Schaustellerbranche besonders von der Pandemie betroffen

Seelsorger: Volksfeste und Zirkusse sind durch Corona stark bedroht

Veröffentlicht am 24.11.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Bonn ‐ Kaum eine Branche ist so stark von Corona betroffen, wie die der Schausteller und Zirkus-Leute. Im katholisch.de-Interview spricht der katholische Schaustellerseelsorger Sascha Ellinghaus über die Lage der Branche und Forderungen an die Politik.

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Keine Volksfeste, keine Zirkus-Vorstellungen und jetzt auch keine Weihnachtsmärkte: Die Corona-Pandemie hat Schausteller und Zirkus-Leute besonders hart getroffen. Im Interview mit katholisch.de äußert sich der Leiter der katholischen Circus- und Schaustellerseelsorge in Deutschland, Pfarrer Sascha Ellinghaus, sehr besorgt über die aktuelle Lage der Branche. Vor allem viele Familienbetriebe seien in ihrer Existenz akut bedroht. Für Ellinghaus ist klar, dass die Politik der Branche mehr helfen muss. Ansonten drohe der Untergang vieler Volksfeste und Zirkusse.

Frage: Pfarrer Ellinghaus, eigentlich sollten in diesen Tagen in ganz Deutschland die Weihnachtsmärkte eröffnet werden. Doch die meisten Märkte wurden – ebenso wie zuvor schon fast alle Volksfeste in diesem Jahr – wegen Corona abgesagt. Wie stark setzt die Pandemie der Schaustellerbranche zu?

Ellinghaus: Die Schausteller erleben – ebenso wie die Zirkusleute – derzeit eine Situation, die es so noch nie gegeben hat. Faktisch hat die Pandemie zu einer Art Berufsausübungsverbot für die gesamte Branche geführt, eine Saison im eigentlich Sinn hat es 2020 nicht gegeben. Kurz bevor im Frühjahr die ersten Volksfeste starten sollten, wurde der bundesweite Lockdown verhängt – mit besonders strengen Verboten für die Veranstaltungsbranche. Zunächst hieß es, dass diese Verbote bis zum 31. August gelten sollten, sie wurden seitdem aber immer wieder verlängert. Volksfeste und Zirkus-Gastspiele haben deshalb auch im Herbst fast gar nicht stattfinden können. Dass der Pandemie darüber hinaus jetzt auch noch das so wichtige Weihnachtsgeschäft zum Opfer fällt, verschärft die Situation weiter.

Frage: Wie gehen die Schausteller damit um?

Ellinghaus: Das ist für die gesamte Branche natürlich ein großer Schock. Zwar haben  manche Schausteller im Sommer versucht, bei sogenannten Pop-up-Märkten – also kurzfristig und unter strengen Hygieneregeln organisierten Märkten – ein paar Einnahmen einzuspielen und damit die eigenen Lebenshaltungskosten wenigstens teilweise zu decken. Für das entgangene Geschäft im restlichen Jahr waren diese Märkte aber natürlich kein adäquater Ersatz. Sie müssen sich vorstellen: Die meisten Schausteller und Zirkusleute haben seit dem vergangenen Weihnachtsgeschäft keine eigenen Einnahmen mehr erzielt. Selbst wirtschaftlich gesunde Betriebe können das über so lange Zeit kaum durchhalten.

„Uns ist es wichtig, den Menschen deutlich zu machen, dass Gott auch die schwierigen Wege mit uns gemeinsam geht und wir als Seelsorger in dieser Zeit an ihrer Seite stehen.“

—  Zitat: Sascha Ellinghaus

Frage: Sie haben es gesagt: Die Veranstaltungsbranche wurde mit besonders strengen Corona-Beschränkungen belegt. Wie beurteilen das die Schausteller und Zirkusleute, mit denen Sie zu tun haben? Fühlen die sich von der Politik unfair behandelt?

Ellinghaus: Die Betroffenen hätten sich von der Politik sicher mehr Unterstützung gewünscht – vor allem in finanzieller Hinsicht. Zwar wurden im Frühjahr recht schnell Soforthilfen und Überbrückungsgelder zur Verfügung gestellt. Diese waren aber in keiner Weise geeignet, die Einnahmeausfälle durch die Pandemie auch nur ansatzweise auszugleichen. Die angespannte finanzielle Lage lastet schwer  auf der Schausteller- und Zirkusbranche – vor allem auf den vielen kleinen Familienbetrieben. Denn während die Einnahmen fast vollständig weggebrochen sind, laufen die meisten Kosten ja weiter. Die Fahrgeschäfte etwa müssen weiter gewartet und betriebsbereit gehalten werden. Viele Betreiber haben in den vergangenen Jahren zudem Kredite aufgenommen, die sie ohne eigene Einnahmen kaum noch bedienen können. Das ist natürlich auch eine enorme psychische Belastung.

Frage: Wenn sie in die Branche hineinhören und mit den Menschen sprechen: Wie lange halten die noch durch? Droht am Ende vielleicht sogar der Untergang der Volksfest- und Zirkustradition?

Ellinghaus: Der Fortbestand dieser Tradition ist durch die Pandemie zumindest stark bedroht. Zwar gibt es sicher auch Betriebe, die eine so massive Durststrecke finanziell noch etwas länger durchhalten können. Vielen anderen ist die Luft zum Atmen aber schon jetzt extrem knapp geworden – vor allem den kleinen Familienbetrieben, wo meist die ganze Familie von den Einnahmen des Verkaufsstandes oder des Fahrgeschäfts abhängig ist. Es ist deshalb zu befürchten, dass viele Betriebe die Corona-Pandemie nicht überleben werden.

Frage: Sie sind bereits seit vielen Jahren als Seelsorger für Schausteller und Zirkusleute tätig. Wie hat sich Ihre Arbeit durch die Pandemie verändert?

Ellinghaus: Dadurch, dass die Volksfeste und Zirkus-Gastspiele fast alle abgesagt wurden, konnten wir unsere pastoralen Aufgaben in diesem Jahr kaum erfüllen. Zwar haben wir vereinzelt Kinder getauft, Erstkommunionen gefeiert und Fahrgeschäfte gesegnet. An einen seelsorglichen Normalbetrieb war aufgrund der Beschränkungen für die Branche aber nicht zu denken. Trotzdem bemühen wir uns natürlich, weiter für die Schausteller und Zirkusleute da zu sein und Kontakt zu halten – vor allem über die sozialen Netzwerke und das Telefon. Außerdem haben wir unseren Pfarrbrief zum ersten Mal per Post an die Schausteller und Zirkusleute geschickt, um ihnen auch auf diese Weise geistlich Mut zu machen. Uns ist es wichtig, den Menschen deutlich zu machen, dass Gott auch die schwierigen Wege mit uns gemeinsam geht und wir als Seelsorger in dieser Zeit an ihrer Seite stehen.

 Sascha Ellinghaus
Bild: ©Dieter Mayr/KNA

Ein Bild aus Vor-Corona-Zeiten: Pfarrer Sascha Ellinghaus feiert im Herbst 2018 einen Gottesdienst in einem Zelt auf dem Oktoberfest in München.

Frage: Haben Sie das Gefühl, dass Ihr seelsorgliches Engagement trotz der geschilderten Einschränkungen bei den Menschen ankommt und etwas bewirkt?

Ellinghaus: Das hoffe ich natürlich. Ich merke aber auf jeden Fall, dass es vielen Betroffenen gut tut, sich im vertraulichen Gespräch ihren Frust und ihre Sorgen von der Seele reden zu können. Das ersetzt natürlich nicht die notwendige Unterstützung durch die Politik – aber es ist ein wichtiger Dienst der Kirche an den Menschen, ihnen Mut zu machen und ein offenes Ohr für ihre Probleme zu haben.

Frage: Sie betonen sehr die Bedeutung der politischen Unterstützung für die Schausteller und Zirkusleute. Haben Sie als Seelsorger in dieser Hinsicht auch irgendwelche Schritte unternommen?

Ellinghaus: Ja, wir haben in den vergangenen Monaten mit vielen Politikern Kontakt aufgenommen, um auch von unserer Seite auf die schwierige Situation der Schausteller und Zirkusleute hinzuweisen und zu zeigen, dass sich die Kirche mit den Betroffenen solidarisch erklärt. Weil nun auch das Weihnachtsgeschäft weitgehend ins Wasser fällt, ist die Politik dringend gefragt, bei den finanziellen Hilfen für Schausteller und Zirkusleute nachzubessern und im neuen Jahr baldmöglichst wieder Volksfeste und Zirkusse zu erlauben. Damit würde ein wichtiges Zeichen für eine hoffnungsvolle Zukunft dieser Branche gesetzt.

Frage: Sie sind leidenschaftlicher Schausteller- und Zirkusseelsorger. Wie sehr belastet Sie persönlich die aktuelle Situation der Branche?

Ellinghaus: Das nimmt mich alles schon ziemlich mit. Denn ich spüre natürlich sehr deutlich die Not und die Unsicherheit der Betroffenen, von denen ich viele seit Jahren kenne und emotional eng mit ihnen verbunden bin. Man stößt da als Seelsorger mitunter durchaus an seine Grenzen, weil man den Menschen gerne noch mehr helfen würde.

Von Steffen Zimmermann