80 Jahre Computer – und die Kirche war (fast) von Anfang an dabei
Der Computer wird 80. Am 12. Mai 1941 stellte der Ingenieur Konrad Zuse die Rechenmaschine Z3 in der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrttechnik in Berlin vor: Der erste funktionsfähige, vollautomatische, programmgesteuerte und frei programmierbare Computer der Welt markierte einen wichtigen Schritt hin zu einer Informationsgesellschaft. Wie diese Entwicklung im Vatikan aufgenommen wurde, ist nicht überliefert – Entwicklungen auf dem Gebiet der Informatik standen während des Zweiten Weltkriegs wohl nicht auf der Beobachtungsliste der Kirche, und so muss man schon sehr in den Details der Archive graben, um hier die Kirchen- mit der Technikgeschichte zu verknüpfen. Doch – der computergestützten Enyzklopädie Wikipedia sei Dank – die Verbindung lässt sich finden: Wenige Tage nach Zuses Präsentation der Z3 wird der italienische Jesuit Roberto Busa zum Priester geweiht – und dessen Wirken als Linguist und Theologe ist untrennbar mit den neuen Möglichkeiten der automatischen Informationsverarbeitung verknüpft.
Pater Busa forschte an der Gregoriana zu Thomas von Aquin. Schon in seiner Doktorarbeit mit dem Titel "La Terminologia Tomistica dell'interiorità" ("Die thomistische Terminologie der Innerlichkeit") befasste er sich ganz kleinteilig mit dem Werk des Aquinaten und seiner Sprache: Er hatte sich die Lemmatisierung, also die Verschlagwortung der Werke des Kirchenlehrers auf die Fahnen geschrieben – ein Projekt, das angesichts des Umfangs mehr als ein Forscherleben ausfüllen würde. Doch Busa wird zum Pionier der Computerlinguistik und der "Digital Humanities", der geisteswissenschaftlichen Forschung mit informatorischen Mitteln: Mit der Unterstützung des IBM-Gründers Thomas J. Watson entstand der schließlich 56-bändige "Index Thomisticus" mit einem Umfang von über 70.000 Seiten. Über die Jahre entwickelten Busa und IBM die Methoden und die Technik immer weiter – und heute ist der Index Thomisticus natürlich im Netz zugänglich.
Das amerikanische "Time Magazine" berichtete 1956, wie der Mailänder Erzbischof Giovanni Battista Montini die riesigen IBM-Computer zur Einweihung gesegnet hatte: "Auf den ersten Blick", so der Erzbischof, "scheint es, dass die Automatisierung, die den Maschinen Aufgaben überträgt, die vorher dem Genius und der Arbeit des Menschen vorbehalten waren, so dass die Maschinen denken und sich erinnern und korrigieren und kontrollieren, einen noch größeren Unterschied zwischen dem Menschen und der Betrachtung Gottes schaffen würde. Aber das ist nicht so. Es darf nicht so sein. Indem wir diese Maschinen segnen, bewirken wir, dass ein Vertrag geschlossen wird und ein Strom zwischen dem einen Pol, der Religion, und dem anderen, der Technologie, fließt. Diese Maschinen werden zu einem modernen Mittel des Kontakts zwischen Gott und Mensch."
"Wenn man von irgendeinem humanistischen Unterfangen sagen kann, dass es mit der bestehenden Technologie Schritt gehalten hat, dann von Pater Roberto Busas 'Index Thomisticus'", heißt es in einer begeisterten Rezension aus den 1980er Jahren in der Zeitschrift "Computers and the Humanities". Dabei nutzte Busa die Informationstechnik nicht, "um schneller herzustellen, was Gelehrte schon immer mühsam von Hand gemacht hatten, sondern um menschliche Ressourcen von den mechanischen Aufgaben des Zählens, Sortierens und Kopierens zu befreien und sie für die Arbeit an der Art von Referenzarbeit einzusetzen, die ohne die Hilfe des Computers kaum denkbar wäre", so die Rezension weiter. Busa blieb der Pionierarbeit treu: Noch im hohen Alter gründete er in den 1990er Jahren in Mailand die "Gruppo Interdisciplinare per le Ricerche della Computerizzazione dei Segni dell'Espressione" (GIRCSE) und lehrte von 1995 bis 2000 Künstliche Intelligenz und Robotik.
Die Computerlinguistik stellt Weichen für das Kirchenrecht
Busas Werk war primär ein wissenschaftliches. Doch die methodische Vorarbeit in der Philosophie des Mittelalters hatte schon bald Auswirkungen auf die kirchliche Zeitgeschichte: Das 1952 in Mailand gegründete "Istituto per le Scienze Religiose" (ISR) in Mailand machte sich die computergestützte Textanalyse zu eigen. Ebenfalls in einem Artikel in "Computers and the Humanities" berichtete der am ISR tätige Kirchenhistoriker Alberto Melloni, wie computergestützte Textanalyse im Nachgang des Zweiten Vatikanums das Kirchenrecht mit beeinflusst hatte: Bei den Arbeiten an einer Revision des Kirchenrechts wurde zunächst auch ein Grundgesetz für die Kirche angedacht, eine "Lex Ecclesiae Fundamentalis". Das Projekt scheiterte – laut Melloni auch aufgrund einer automatisierten Textanalyse, nachdem es zuvor schon Einwände dagegen gegeben hatte, dass die Entwürfe des Grundgesetzes zentralen Inhalten des Konzils widersprechen würde: "Wesentliche Unterstützung der Proteste kam von einer Studie, die die sprachliche Inkohärenz zwischen der sogenannten Lex Ecclesiae Fundamentalis und dem Vatikanum II aufzeigte", so Melloni.
Das ISR spezialisierte sich daraufhin auf die Digitalisierung und Analyse von Lehrdokumenten, dem Kirchenrecht und der Werke des Konzilspapstes Johannes XXIII., auch in Zusammenarbeit mit Pater Busa. Unter anderem sollte anhand eines Vergleichs des vor- und nachkonziliaren Kirchenrechts und der Texte des Zweiten Vatikanums erforscht werden, wie Konzil und Kirchenrecht zueinander im Verhältnis stehen. "Eine linguistische und statistische Untersuchung dieser drei Dokumente wird genauere Antworten geben und das Kirchenrecht tatsächlich in den Bereich der computergestützten Forschung in den Geisteswissenschaften bringen", versprach Melloni.
Johannes Paul II. brachte die Computer in den Vatikan und den Vatikan ins Netz
Explizit im Lehramt der Kirche kam die Digitalisierung vor allem mit Papst Johannes Paul II. an: Schon zu Beginn der 1980er Jahre erkannte der Autor mehrerer der bedeutendsten Sozialenzykliken die Bedeutung der Digitalisierung für die Gesellschaft. "Der Aufschwung der Informatik zum Beispiel vervielfacht die schöpferischen Fähigkeiten des Menschen und eröffnet den Zugang zu den intellektuellen wie kulturellen Reichtümern anderer Völker", heißt es in der Enzyklika "Dives in Misericordia" von 1980, und schon 1981 in der Sozialenzyklika Laborem Exercens über die menschliche Arbeit bemerkt der Papst, dass Fortschritte "auf den Gebieten der Miniaturisierung, der Informatik, der Telematik und anderen" auch eine Auswirkung auf die menschengemäße Gestaltung der Arbeitswelt haben – eine Frage, die auch heute noch in der Sozialethik aktuell ist.
Johannes Paul II. war es auch, der den Vatikan Ende der 1990er ins Internet brachte – mit Hilfe der amerikanischen Ordensfrau Judith Zoebelein. Der Präfekt der päpstlichen Güterverwaltung, Kardinal Rosalio Castillo Lara, hatte die Franziskanerin 1991 in den Vatikan geholt, um zunächst die interne Technik des Vatikan auf Vordermann zu bringen. "Das hat damals in Italien gerade erst begonnen, und als die ersten PCs in den verschiedenen Büros im Vatikan auftauchten, wollte Kardinal Lara sichergehen, dass es dafür ein gewisses Maß an Koordination und einheitlichen Standards gab", erzählte Zoebelein im Interview mit katholisch.de. Zusammen mit dem Pressesprecher des Vatikan, Joaquín Navarro-Valls, stellte sie Mitte der 1990er dem Papst die Idee vor, den Vatikan ins Internet zu bringen. Johannes Paul II. war sofort begeistert. "Er war ein großer Visionär", erinnert sich Zoebelein. "Er hat sofort zugestimmt, und Weihnachten 1995 war es dann soweit: Wir stellten unsere erste Seite ins Netz", und ab da war das Netz nicht mehr aus der Kommunikation des Vatikan wegzudenken – am Anfang mit nur drei Servern: Der Rechner "Raphael" war für die Inhalte zuständig, die Firewall hieß "Michael", und der Server für die E-Mails "Gabriel".
Dass die informationstechnische Revolution vor allem eine Chance ist, die es zu ergreifen gilt, war für Johannes Paul II. klar. "Man soll keine Angst davor haben, auf den großen Ozean der Informatik 'hinauszufahren', denn die Frohe Botschaft kann das Herz der Männer und Frauen des neuen Jahrtausends auch durch dieses Medium erreichen", sagte er bei seiner Ansprache beim Regina Coeli an Christi Himmelfahrt im Jahr 2002 am 12. Mai – auf den Tag genau 61 Jahre, nachdem Konrad Zuse mit seiner Z3 das erste hochseetüchtige Schiff für den Ozean der Informatik vorgestellt hatte.