Moraltheologe: Beschluss zu ärztlicher Suizidbeihilfe "fatales Signal"
Der Tübinger Moraltheologe Franz-Josef Bormann hat die Aufhebung des berufsrechtlichen Verbots ärztlicher Suizidbeihilfe als "fatales Signal" im Hinblick auf das Berufsethos von Medizinern bezeichnet. Es sei ein moralisches Gebot, dass Ärztinnen und Ärzte nicht an der Suizidassistenz mitwirken sollten, sagte Bormann, der Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, am Donnerstag gegenüber katholisch.de. "Das hat auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts von seiner Bedeutung verloren."
Der Deutsche Ärztetag hatte am Mittwoch den Satz "Der Arzt darf keine Hilfe zur Selbsttötung leisten" aus der bundesweiten Musterberufsordnung gestrichen. Er reagierte damit auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, das das Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Beihilfe zum Suizid von 2015 aufgehoben und ein selbstbestimmtes Lebensende als Ausdruck des Persönlichkeitsrechts betont hatte. In dem Beschluss betont das Ärzteparlament zugleich, Aufgabe von Ärzten sei es laut Berufsordnung weiterhin, "das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten". Daraus ergibt sich nach Meinung der Delegierten klar, dass es "nicht zum Aufgabenspektrum der Ärzteschaft zählt, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten".
Der Ärztetag weise zwar zurecht daraufhin, dass Suizidassistenz kein medizinisches Regelangebot werden soll, so Bormann weiter. "Aber es hat natürlich eine große symbolische und politische Bedeutung, dass so ein wichtiger Satz aus der Musterberufsordnung gestrichen worden ist." Gleichwohl müsse man zwischen berufsethischer und berufsrechtlicher Komponente unterscheiden, unterstreicht der Moraltheologe. "Auch wenn nun die Vorgabe gilt, dass man die Suizidassistenz aus berufsrechtlicher Sicht nicht verbieten kann, sagt die verfasste Ärzteschaft, dass dies keine klassische ärztliche Aufgabe ist." Die dadurch transportierte Botschaft sei, dass sich jeder Arzt gut überlegen solle, ob mit einer Suizidassistenz nicht das ärztliche Ethos kompromittiert werde.
Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat mit Kritik auf die Entscheidung des deutschen Ärztetags reagiert. Dieser habe offenbar nach dem Karlsruher Urteil Rechtssicherheit für Ärzte herstellen wollen, sagte Präsident Thomas Sternberg. Das sei einerseits nachvollziehbar, andererseits sei zu sehen, welche negativen Folgen das Urteil habe. Zugleich begrüßte Sternberg "den ausdrücklichen Hinweis des Ärztetages, dass es primäres Ziel der Ärzte sei, Leben zu erhalten und Gesundheit wiederherzustellen". Entscheidend sei, dass das Ärzteparlament einen Ausbau der Suizidprävention verlange. Das ZdK plädierte zugleich für mehr palliative Angebote.
Caritas-Präsident: Mit christlichen Wertvorstellungen unvereinbar
Die Caritas zeigte sich enttäuscht von dem Beschluss. "Leider war damit zu rechnen, dass der Deutsche Ärztetag, noch bevor es das entsprechende Gesetz gibt, die Assistenz zum Suizid so konkret für sich in Betracht zieht", sagte Präsident Peter Neher. Allerdings werden zurecht die Bedeutung der Suizidprävention, die Notwendigkeit guter palliativer Angebote und einer adäquaten Begleitung der Menschen mit Sterbewunsch betont. Auch das grundsätzliche Bekenntnis zum Erhalt des Lebens als oberstes Ziel ärztlicher Tätigkeit sei zu begrüßen. Neher betonte, dass für die Ärztinnen und Ärzte der Caritas eine Suizidassistenz nicht mit den Wertvorstellungen einer christlichen Einrichtung zu vereinbaren seien.
Der Augsburger Weihbischof und Bioethik-Experte Anton Losinger befürchtet durch die Entscheidung des Deutschen Ärztetags ein "humanes Problem der künftigen Gesellschaft". Es sei dadurch eine schiefe Ebene entstanden, auf der sich ärztliches Ethos und organisierte Sterbehilfe gefährlich mischten und eine Beschleunigung des Balls in einer Kurve nach unten in Gang komme, sagte Losinger. Die Deutsche Bischofskonferenz warne vor dem fatalen Trend, dass sich die Entscheidung zum freiverantwortlichen Suizid und zur Suizidbeihilfe als quasi "normale Form" des Sterbens in Pflegesituationen entwickeln könnte. "Auch mit der nüchternen Einsicht, dass sich Suizide niemals gänzlich verhindern lassen können, bleibt die Herausforderung an eine Gesellschaft mit humanem Antlitz, Hilfen zum Leben bereitzustellen anstatt Sterbehilfeorganisation zu leisten."
Vor zwei Wochen fand im Deutschen Bundestag eine Orientierungsdebatte Im Hinblik auf ein Gesetz zur Suizidassistenz statt. Dabei ewarnten viele der Redner vor einer Normalisierung der Selbsttötung und einem möglichen Missbrauch der Beihilfe. Viele forderten eine Stärkung von Palliativmedizin und Hospizen sowie einen Ausbau der Suizidprävention. (mal)
7.5., 11.15 Uhr: ergänzt um das Statement von Weihbischof Losinger.