Benediktiner Schnabel: Kirche braucht Gedenktag für Abraham und Sara
Im Vorfeld der Reise machte Papst Franziskus klar: "Man kann ein Volk nicht zum zweiten Mal enttäuschen." Während Johannes Paul II. 2000 nicht in den Irak reisen konnte, ließ sich Franziskus weder von Corona noch durch Sicherheitsbedenken von seinen Reiseplänen abringen. Im Gegensatz zu vielen Kritikern ist Benediktinerpater Nikodemus Schnabel durchweg zufrieden mit dem päpstlichen Besuch im Irak. Die Früchte dieser Reise werden nach und nach sichtbar werden, ist er sich sicher.
Frage: Pater Nikodemus, der Besuch des Papstes im Irak ist beendet. Wie ist Ihr Eindruck von der Reise?
Schnabel: Ich bin von der Reise begeistert. Franziskus weiß als Jesuit, dass man die Welt nicht vom Zentrum aus verstehen kann. Das Gehen an die Ränder ist sein Credo. Und: Die Reise war auch in der österlichen Bußzeit genau richtig. Franziskus kam, wie er selbst betont hat, als Büßer – er bat um Vergebung.
Frage: Warum bat er um Vergebung?
Schnabel Der Papst kommt in dieser liturgisch geprägten Zeit. Nicht nur deshalb ist Vergebung und Buße die Überschrift der Reise. Da ist auch noch der politische Aspekt. Der Papst ist als in Rom residierendes Oberhaupt der katholischen Christen eine Zentralfigur für "den Westen". Er hat mit seinem Besuch alle Iraker um Vergebung gebeten – alle.
Frage: Und der Westen muss um Vergebung bitten?
Schnabel: Wir im Westen sind sehr gut darin zu verdrängen. Warum schaut der Irak so aus, wie er heute aussieht? Das war die christliche Kreuzzugmetaphorik des Irak-Krieges. Die USA hatten den Krieg als "christlichen Auftrag, den Irak zu befreien" propagiert. Das haben die Iraker bis heute nicht vergessen. Damit hat das westliche Christentum im Irak einen sehr schlechten Ruf bekommen. Und jetzt kommt der Bischof von Rom und bittet um Vergebung für die Schuld des Westens. Stark! Der Papst hat dem irakischen Volk mit seinem Besuch gezeigt: Der Westen kann in den Irak nicht nur mit Waffen kommen.
Frage: Gibt es noch andere Highlights der Reise?
Schnabel: Ja, der Papst geht an die Ränder und weist die Welt darauf hin, dass es außer Corona noch andere Themen gibt. Deswegen war die Reise trotz – oder gerade wegen – Corona extrem wichtig. Ich finde sie perfekt terminiert. Franziskus hat es geschafft, den Fokus der Weltöffentlichkeit neu auszurichten: Es gibt eben noch andere aktuelle Dramen auf dieser Welt, jenseits von Corona!
Frage: Wie sieht es auf der religiösen Ebene aus?
Schnabel: Da folgte die Reise einer beeindruckenden Dramaturgie. Nach dem "politischen" ersten Tag, ging es am zweiten Tag um den interreligiösen Dialog in Nadschaf und Ur. Und am dritten dann um die christliche Ökumene. Franziskus hat eine syrisch-orthodoxe Kirche und eine armenisch-apostolische besucht – es ging ihm nicht nur um die Katholiken im Irak. Und auch bei den Katholiken hat er nicht nur die Lateiner besucht, sondern vor allem die Chaldäer und die syrisch-katholischen Christen. Seine Botschaft war eindeutig: Das Christentum ist eben nicht nur eine europäische Religion, die im Mittelmeerraum entstanden ist, sondern hat eine ganz zentrale außereuropäische Wurzel im Zweistromland. Seine Enzyklika “Fratelli Tutti” spielte eine große Rolle. Dem Papst ging es bei dieser Reise der Geschwisterlichkeit darum, “Fratelli Tutti” in den Mittelpunkt zu stellen, die im Grunde genommen ja eine neue Sozialenzyklika ist. Und in Hinblick auf die Christen war sein Schlusssatz in Erbil programmatisch: "Ihr seid in meinem Herzen!"
Frage: Es gab das Treffen mit dem Großajatollah Ali as-Sistani. Wie bewerten Sie das?
Schnabel: Das war ein weiteres starkes Treffen. Zum einen empfängt Ali as-Sistani seit Jahren kaum Besuch – also ist das schon eine Sensation. Dann gibt es von ihm fast keine aktuellen Fotos, von diesem Treffen gibt es welche – noch eine Sensation. Leider ist nur das Bild der beiden Männer im Sitzen ikonisch geworden, es gibt aber noch ein anderes, auf dem die beiden sich beide Hände reichend gegenüberstehen: Ein sehr sprechendes brüderliches Bild – voller Herzlichkeit. Zumal: eine kostbare Versöhnungsgeste.
Frage: Anders als von vielen erwartet, gab es kein gemeinsames Dokument.
Schnabel: Dafür war das Treffen in Ur ein sehr starkes Zeichen. Aber wenn man so will, gibt es auch eine indirekte Erklärung durch die beiden jeweiligen Stellungnahmen von Papst und Großajatollah. Vielleicht kommt aber auch noch etwas im Anschluss. Ich glaube, dass da ganz langsam etwas wächst. Das Treffen selbst ist eine Botschaft: ein Papst im Irak und dies Begegnung. Wer hätte überhaupt gedacht, dass es zu dieser Reise kommt? Viele Zeichen werden wir erst im Nachhinein verstehen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass der Irak den Tag des Zusammentreffens von Papst und Großajatollah (6. März) zum "Tag der Toleranz" erklärt?
Frage: Ist das Symbolpolitik oder mehr?
Schnabel: Das ist im besten positiven Sinne symbolische Politik. Es steht außer Frage, dass es noch ein langer Weg ist. Nach dem Dokument von Abu-Dhabi gab es in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) auch das "Jahr der Toleranz" – das heißt ja aber auch nicht, dass diese jetzt ein Vorzeigestaat im Hinblick auf die Menschenrechte sind. Überhaupt: Die ganze Region wirft enorme Fragezeichen auf. Aber: Wenn jetzt ein Wettbewerb zwischen den Emiraten und dem Irak entstehen sollte, wer am meisten Toleranz lebt, dann freue ich mich auf diesen Wettbewerb. Man kann sich so einen Wettbewerb der Toleranz und Koexistenz nur wünschen. Das könnte eine konkrete Frucht der päpstlichen Mühen sein.
Frage: Was bedeutet die Reise in Hinblick auf den Iran?
Schnabel: Ich glaube, hier wird die Pluralität und Vielfältigkeit in der Region – auch innerhalb der islamischen Bekenntnisse – deutlich. Ali as-Sistani füllt im Irak seine Rolle anders aus als Ali Chamenei im Iran – aber was das für die Zukunft bedeuten kann, vermag ich nicht zu sagen.
Frage: Hat sich der Dialog mit dem Islam verändert unter Franziskus?
Schnabel: Die Päpste haben sich dem Islam unterschiedlich genähert. Zudem ist der christlich-islamische Dialog ein eher etwas mühsam wiederentdeckter Dialog im Westen im Vergleich zum innerchristlich-ökumenischen oder jüdisch-christlichen Dialog, in dem in den letzten 50 Jahren ja enorm viel gewaschen ist. Im Dialog mit dem Islam scheint mir der Weg noch etwas länger zu sein. Da muss man sich langsam und beharrlich vortasten. Offensichtlich ist Franziskus hieran aber sehr interessiert und will hier vorankommen.
Frage: Was bedeutet die Reise für das Christentum?
Schnabel: Das sehen wir vielleicht an der chaldäischen Liturgie, die der Papst gefeiert hat. Wir Europäer haben oft einen sehr eurozentrischen Blick. Das Christentum ist aber viel mehr als das alte Imperium Romanum. Wir haben nicht nur das westeuropäisch-römische und das osteuropäisch-griechische Standbein, sondern auch eine wichtige außereuropäische stützende Tradition im Zweistromland, in Asien. Der Papst hat sich hier vor dem außereuropäischen Christentum verneigt. Diese Tradition dürfen wir nicht vergessen, sonst sind wir ein kastriertes Christentum.
Frage: Wie sollte es weitergehen?
Schnabel: Es wird Zeit, dass wir endlich auch im liturgischen Kalender des Westens einen Festtag des Heiligen Abraham, der Heiligen Sara und der Heiligen Hagar einführen – und gerne dafür auf viele andere Heiligengedenktage verzichten, die nicht eine so zentrale universale Bedeutung haben. Die im Westen fehlende liturgische Verehrung der Erzeltern zeigt ja überdeutlich unseren blinden Fleck im Traditionsverständnis. Es wäre gut, wenn wir unsere gemeinsamen Wurzeln, die für die großen Monotheistischen Religionen in Ur liegen, auch liturgisch feiern. Papst Franziskus hat mit seinem Besuch und seinem "Gebet der Kinder Abrahams" dort jetzt einen ersten Schritt getan.