Verletzungsgeschichten von Ausgetretenen sind ein wichtiges Zeugnis
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Vergangene Woche stand in einer Zeitung die bewegende Geschichte einer 86-jährigen Frau. Trotz aller empfundenen Kränkungen und oftmals schweren Haderns hat sie sich von klein auf in ihrer Gemeinde engagiert und der katholischen Kirche die Treue gehalten. Doch der Umgang der Kirche mit den Betroffenen sexualisierter Gewalt und zuletzt die vatikanische Absage an die Segnung homosexueller Paare hat für sie endgültig das Fass zum Überlaufen gebracht. Sie ist ausgetreten.
In den vergangenen Monaten häufen sich solche Meldungen. Da sind Mitbegründerinnen der Initiative "Maria 2.0", die es laut eigener Aussage nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren können, Mitglieder der katholischen Kirche zu sein – oder eine Pastoralreferentin aus Potsdam, die nicht mehr an die katholische Kirche glaubt, "noch an den Gott, den sie Tag für Tag in ihren Taten verkündet". Das sind nur die "prominentesten" Beispiele.
Längst treten nicht mehr nur diejenigen aus, die mit dem Thema Glauben sowieso nichts mehr am Hut haben oder einfach nur die Kirchensteuer sparen wollen. Auch Menschen, in deren Leben der Glaube eine zentrale Rolle spielt, sehen inzwischen angesichts einer von Verletzungen und Starrheit bestimmten Kirche oft keinen anderen Ausweg mehr.
Wenn sie ihre Geschichten erzählen, treten manche zum Teil noch nach und überschütten sie mit Häme. Die Kirche sollte es aber genau andersherum machen. Sie muss sich der Verletzungsgeschichten, die diesen Austritten vorausgehen, annehmen und daraus Anfragen an sich selbst ableiten: Passen unsere Struktur und unser Auftreten zu dem Gott, den wir verkünden? Sehen wir zu oft Paragrafen und zu selten den Menschen? Gerade in einer Kirche, die aktuell intensiv um solche Themen ringt, ist das Zeugnis derer, die trotz eines lebendigen Glaubens aus der Kirche ausgetreten sind, enorm wichtig. Deshalb ist die Kirche aufgerufen, viel offensiver das Gespräch mit ihnen suchen. Mehr noch: Sie muss um sie kämpfen wie Paare um ihre Beziehung kämpfen. Denn mit jedem Menschen kämpft sie auch um sich selbst: ihre Authentizität, ihre Strahlkraft und – ja, auch – ihre Christustreue. Denn der gute Hirte, der sich um seine Schafe sorgt und der den Menschen aufgetragen hat, unter allen Umständen einander zu lieben, der lässt niemanden einfach ziehen.
Der Autor
Matthias Altmann ist Redakteur bei katholisch.de.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider.