Warum eine Seelsorgerin mit einem Reisekoffer von Weihnachten erzählt
Noch bis zum 6. Januar besucht Claudia Ebert mit ihrem Reisekoffer und einem bunten Regenschirm Familien, in denen ein Kind mit Behinderung lebt. Im Interview spricht die Seelsorgerin für Menschen mit Behinderung darüber, wie sie auf diese Weise den Familien die Weihnachtsbotschaft nahebringen möchte – und sie dazu ermuntert, Hauskirche zu sein.
Frage: Frau Ebert, warum besuchen Sie mit Ihrem Koffer Familien, in denen Kinder mit Behinderung leben?
Ebert: Ich würde gerne alle Familien besuchen können, die das wünschen. Das geht aber leider nicht. Deshalb beschränke ich mich auf Familien, in denen ein Kind mit Behinderung lebt, weil ich dafür zuständig bin. Ich bin deshalb unterwegs, weil es für viele Familien gerade nicht möglich ist, in einen Gottesdienst zu kommen. Deswegen möchte ich als Vertreterin der Kirche zu ihnen nach Hause kommen.
Frage: Wie sind Sie denn auf die Idee mit dem Reisekoffer gekommen?
Ebert: Seit 20 Jahren bin ich Theologin und habe in dieser Zeit viele Gottesdienste für Kinder und ihre Familien gestaltet. Ich arbeite auch als Religionslehrerin. Ich versuche dabei immer, Geschichten so lebendig und kreativ zu erzählen und begreifbar zu machen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene neugierig werden und zuhören wollen. Vor drei Jahren habe ich ein Bild von jemandem gesehen, der Geschichten mit einem Koffer erzählt. Das hat mich so fasziniert, dass ich auf den nächsten Flohmarkt gegangen bin und mir einen Reisekoffer besorgt habe. Mein nächster Weg war dann in den Baumarkt, wo ich mir eine Styroporplatte besorgt habe. Damit habe ich den Koffer ausgekleidet. Die einzelnen Figuren der Geschichte habe ich dann aus Pappe ausgeschnitten und auf Holzspieße geklebt.
Frage: Machen Sie das immer mit der biblischen Weihnachtserzählung?
Ebert: Nein, auch mit anderen Geschichten, die nicht in der Bibel stehen. Die Weihnachtsgeschichte erzähle ich in diesem Jahr zum ersten Mal. Ich war selbst über mich erstaunt, dass ich noch nie auf die Idee gekommen bin, die Weihnachtsgeschichte umzusetzen. Aber es passt in diesem Jahr auch sehr gut, weil ich Familien darin unterstützen kann, dass sie gemeinsam zu Hause Hauskirche sein können, wenn sie nicht in die Gottesdienste kommen können. Ich will nahe bei den Menschen sein – das ist für mich lebendige Kirche.
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Frage: Inwiefern geht das mit der Weihnachtsgeschichte?
Ebert: In meinem Koffer ist nicht nur die Geschichte drin, sondern auch Impulskarten zu den Festen im Kirchenjahr wie Silvester und Dreikönig. Ich möchte die Familien dazu ermuntern, diese Feste miteinander zu feiern. Wenn ich sie besuche, erzähle ich außerdem nicht bloß die Geschichte, sondern spende der Familie am Schluss einen Segen unter einem bunten Regenschirm. Dazu spanne ich den Schirm auf und sage "Gottes Segen soll euch schützen und soll euch stützen auf all euren Wegen!"
Frage: Was hat es mit diesem bunten Regenschirm auf sich?
Ebert: Viele Familien haben in der Corona-Zeit Regenbögen an ihre Fenster gemalt. Der Regenbogen erinnert an die Geschichte aus der Bibel, dass Gott einen Regenbogen in den Himmel setzt und verspricht: Ich lasse euch nicht allein, ich habe einen Freundschaftsbund mit euch geschlossen. Und ich finde auch, dass wir uns in Zeiten, wie wir sie gerade erleben, gar nicht genug Segen und gute Wünschen zusprechen können. Wenn ich als Seelsorgerin komme, dann ist der Segen etwas, was ich den Menschen mitbringen und weiterschenken darf. Das kommt ja nicht von mir, sondern ich darf das weitergeben.
Frage: Wie läuft so ein Besuch in dieser Corona-Zeit ab?
Ebert: Ich klingele, die meisten Familien warten aber schon, weil wir einen Termin ausgemacht haben. Statt ins Wohnzimmer gehen wir dann dick und warm eingepackt entweder in den Garten, vor die Haustür oder auch in einen Park in der Nähe, wo genug Abstand eingehalten werden kann. Dort stelle ich dann meinen Koffer ab. Dann winken wir einander zu, weil es eine große Freude ist, dass wir einander sehen können. Danach starte ich relativ schnell mit der Geschichte und dem Segen und gehe dann bald wieder. Es soll ein kurzer Besuch sein und weil wir draußen sitzen friert es die Kinder nach einer halben Stunde meistens auch.
Frage: Welche Rückmeldungen bekommen Sie von den Familien?
Ebert: Die Kinder freuen sich, denn sie bekommen nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern dürfen auch mitmachen. Ich komme aus dem Bereich der Sonderpädagogik. Da arbeite ich auch mit mehrfach schwerstbehinderten Kindern, die nicht sprechen können. In diesem Bereich nutzen wir Taster. Fünf solcher Taster habe ich auch in einem Koffer dabei. Damit können die Schafe blöken oder der Esel beginnt zu schreien oder das Signalhorn des Boten des Kaisers ist zu hören. Auch für die Eltern ist es schön, eine kurze Auszeit zu haben und eine Geschichte hören zu dürfen. Die Geburt des kleinen Kindes berührt die Herzen.
Frage: Wie ist das denn für Sie persönlich, wenn Sie die Familien wieder verlassen, nachdem Sie Ihre Geschichte erzählt haben?
Ebert: Für mich ist die ganze Adventszeit eigentlich schon eine Weihnachtszeit: Ich fühle mich so beschenkt durch diese kleinen kurzen Besuche. Mir wird viel Vertrauen entgegengebracht. Die Familien laden mich ein und ich finde, es ist etwas sehr Schönes und Kostbares, dass ich kommen darf – gerade auch zur Corona-Zeit. Ich gehe immer mit einem ganzen Koffer voller Glück weiter.
Frage: Was kann denn die Weihnachtsbotschaft diesen Menschen mitgeben?
Ebert: Kraft fürs Leben! Das ist die eigentliche Botschaft für mich: In dieser Dunkelheit gibt es ein Licht und es gibt einen Engel, der sagt: "Fürchte euch nicht!" Das sagt er nicht nur zu den Hirten oder zu Maria damals, sondern das gilt jedem einzelnen von uns. Wir sollen mutig die Hirtenwege gehen und einander beschützen und schützen, aufeinander aufpassen wie die Hirten damals. Das haben wir in diesem Jahr besonders gelernt – und das ist für mich die Botschaft der Weihnachtsgeschichte.