Kardinal Müllers neuer Job: Was macht die Apostolische Signatur?
Für säkulare Ohren klingt das neue Amt von Kardinal Gerhard Ludwig Müller beeindruckend: Mitglied des höchsten Tribunals der Apostolischen Signatur – also Richter am höchsten Gericht der katholischen Kirche. Tatsächlich ist das Amt als katholischer Höchstrichter nicht zu vergleichen mit den säkularen Höchstgerichten, sei es das deutsche Bundesverfassungsgericht, der Europäische Gerichtshof oder der US-amerikanische Supreme Court: Zwar gibt es auch in der Kirche eine vergleichbare Institution, die letztverbindlich für ihren Bereich Recht spricht, und deren Entscheidung nicht überprüft werden kann – das ist aber nicht das höchste Gericht, sondern der Papst selbst. Gewaltenteilung ist der Kirche nicht nur fremd, sondern in ihr auch nur schwer überhaupt zu denken dank ihrer hierarchischen Verfassung, in der in den Bischöfen und letztendlich im Papst alle Gewalten vereint sind, die in Rechtsstaaten getrennt sind. Bischöfe sind selbst die ersten Richter ihrer Diözese.
Da weder die Bischöfe noch der Papst alles entscheiden können, was in ihrem Zuständigkeitsbereich an Rechtsfragen aufkommt, gibt es seit Jahrhunderten eine Tradition kirchlicher Gerichte. Für die Apostolische Signatur fängt sie vor über 500 Jahren an: Ab etwa dem 13. Jahrhundert waren die Vorgänger der heutigen Signatur dafür zuständig, an den Papst gerichtete Bittschriften, die sogenannten Suppliken, zu unterzeichnen – daher die für ein Gericht ungewohnte Bezeichnung "Signatur". Papst Eugen IV. (1431–1447) richtete dafür die erste Behörde ein, die seine Nachfolger in zwei Sektionen unterteilten: Die Signatura gratiae, die für Gnaden- und Gunsterweise zuständig war, und die Signatura iustitiae, eine Art Gericht. Während die Signatura gratiae ihre Bedeutung verlor, entwickelte sich die Signatura iustitiae zum Obersten Gericht des Kirchenstaats, das mit dessen Ende 1870 seine Bedeutung verlor.
Berufungsgericht, Verwaltungsgericht und Justizministerium
In ihrer heutigen Form als höchstes Gericht der Kirche wurde die Signatur erst 1908 von Papst Pius X. (1903–1914) neu errichtet. Papst Paul VI. (1963–1978) ergänzte 1968 eine zweite Sektion, einen Verwaltungsgerichtshof, um mit der Kurienreform von Papst Johannes Paul II.(1978–2005) 1988 ihre heutige Gestalt mit drei Sektionen zu erreichen: eine für gerichtliche Angelegenheiten, die etwa über Rechtsmittel gegen die unteren Instanzen und Kompetenzkonflikte zwischen kirchlichen Gerichten entscheidet, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Verwaltungsakte kirchlicher Instanzen überprüfen kann, und eine Sektion für administrative Angelegenheiten, die in ihrer Funktion mit einem Justizministerium vergleichbar ist. Den letzten Stein legte Papst Franziskus 2020, als er die Signatur zusätzlich noch zum obersten Kassationshof des Vatikanstaats machte, ihm also auch die letzte Entscheidung über Rechtsmittel gegen bestimmte Entscheidungen der Gerichte des Staats der Vatikanstadt übertrug.
Auf die neu ernannten Mitglieder der Signatur kommt also vor allem viel relativ trockene Arbeit zu. Spektakuläre Grundsatzentscheidungen mit weitreichenden politischen Entscheidungen, wie sie staatliche Höchstgerichte fällen, kann sie gar nicht treffen – solche Entscheidungen liegen beim Papst, der nicht wie ein säkularer Regierungschef von Gerichten kontrolliert wird. Die Verfahren finden dabei in der Regel auf der Basis von Akten ohne mündliche Verhandlung statt, die von Kollegien aus in der Regel fünf Richtern beraten werden – die einzelnen Richter haben allein also nur die Macht ihres Wortes.
Ins Licht der Öffentlichkeit kommt die Arbeit der Signatur dabei selten. Sie selbst veröffentlicht keine Entscheidungen und berichtet nur jährlich in den "Attività della Santa Sede", dem Jahresbericht des Heiligen Stuhls. Ausgewählte Entscheidungen werden in kirchenrechtlichen Zeitungen kommentiert, bisweilen berichten auch Prozessbeteiligte wie im Fall des aufgelösten Birgittenklosters Altomünster, in dem das beteiligte Erzbistum München und Freising 2018 über das Ergebnis des Prozesses informierte.
Kardinal Müller ist kein Unbekannter bei der Signatur
Für einen der prominentesten und öffentlichkeitswirksamsten Fälle sorgte ausgerechnet einer der neuen Richter: Als Bischof von Regensburg ordnete Gerhard Ludwig Müller seine Laienräte im Bistum neu: Die Dekanatsräte und der Diözesanrat wurden abgeschafft, ein neues Diözesankomitee als oberste Laienvertretung eingesetzt – eine Entscheidung, die auf enorme Proteste stieß und unter anderem vom Präsidenten des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) Hans Joachim Meyer als "nicht hinnehmbare Rechtsverletzung" gesehen wurde, die ohne Anhörung der Betroffenen und gegen die Festlegung von Zweitem Vatikanischen Konzil und Würzburger Synode sei. Die Signatur hatte auf die Klage von betroffenenen Laien mittels eines "hierarchischen Rekurses" über die Rechtmäßigkeit von Bischof Müllers Reform zu entscheiden. Der Rekurs ist die einzige Möglichkeit, Verwaltungsakte von Bischöfen zu überprüfen. 2007 entschied das Höchstgericht – zugunsten seines heutigen Richters.
Zuletzt war die Signatur 2019 in den Schlagzeilen, als sie einen Priester der Gemeinschaft "Das Werk" freisprach, dem sexualisierte Gewalt vorgeworfen wurde. Die Entscheidung kam nicht etwa über eine offizielle Mitteilung ans Licht, sondern über die Presse – die Herder-Korrespondenz berichtete zuerst über den Freispruch. Auch die Betroffene Doris Reisinge erfuhr nach eigener Aussage erst durch diese Medienveröffentlichung von dem Fall. Wie der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sah sie in dem Vorgang, in dem sie nicht angehört wurde und bei dem ein dem "Werk" nahestehender Richter an dem Beschluss beteiligt war, als Zeugnis für die mangelnde Rechtskultur der Kirche.
Drei neue deutsche Richter
Warum jetzt gleich drei Deutsche als Richter berufen wurden, nachdem jahrelang der emeritierte Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff das einzige deutsche Mitglied der Signatur war, ist nicht bekannt. Mussinghoff, der im aktuellen päpstlichen Jahrbuch noch als Mitglied der Signatur geführt wird, wurde im Vorjahr 80 und ist damit wohl nicht mehr lange im Amt. Denkbar ist, dass mit den drei Neuen Landes- und Sprachkenntnis im Kollegium erhalten und ausgebaut werden soll, da mit der angekündigten kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit für die deutschen Diözesen mehr Fälle aus Deutschland zu erwarten sind, die in die letzte Instanz nach Rom gehen. Zudem sind auch die vielen Reform- und Pfarreiumstrukturierungsprozesse potentiell konfliktträchtig, wie der Trierer Fall gezeigt hat, mit dem die Großgemeinden in der ursprünglich geplanten Form verhindert wurden – allerdings bereits von der Kleruskongregation, nicht durch die Signatur. Mit zwei Weihbischöfen aus verschiedenen Diözesen und einem ursprünglich aus einer dritten Diözese stammenden Kardinal ist die Gefahr verringert, dass alle mit Deutschland vertrauten Richter zugleich befangen sind.
Die Nominierung Müllers hat dabei für Überraschung gesorgt: Der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation ist zwar ein ausgewiesener und renommierter Dogmatiker. Als Kirchenjurist ist er über die Pflichtbestandteile des Theologiestudiums hinaus aber nicht formal qualifiziert, genausowenig wie der zugleich mit ihm berufene US-amerikanische Kardinal Joseph William Tobin. Eine formale kirchenrechtliche Ausbildung, wie sie die anderen neuen Richter haben, ist den in einem eigenen Gesetz niedergelegten Regeln für die Signatur zufolge aber auch gar nicht erforderlich: Ein Doktorat des Kirchenrechts wird nur von Richtern verlangt, die keine Bischöfe sind.
Was fachlich fragwürdig klingt, ist ekklesiologisch nachvollziehbar: Bischöfen kommt qua Weihe das Richteramt in ihrem Bistum zu, egal welche formale Qualifikation sie haben. Im Fall Müllers kommt dazu, dass er bereits als Präfekt der Glaubenskongregation einer Behörde vorstand, die gerichtliche Funktionen wahrnimmt: "Sie urteilt über Straftaten gegen den Glauben und über schwerwiegendere Straftaten gegen die Sitten und solche, die bei der Feier der Sakramente begangen wurden", heißt es in der Apostolischen Konstitution “Pastor bonus”, mit der Papst Johannes Paul II. 1988 seine Kurienform umsetzte.
Richter in Teilzeit
Eine Vollzeittätigkeit ist das Richteramt an der Signatur nicht. Viele der Richter sind zugleich Diözesanbischöfe. Weihbischof Dominicus Meier aus Paderborn und Weihbischof Christoph Hegge aus Münster werden weiterhin in ihren Bistümern wirken und nicht ganz nach Rom wechseln. Laut dem Jesuiten und Kurienkenner Thomas Reese gehen pro Jahr nur zwischen zehn und dreißig Appellationen bei der Signatur ein, von denen die meisten bereits auf Ebene der Mitarbeiter abgelehnt würden. Aktuellere Zahlen als die von Reese vor 20 Jahren veröffentlichten sind nicht bekannt.
Warum es bei einer so großen Weltkirche nur so wenige rechtliche Beschwerden gibt, die es bis ans höchste Gericht schaffen, erläutert gegenüber Reese ein ungenannter Mitarbeiter der Signatur so: "Man geht davon aus, dass Menschen, die in der Kirche Machtbefugnisse haben, angesichts des Charakters der Kirche und des pastoralen Amts ihr Bestes geben, um alles Erforderliche zu tun, damit die Rechte der Menschen respektiert werden und gesetzestreu gehandelt wird." Deshalb sollte es nur selten vorkommen, dass eine höhere Autorität sagen müsste, ein Bischof oder Ordensoberer habe das Gesetz gebrochen. Ob das nur ein frommer Wunsch ist, wird sich zumindest in Deutschland wohl bald zeigen, wenn eigene kirchliche Verwaltungsgerichte mehr Einblicke zulassen als die diskrete Welt der römischen Kirchengerichte.