gutachten von Jahn und Streng war zu dem Schluss gekommen, dass das Gutachten der Kanzlei WSW "als Grundlage für die Benennung von Verantwortung durch Tun oder pflichtwidriges Unterlassen nach kirchlichem und staatlichem Strafrecht auf Ebene der Entscheidungsträger des Erzbistums Köln keine taugliche Grundlage" sei. Bemängelt wurde neben methodischen Anmerkungen auch, dass Begriffe wie "Pflichtwidrigkeit", "mangelnde Opferfürsorge", "sexueller Missbrauch" und "Beschuldigter" nicht definiert worden seien und ihr Kontext daher unklar bleibe. Das Gutachten von Jahn/Streng betrachtet dabei primär die rechtliche Einordnung nach dem Straf- und Kirchenrecht. Auf die Frage, wie das Wort "Defizite" in der verwendeten Formulierung "Defizite/Rechtsverstöße" zu verstehen sei und inwiefern die Formulierung "Einklang […] mit dem kirchlichen Selbstverständnis" für den Umfang des Auftrags zu verstehen sind, geht es nicht ein.

In der Antwortenliste des Erzbistums wird darauf kurz eingegangen mit der Aussage, "dass zudem auch eine Bewertung von Verstößen gegen das kirchliche Selbstverständnis möglich ist, ändert nichts am Bestand der Kritik". Die "Rechtmäßigkeitskontrolle" sei die "wesentliche Hauptleistung", die das Erzbistum von der Kanzlei WSW gefordert habe. Die Kanzlei dagegen erklärte, dass eine derartige Beschränkung nicht vorgesehen gewesen sei: "Einen derartig beschränkten Gutachtensauftrag hätten wir als unabhängige Gutachter im Bereich des sexuellen Missbrauchs von vornherein abgelehnt", so die Stellungnahme vom Montag.

Rücktritt im Betroffenenbeirat

Der Betroffenenbeirat des Erzbistums wurde am Donnerstag zuvor über das Gutachten von Jahn/Streng und das vom Erzbistum informiert. Einsicht in das Gutachten der Kanzlei WSW hat er ebenso wie die Bistumsverantwortlichen nicht erhalten; bekannt ist es laut Erzbistum derzeit nur verschiedenen von der Erzdiözese beauftragten Anwälten. Gegenüber katholisch.de hatte der Sprecher des Betroffenenbeirats, Patrick Bauer, am Montag mitgeteilt, dass er entgegen der gemeinsamen Erklärung von Beirat und Erzbistum nun doch für eine Veröffentlichung der Untersuchung von WSW sei. Auf der Sitzung des Betroffenenbeirats vom Donnerstag sei er "überrascht" worden.

Unterdessen ist aufgrund der Vorgänge mindestens ein Mitglied des Betroffenenbeirats zurückgetreten. Gegenüber katholisch.de bestätigte Winfried Ponsens, dass er am Samstag das Erzbistum und die anderen Mitglieder des Beirats von seinem Rücktritt informiert hatte. Er wendet sich insbesondere dagegen, dass das Gutachten von Jahn/Streng den Begriff der "mangelnden Opferfürsorge" kritisiert. Diese sei aus seiner Sicht eines der Hauptprobleme des kirchlichen Umgangs mit sexualisierter Gewalt. "Uns Opfer hatte niemand als wichtig im Blick", so Ponsens gegenüber katholisch.de. Ponsens hatte an der Sitzung am Donnerstag nicht teilgenommen.

Das Erzbistum Köln hatte am Freitag angekündigt, den Kölner Strafrechtsexperten Björn Gercke mit einer neuen Untersuchung der Akten zu beauftragen. Er soll bis zum 18. März 2021 ein neues Gutachten verfassen. Laut der am Mittwoch veröffentlichten Antwortenliste ergeht an ihn derselbe Gutachterauftrag wie an die Kanzlei WSW; außerdem solle es wiederum durch Jahn und Streng einer Abschlussprüfung unterzogen werden. Bei einer Pressekonferenz am Montag kündigte Gercke an, dass sein Gutachten für das Erzbistum "ungemütlich" werde. (fxn)