Missbrauchsbeauftragter Rörig will Amt vorzeitig niederlegen
Der unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, will sein Amt vorzeitig niederlegen. "Nach mehr als neun Jahren werde ich mich zum Ende dieser Legislaturperiode aus dem Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs zurückziehen, auch um mich neuen Herausforderungen stellen zu können", teilte der 61-Jährige überraschend am Freitag in Berlin mit. Die Bundesregierung nahm die Entscheidung Rörigs "mit großem Bedauern zur Kenntnis", respektiere diese aber. Rörig habe im Kampf gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen viel bewegt, sagte ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums. Rörigs Ankündigung lasse genügend Zeit für die Suche einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers.
Bis zu seinem Ausscheiden werde er sich weiterhin "mit voller Kraft und ganzem Herzen für einen konsequenteren Kampf gegen sexuellen Missbrauch und seine Folgen einsetzen", sagte der Jurist. Rörig hatte das Amt 2011 von seiner Vorgängerin Christine Bergmann übernommen. Die Stelle wurde unter seiner Führung aufgewertet. Im vergangenen Jahr wurde er für eine neue fünfjährige Amtszeit berufen. Rörig wäre regulär also bis 2024 im Amt.
Amt müsse auf gesetzlicher Grundlage fortgeführt werden
Der Missbrauchsbeauftragte erklärte, es freue ihn, "dass trotz geringer Ressourcen und ohne gesetzlichen Auftrag zukunftsfähige Strukturen der Betroffenenbeteiligung und unabhängigen Aufarbeitung auf Bundesebene etabliert werden konnten". Er forderte, das Amt weiter zu stärken und auf gesetzlicher Grundlage dauerhaft fortzuführen. Rörig hat den Angaben zufolge Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), zu deren Ressort seine Stelle gehört, über seine Entscheidung informiert und gebeten, seine Nachfolge rechtzeitig zu regeln.
Rörig trat beharrlich für einen intensiveren Kinderschutz ein und forderte immer wieder konsequente Schritte, um sexuelle Gewalt in Deutschland stärker einzudämmen. Er verwies auf jährlich mehr als 20.000 Fälle von Kindesmissbrauch und "Kinderpornografie in Terrabyte-Dimension".
Erst am vergangenen Donnerstag mahnte Rörig einen erheblichen Nachbesserungsbedarf beim Kampf gegen den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen an. Im Familienausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags beklagte er, dass es bislang "keinen erkennbaren Rückgang der Fallzahlen" gebe. Rörig sprach von einer "erschreckenden Normalität" in diesem Bereich.
Anfang des Jahres hatte Rörig einen "Pakt gegen sexuellen Missbrauch" gefordert. Dafür werde die Unterstützung aller Bürger benötigt. Ausdrücklich appellierte er an den "ersten Mann im Staat", Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er müsse "diesen Abgrund der Gesellschaft in seine Reden aufnehmen" und damit die Priorität erhöhen, sagte Rörig.
Auch von den Kirchen verlangte er eine umfassende Aufarbeitung ihrer Missbrauchsskandale. Dazu gehöre, Betroffenen Unterstützung bei der individuellen Aufarbeitung zu geben und sie mit starken Rechten auszustatten. Mit der katholischen Kirche einigte Rörig sich im Frühjahr auf verbindliche Kriterien für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen. Mit der evangelischen Kirche laufen die Verhandlungen noch.
Vereinbarung mit DBK unterzeichnet
Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) war die erste Institution in Deutschland, die eine deartige Vereinbarung mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung schloss. Rörig und der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Triers Bischof Stephan Ackermann, setzten im Juni ihre Unterschrift unter die Erklärung. Demnach soll es in allen 27 Bistümern künftig eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung geben. Darin sollen Vertreter des Bistums, Experten aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und öffentlicher Verwaltung sowie Betroffene sitzen. Einige Bistümer haben bereits mit der Aufarbeitung in eigenen Kommissionen begonnen.
Der Sprecher der Opferinitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, würdigte Rörig als "wichtigen Akteur im Kampf gegen sexuellen Missbrauch". Es sei sein Verdienst, dass das Amt eines Missbrauchsbeauftragten mit einem Betroffenenrat dauerhaft verankert worden sei. Rörig habe entscheidenden Anteil daran, dass die Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vorangekommen sei. Geschickt habe er dazu die notwendigen Strukturen auch gegen mancherlei Widerstand aufgebaut. Katsch war zunächst Mitglied im Betroffenenrat und arbeitet seit rund einem Jahr in der Aufarbeitungskommission mit.
Von Anfang an habe Rörig sich bei seinem Engagement auf die Expertise von Betroffenen gestützt und Möglichkeiten eröffnet, damit Betroffene sichtbarer in der Gesellschaft würden, so Katsch weiter. Mit dem Amt eines Missbrauchsbeauftragten verfüge Deutschland auf nationaler Ebene über eine wichtige Schaltstelle, um die dringend notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche weiterzuführen und die Hilfe und Unterstützung für Betroffene zu verbessern.
Bevor Rörig am 1. Dezember 2011 sein Amt als Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs antrat, arbeitete der ausgebildete Jurist 13 Jahre lang im Bundesfamilienministerium, zuletzt als Unterabteilungsleiter. Zuvor war er Richter am Arbeitsgericht Berlin. (mal/epd/KNA)