Ruhrbischof räumt Versagen bei Weiterbeschäftigung von Missbrauchstäter ein

Overbeck zu Umgang mit Missbrauch: "Habe Schuld auf mich geladen"

Veröffentlicht am 18.11.2020 um 12:27 Uhr – Lesedauer: 

Essen ‐ Als erster deutscher Bischof hat Franz-Josef Overbeck beim Umgang mit dem Thema Missbrauch von persönlicher Schuld gesprochen. Der Essener Oberhirte gab sein "Versagen" im Fall eines Priesters zu, der viele Jahre in der Seelsorge seines Bistums wirkte.

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Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck hat als erster deutscher Bischof eingestanden, persönliche Schuld für den Einsatz eines Missbrauchspriesters in seinem Bistum zu tragen. "Ich habe Schuld auf mich geladen", sagte Overbeck in einem Interview mit der Zeit-Beilage "Christ und Welt" (Donnerstag). "Ich habe die Verantwortung am Anfang meiner Zeit als Bischof nicht richtig wahrgenommen. Ich hätte die Unterlagen lesen müssen, um dann Konsequenzen daraus zu ziehen", so Overbeck. Der Bischof äußerte sich zum Fall um den Priester A., der über Jahrzehnte im Erzbistum Köln sowie den Bistümern Essen und Münster in der Seelsorge tätig war, obwohl er wegen Missbrauchs verurteilt wurde.

Es sei sein persönliches "Versagen", dass A. in der Seelsorge wirken konnte, obwohl es Empfehlungen gegeben habe, ihn von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten sowie den Geistlichen aus der Pastoral zu entfernen, so Overbeck weiter. Allerdings sei A. als Ruhestandspriester ins Bistum Essen gekommen: "Er hat nie eine Gemeinde übernommen. Er hat sich in der Gemeinde, in der er lebte, eingebracht und mitgeholfen. Das wurde nicht verhindert: ein Fehler", sagte der Essener Bischof. Er habe erst im Sommer 2019 verstanden, welche Gefahr von A. ausgehe, als neue Vorwürfe aus der Zeit des Priesters im Bistum Münster an die Öffentlichkeit kamen. Danach wurde vom Erzbistum Köln, in dem A. inkardiniert ist, ein kirchenrechtliches Verfahren gegen den heute 87-Jährigen eingeleitet.

Schuldeingeständnis bedeute "wirklich Verantwortung" zu übernehmen

Overbeck gab an, dass nur mit einem Schuldeingeständnis "wirklich Verantwortung" übernommen werden könne. Einen möglichen Rücktritt nannte der Essener Bischof in diesem Zusammenhang nicht: "Verantwortung zu übernehmen heißt für mich lernen. Das halte ich in diesem Fall für angemessen. Es kann andere Fälle geben, da müsste ich vielleicht andere Zeichen setzen." Er werde alles tun, "damit solche Taten verhindert werden". In seinem Bistum werde alles getan, um "Fehler einzugestehen, aufzuarbeiten und zu lernen". Die Geschichte der Kirche lehre jedoch, dass sie sehr sündig sei. "Und dieser Fall ist einer der Beweise für diese Sündhaftigkeit." Daher sei eine entschiedene Aufarbeitung und Prävention wichtig. Im Missbrauchsskandal gebe es jedoch "unter uns Bischöfen keine Helden".

Bereits kurz nach dem öffentlichen Bekanntwerden des Falls von A. hatte der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer das Verhalten des Ruhrbistums als "verheerenden Fehler" bezeichnet. Der Münsteraner Bischof Felix Genn und der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hatten die Gläubigen um Entschuldigung für den Einsatz des Priesters in ihren Bistümern gebeten. "Ich schäme mich für das, was hier geschehen ist", so Woelki im November vergangenen Jahres. In den letzten Wochen wurde im Rahmen der geplanten und letztlich abgesagten Veröffentlichung der Missbrauchsstudie des Erzbistums Köln auch über die persönliche Verantwortung von damaligen Entscheidungsträgern diskutiert; etwa über die Rolle des früheren Kölner Generalvikars und heutigen Hamburger Erzbischofs Stefan Heße.

Bild: © ArTo - stock.adobe.com

Das Bistum Essen hat nun eine unabhängige Untersuchung zum Fall des Missbrauchspriesters A. veröffentlicht.

Das Bistum Essen veröffentlichte am Mittwoch zudem einen unabhängigen Untersuchungsbericht zum Fall des Priesters A., der von 2002 bis 2015 in einer Bochumer Kirchengemeinde als Ruhestandsgeistlicher tätig war. Die von einer Anwaltskanzlei durchgeführte Studie zeigt nach Angaben des Ruhrbistums "deutliche Fehler im Umgang mit dem Geistlichen". Der Bericht kritisiere demnach "fehlende Akten, mangelnde Absprachen mit den anderen beteiligen Bistümern und eine frühere Information der Essener Personalverantwortlichen als bisher bekannt" gewesen sei. Spätestens seit September 2002 habe die gesamte Personalkonferenz des Bistums Essen über den Fall A. Bescheid gewusst.

Overbeck nannte die Ergebnisse der Untersuchung "beschämend". Es sei sein persönliches "Versäumnis", A. nicht bereits 2010 nach seinem Amtsantritt als Ruhrbischof aus der Pfarrei entfernt zu haben, so Overbeck. Insgesamt offenbare der Umgang mit dem Missbrauchspriester "bis in die jüngste Vergangenheit hinein erhebliche Mängel an Professionalität, Kooperation, Transparenz, Kommunikation und Sensibilität", schreibt Overbeck in einem Brief an die betroffene Kirchengemeinde. "Für die Verkettung von Fehlleistungen, die Versäumnisse und Missstände, die jetzt offenbar geworden sind, entschuldige ich mich ausdrücklich und persönlich."

"Aus heutiger Sicht unverständlich" sei zudem, weshalb Anfang 2010, als alle Akten zu den damals bekannten Missbrauchsfällen im Bistum Essen durchgesehen wurden, "hier kein Handlungsbedarf gesehen wurde", so Overbeck weiter. "Als Bischof hätte ich den dringenden Handlungsbedarf erkennen und entsprechend handeln müssen." Overbeck wies ferner auf die im Frühjahr beauftragte Untersuchung verschiedener Missbrauchsfälle in der Geschichte des Bistums Essen durch das Institut für Praxisforschung und Projektbegleitung (IPP) in München hin. Ziel dieser Studie sei es, "genauer zu verstehen, welche Strukturen die Missbrauchsfälle in unserem Bistum begünstigt haben, und weshalb Täter so vorgehen konnten, wie sie vorgegangen sind", so der Bischof. Auch der Fall von Priester A. werde Thema der Studie sein. (rom)

18.11.2020, 13:35 Uhr: ergänzt um den vierten Absatz und die Informationen des Bistums Essen zum nun veröffentlichten Bericht.