Mitgeweihter: Dass Ratzinger "unheimlich gescheit war, fiel bald auf"
70 Jahre werden es am 29. Juni, dem Fest Peter und Paul, dass der Münchner Fritz Zimmermann (95) im Freisinger Dom zum Priester geweiht wurde. Zu den 44 Kandidaten gehörten auch die Brüder Georg und Joseph Ratzinger. Heute leben noch fünf Priester aus seinem Weihejahrgang 1951. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit Zimmermann über den Weihetag, sein langes Priesterleben und die Situation der Kirche heute.
Frage: Der 29. Juni 1951 war ein "strahlender Sommertag", schreibt Joseph Ratzinger über seine Priesterweihe. An was erinnern Sie sich?
Zimmermann: Das Wetter war einmalig; vor allem aber war es eine sehr schöne Feier mit Kardinal Michael von Faulhaber. Ich habe im Büro ein Schwarz-Weiß-Bild hängen, das mich mit zwei weiteren Kandidaten zeigt, wie wir die Weihe empfangen. Die Kirche war gesteckt voll. Um 9 Uhr hat der Gottesdienst begonnen und sehr lange gedauert. Wir waren 44 Kandidaten; außerdem wurden noch zwei oder drei Ordensleute geweiht. Der Kardinal hat das sehr würdig, aber auch sehr langsam gemacht. Er war ja 82 Jahre. Und alles war auf Latein.
Frage: Von solch starken Weihejahrgängen kann die Kirche heute nur träumen. War die Kriegserfahrung mit einer der Beweggründe, dass sich damals so viele Männer für das Priesteramt entschieden?
Zimmermann: Das war sicher mit ausschlaggebend. Ich selber war Ministrant in der Münchner Pfarrei Sankt Sebastian und wollte schon früh Priester werden. Aber dann kam der Krieg, und wir wussten nicht wie es weiter gehen wird. Sollten die Nazis siegen, war klar, dann würde die Kirche ausradiert. Obwohl es in der NS-Zeit strengstens verboten war, hielten wir Ministranten zusammen und machten mit den Kaplänen etwa Radtouren. Hätte einer geredet, wäre der Kaplan ins Gefängnis gekommen. Ich bin dann eingezogen worden und kam 1945 für drei Monate in Kriegsgefangenschaft am Rhein. Im Januar 1946 konnte ich endlich mit dem Theologie-Studium am Freisinger Domberg beginnen.
Frage: Dort war damals das Priesterseminar der Erzdiözese München und Freising. Wie muss man sich dieses vorstellen?
Zimmermann: Also mit Einzelzimmern war nichts. Es gab Studier- und Schlafsäle. Letztere waren für zehn bis zwölf Personen ausgelegt. Aber vom Krieg waren wir eh nichts anderes gewohnt. Wir waren einfach nur froh, endlich mit dem Studieren anfangen zu können.
Frage: Wie war Ihre Verbindung zu den Ratzinger-Brüdern?
Zimmermann: Immer bestens. Dass der Joseph unheimlich gescheit war, fiel bald auf. Er hat zuerst in München studiert und kam dann zum Alumnat, ein Jahr vor der Priesterweihe, nach Freising. Das Verhältnis unter den Seminaristen war gut, weil jeder glücklich war, dem Krieg entronnen zu sein.
Frage: Wie ging Ihr priesterlicher Weg weiter?
Zimmermann: Am 8. August hatte ich Primiz in Sankt Sebastian. Danach folgten Aushilfen und Kaplansjahre in den Münchner Pfarreien Königin des Friedens und Mariahilf. Im März 1961 kam die Anfrage vom Ordinariat, ob ich in München-Fürstenried, wo ein neuer Stadtteil entstand, eine Gemeinde aufbauen möchte. Das wollte ich. Da war nix, keine Kirche, kein Pfarrhaus. Erst hatten wir nur ein Zelt und ab 1964 eine Kirche. Lauter junge Familien zogen zu. Bis 2008 war ich Pfarrer von Karl Borromäus. Am Ende habe ich die Kinder meiner früheren Täuflinge getauft. Zu einer Menge Leute habe ich noch gute Kontakte. Wir hatten viele Ministranten und auch Ministrantinnen.
Frage: Diese Aufbauarbeit fiel in die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Welche Hoffnung hatten Sie?
Zimmermann: Wir hofften auf eine Erneuerung der Kirche. Das fing bei der Liturgie an, die endlich in Deutsch möglich war - eine große Befreiung. So gern ich das Latein mag, aber es ergibt keinen Sinn, den Leuten das Evangelium lateinisch vorzulesen, und keiner versteht es. Übrigens hatten wir schon in Königin des Friedens in der Kapelle heimlich einen sogenannten Volksaltar, so dass der Priester nicht mehr mit dem Rücken zu den Gläubigen stand. In Karl Borromäus war der Altar in der Mitte des Gotteshauses.
Frage: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren vier lebenden Kurskollegen?
Zimmermann: Ja. Früher haben wir jährlich einmal ein Kurstreffen gemacht. Jetzt telefoniere ich regelmäßig mit ihnen, auch wenn manche Schwierigkeiten mit dem Hören haben. Vom emeritierten Papst habe ich keine direkte Durchwahlnummer. Als sein Bruder Georg noch lebte, rief ich diesen an, und er erzählte ihm alles im nächsten Telefonat. Zuletzt habe ich Benedikt XVI. zu seinem Geburtstag geschrieben und auch einen persönlichen Brief zurückerhalten.
Frage: Die katholische Kirche ist in die Krise geraten. Wie sehen Sie die Situation?
Zimmermann: Die großen Streitigkeiten bringen nicht viel. Die Leute suchen nach dem Sinn des Lebens. Hier ist die Kirche gefordert und muss das Evangelium verkünden, auch wenn sie in der Öffentlichkeit wohl künftig eine andere Stellung haben wird. Natürlich bedarf es struktureller Änderungen genauso wie einer stärkeren Einheit mit den evangelischen Mitbrüdern. Am wichtigsten aber ist: Die Leute müssen sehen, dass da einer seinen Glauben lebt und dieser ihm Kraft gibt. Da ist jeder Priester, Bischof und jeder Gläubige gefordert.
Frage: Und welche Zukunft sehen Sie für die Frauen in der Kirche?
Zimmermann: Es ist schon einiges getan worden, dass Frauen wichtige Posten in der Kirche bekommen. Aber es müsste noch mehr möglich sein. Mit dem Priesteramt bleibt es wohl schwierig. Aber Frauen sollten Diakoninnen werden können. Das wäre ein erster Schritt. Ich glaube, Papst Franziskus würde es auch machen, aber er stößt im Vatikan auf Schwierigkeiten.