Standpunkt

War das Leben vor Corona wirklich "gut"?

Veröffentlicht am 21.01.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Viele Menschen verspürten in der Corona-Pandemie "Hunger" nach ihrem normalen Leben, kommentiert Agnes Wuckelt. Sie fordert: Wir sollten auch den Hunger der anderen nach einem guten Leben wahrnehmen.

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"Hunger nach einem guten Leben" sei es, was Menschen derzeit bewegt – so ein Kommentar zu den Massen-Ausflügen in Wintersportgebiete. "Hunger": Ein Phänomen, das physisch wie auch psychisch, sozial, gesellschaftlich, politisch oder wirtschaftlich betrachtet werden kann. Stets jedoch ist Hunger ein Mangel, der subjektiv und körperlich als unangenehm wahrgenommen wird.

Auch was unter einem "guten Leben" zu verstehen ist, birgt subjektive Antworten und hängt von der Betrachtungsweise ab. Ratschläge dafür gibt es zuhauf: Es beginne im Alltag – zum Beispiel mit frischen Blumen, einem Spaziergang, einem besonderen Frühstück am Wochenende oder Lieblingsmusik. Kurzum: im Genuss der kleinen, sinnlichen Freuden. Leicht umzusetzen – auch in Pandemiezeiten. Schwieriger wird schon dieses: Ein gutes Leben sei ein Leben in dem wir selbst bestimmen, was uns wichtig ist und wie wir dies umsetzen.

Vielfach wird gewünscht, das Leben solle wieder "normal" werden – so wie vor Corona. Ist das so zu deuten, dass das Leben vor Corona "gut" war? Dann bezöge sich der Hunger auf all das, was zurzeit durch Coronabeschränkungen verwehrt ist. Und nach dem Stillen des Hungers wäre das Leben wieder gut. Es stellt sich jedoch die Frage, ob wir es uns in unserem Leben einfach nur gut eingerichtet haben. Anfragen an ein so verstandenes "gutes Leben" stellten sich schon vor Corona: Was, wenn wir (zu viele) Geflüchtete aufnehmen? Was, wenn wir den Forderungen der Umweltbewegungen Folge leisten? Was, wenn uns die Nachrichten aus Krisenzonen unserer Welt zu nahe rücken? Uns Bilder mit vom drohenden Hungertod gezeichneten Kindern erreichen?

Sicherlich: Was Hunger bedeutet, muss jede*r selbst erfahren, am eigenen Leib, in der eigenen Seele. Doch vielleicht regt der Corona bedingte "Hunger" an, auch den Hunger der anderen wahrzunehmen. Dass alle überall Hunger nach einem guten Leben haben. Dass es nicht nur darum geht den eigenen Hunger stillen zu können, sondern auch darum: "Gebt ihr ihnen zu essen!" (Mt 14,16).

Von Agnes Wuckelt

Die Autorin

Agnes Wuckelt ist emeritierte Professorin für Praktische Theologie und stellvertretende Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.

Aktualisierte Version.