Fuldas Bischof Gerber warnt vor Radikalisierung – und erinnert an 1938
Vor dem Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 am Montag warnt der Fuldaer Bischof Michael Gerber vor zeitgenössischem Extremismus. Gerade in unübersichtlichen Zeiten gelte es, "mit einem klaren Wertekompass unterwegs zu sein", schreibt Gerber am Samstag in einem Gastbeitrag in der "Fuldaer Zeitung". Eine Radikalisierung, "bei der Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens relativiert werden", sei offenbar schnell möglich.
Attentate in Paris, Nizza und Wien
Die Frage nach den Faktoren, die eine Radikalisierung ermöglichen, stelle sich auch heute, so der Bischof: "Wann haben sich welche Entwicklungsschritte vollzogen in jenen, die vor Kurzem die Attentate in Paris, Nizza oder Wien verübten?" Im Hinblick auf die Novemberpogrome von 1938 schreibt Gerber: "Vermutlich gab es auch unter jenen, die damals in Fulda das jüdische Gotteshaus zerstörten, solche, die noch wenige Jahre zuvor ohne Aversion an der Synagoge vorbeigekommen waren und ihre jüdischen Nachbarn freundlich gegrüßt hatten."
Die Novemberpogrome waren eine vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Zerstörung von Einrichtungen jüdischer Bürger. Nach unterschiedlichen Schätzungen wurden in der Zeit vom 7. bis 13. November 1938 im damaligen Reichsgebiet zwischen 400 und 1.300 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben.
Am Freitag hatten die katholische und die evangelische Kirche eine bundesweite Plakatkampagne gegen Antisemitismus angekündigt. Die ökumenische Aktion "#beziehungsweise: jüdisch und christlich - näher als du denkst" soll im Januar starten. Damit sollen Gemeinsamkeiten von Juden und Christen in Festen und im religiösen Leben aufgezeigt werden, "um gegen den zunehmenden Antisemitismus klar Stellung zu beziehen, der auch christliche Wurzeln hat".
"Identitätslosigkeit" von Jugendlichen
Für mehr Einsatz gegen Radikalisierung vor allem bei Jugendlichen plädierte am Samstag der muslimische Gefängnisseelsorger Ender Cetin. Viele erlebten eine "Identitätslosigkeit", fühlten sich ausgegrenzt und ausgeschlossen, sagte Cetin am Samstag dem rbb-Inforadio. "Und es gibt leider sehr wenig Arbeit in dieser Richtung." Das derzeitige System erreiche die Jugendlichen nicht.
In den Haftanstalten gebe es inzwischen gut ausgebildete Ansprechpartner, erklärte der ehemalige Vorsitzende der Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln. Dazu zählten Imame und Seelsorger. Allerdings: "Das Problem steckt schon vorher drin, bevor sie in die Haftanstalten kommen." Zudem sei oft fraglich, wer Betroffene auffange, wenn sie wieder aus der Haft entlassen würden. (gho/KNA)