Keine Kinderrechte im Grundgesetz: Katholische Verbände uneinig
Die vorerst gescheiterte Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz ist in der katholischen Kirche auf ein unterschiedliches Echo gestoßen. Während der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) am Dienstag das Scheitern der Verhandlungen im Bundestag bedauerte, äußerten sich der Familienbund der Katholiken und die Katholische Elternschaft Deutschlands (KED) positiv. Bundesjustizministerin Christine Lamprecht, die nach dem Rücktritt von Franziska Giffey (beide SPD) derzeit kommissarisch auch das Familienministerium leitet, hatte das Scheitern der geplanten Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung am Montagabend nach der abschließenden Verhandlungsrunde mit den Bundestagsfraktionen in Berlin bekanntgegeben. Der Union und der Opposition habe der Wille zur Einigung gefehlt, so die Ministerin.
Der BDKJ erklärte am Dienstag: "Kinderrechte gehören ins Grundgesetz!" Dies hätten die vergangenen Monate überdeutlich gezeigt. "In den letzten Monaten wurden die Kinderrechte in Deutschland massiv eingeschränkt: Kindern wurde das volle Recht auf Bildung vorenthalten, ihr Recht auf Spiel, Erholung und Freizeit war stark eingeschränkt und gerade ihr Recht auf Gesundheit wurde nicht umgesetzt", so die BDKJ-Bundesvorsitzende Daniela Hottenbacher. Ihrer Ansicht nach wäre es ein starkes Zeichen gewesen, wenn sich die Politik klar zu den Rechten von Kindern bekannt und sie ins Grundgesetz aufgenommen hätte. Durch das Scheitern der Verhandlungen bleibe eine historische Chance ungenutzt. Der fehlende Wille zur Einigung sei ein schlechtes Zeichen für die Rechte von Kindern in Deutschland.
Familienbund: Kinder brauchen keine Verfassungsänderung
Der Familienbund der Katholiken bestritt auf Anfrage von katholisch.de dagegen die Notwendigkeit von Kinderrechten im Grundgesetz. "Kinder brauchen keine Verfassungsänderung, sondern eine engagierte, mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattete Familienpolitik. Den Auftrag dafür enthält das Grundgesetz bereits mit dem 'besonderen Schutz' der Familie", so Familienbund-Präsident Ulrich Hoffmann. Die Grundrechte des Grundgesetzes schützten alle Menschen und somit auch Kinder, Schutzlücken für Kinder bestünden nicht.
"Der gleiche Schutz aller Menschen durch die Grundrechte ist eine historische und zu bewahrende Errungenschaft. Dem widersprechen Sondergrundrechte für einzelne Personengruppen, bei denen nicht absehbar ist, ob sie langfristig zu Bevorzugungen oder Benachteiligungen führen", so Hoffmann weiter. Neue Kinderrechte im Grundgesetz könnten zudem als Einschränkung des Erziehungsrechts der Eltern interpretiert werden und die Befugnisse des Staats, in das Familienleben einzugreifen, erweitern. "Der Staat ist aber nicht der bessere Erzieher und sollte nur eingreifen, wenn das Kindeswohl gefährdet wird – so wie es aktuell im Grundgesetz geregelt ist", erklärte der Verbandspräsident.
„Alle Menschen haben laut Grundgesetz die gleichen Rechte. Das sollten wir erst einmal umsetzen, bevor wir am Grundgesetz rumschrauben.“
Die KED äußerte sich gegenüber katholisch.de ähnlich. "Alle Menschen haben laut Grundgesetz die gleichen Rechte. Das sollten wir erst einmal umsetzen, bevor wir am Grundgesetz rumschrauben", sagte die Bundesvorsitzende Marie-Theres Kastner. Gerade in den vergangenen Monaten sei offenbar geworden, dass die Politik sich zwar verbal zu den Interessen von Familien äußere, aber in ihren Handlungen weit dahinter zurück bleibe. Es müsse jetzt dringend darum gehen, Kindern und Jugendlichen das gleiche grundgesetzlich garantierte Gehör zu verschaffen, dass Erwachsene in diesem Land auch hätten, so die Verbandsvorsitzende.
Ministerin beklagt Verpassen von "historischer Chance"
"Es ist doch bezeichnend, dass Umfrageinstitute jetzt Erwachsene zum Lockdown und den Auswirkungen auf die Kinder befragen, anstatt die Kinder und Jugendlichen selber zu befragen", erklärte Kastner weiter. Es brauche dringend einen Perspektivwechsel der gesamten Gesellschaft. Kinder seien Bestandteil unserer Gesellschaft mit allen Rechten und Pflichten. Man erlebe es bei allen Wahlen, dass die Parteiprogramme sich ausschließlich an den Interessen der Erwachsenen orientierten.
Ministerin Lambrecht hatte am Montagabend dagegen betont, dass Kinder besonders schutzbedürftig seien; die Corona-Pandemie habe dies eindrücklich vor Augen geführt. "Wir hatten heute die historische Chance, die Kinderrechte als sichtbares Leitbild in unserem Grundgesetz zu verankern. Ich bedauere zutiefst, dass der Streit über Detailfragen eine Einigung bei diesem so wichtigen Vorhaben verhindert hat", beklagte die SPD-Politikerin. Und weiter: "Unsere Kinder hätten es verdient gehabt, dass sich alle zusammenraufen und im Sinne der Sache zu einer Lösung kommen."
Für eine Änderung des Grundgesetzes ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Diese sei nur erreichbar, wenn es eine Bereitschaft zum Kompromiss in der Sache gebe. "Daran hat es heute gefehlt. Dies ist besonders schade, weil wir kurz vor einer Einigung standen und diese Gelegenheit so schnell nicht wiederkommen wird", sagte die Ministerin.
Gegner befürchten Stärkung der Position des Staates zulasten von Familien
Ein Regierungsvorschlag hatte vorgesehen, in Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes folgenden Satz einzufügen: "Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt." Damit sollten das bestehende Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat sowie der grundrechtliche Schutz des ungeborenen Lebens unangetastet bleiben.
Viele Kinderschutzorganisationen fordern seit Jahren eine Verankerung von Kinderrechten. Durch die Festschreibung in der Verfassung, so argumentieren die Befürworter, bekämen die Belange von Kindern ein ganz neues Gewicht und müssten etwa bei der Gesetzgebung immer mitgedacht werden. Gegner äußern dagegen die Befürchtung, dass durch die Aufnahme in das Grundgesetz die Position des Staates zulasten von Familien gestärkt werden könnte.
08.06.2021, 15:10 Uhr: ergänzt um die Stellungnahme der KED