Kardinal Kasper: Mehrheit der Gläubigen will "Alte Messe" nicht
Nach Ansicht des emeritierten deutschen Kurienkardinals Walter Kasper ist eine "überwältigende Mehrheit" der katholischen Gläubigen entschieden gegen die vorkonziliare Form der Liturgie. Einige Anhänger dieser Form würden sie skandalisieren, indem sie glaubten, dies sei die einzige wahre katholische Messe und indem sie das Zweite Vatikanische Konzil "mehr oder weniger in seiner Gesamtheit" ablehnten, erklärte Kasper am Donnerstag gegenüber der US-Zeitschrift "National Catholic Register".
Einige Gläubige, die die "Alte Messe" besuchten, hätten die Bemühungen von Papst Benedikt XVI. um Versöhnung in Spaltung verwandelt und so "das Herz der Einheit der Kirche" getroffen, schrieb Kasper in einem kurzen Kommentar zum Motu Proprio "Traditionis Custodes". Papst Franziskus hatte in dem vor einer Woche veröffentlichten Schreiben die Feier der Messe nach den Messbüchern von 1962 eingeschränkt und damit den Erlass "Summorum pontificum" (2007) seines Vorgängers zurückgenommen. Künftig müssen solche Feiern vom Ortsbischof genehmigt und reguliert werden. Zudem darf die vorkonziliare Form nicht in Pfarrkirchen gefeiert und die Lesungen müssen in der jeweiligen Landessprache gehalten werden. In einem Begleitbrief an die Bischöfe hatte der Papst seine Entscheidung damit begründet, dass insbesondere die von Benedikt XVI. erhoffte Versöhnung und größere Einheit in der Kirche nicht eingetreten sei. So gehe der Gebrauch der vorkonziliaren Form oft einher mit Behauptungen, nur diese entspreche dem wahren Glauben der katholischen Kirche.
Er nehme allerdings auch wahr, dass es Gefahren für die Einheit der Kirche "von der anderen Seite" gebe, schrieb Kasper. Wie bekannt sei, sei er "kein Freund mancher Anliegen des Synodalen Weges in Deutschland", so der 88-Jährige. Die römische Kurie habe sich allerdings bereits sehr klar zu Positionen wie dem Zölibat, dem Priesteramt für Frauen, der Interkommunion und den Segnungen für homosexuelle Paare geäußert. Zu anderen Fragen gäbe es nur "einige extreme" Wortmeldungen, allerdings noch keine synodalen Entscheidungen. "Soweit ich weiß, will keiner der Bischöfe einen schismatischen Akt" und mehr und mehr Bischöfe nähmen Abstand von extremen Bestrebungen. Er habe noch Hoffnung auf vernünftige Entscheidungen und Reformen, die nur auf der Basis des katholischen Glaubens möglich seien, wie ihn besonders das Zweite Vatikanische Konzil bezeugt habe.
Der Wiener Systematische Theologe Jan-Heiner Tück teilt grundsätzlich die Analyse des Papstes hinsichtlich der Spaltungen durch die vorkonziliare Messe. "In der Tat gibt es partiell Spannungen zwischen dem erneuerten Kirchenverständnis des Konzils und der tridentinischen Messe. Auch gibt es punktuell Überschneidungen mit dem Milieu der politischen Rechten", schreibt er in einem Gastbeitrag für die "Neue Zürcher Zeitung" (Donnerstag).
Das Instrumentalisierungsargument treffe so global jedoch nur für die traditionalistische Piusbruderschaft zu. Die Petrusbruderschaft und andere Gruppierungen würden das Konzil und den päpstlichen Primat dagegen ausdrücklich anerkennen. "Ausgerechnet ihnen, die das liturgische Erbe der alten Messe bewahren wollen, wird nun das päpstliche Schutzdach entzogen." Die Piusbruderschaft könne durch den Erlass gestärkt, die innerhalb der Kirche existierende Petrusbruderschaft jedoch geschwächt werden, fürchtet Tück.
Franziskus drohe päpstliche Autorität zu unterspülen
Weiterhin kritisiert der Theologe, dass Franziskus den Erlass seines Vorgängers offen kassiert habe und dadurch einen Bruch mit ihm in Kauf genommen habe. "Das weckt bei vielen den Eindruck, ein Papst könne die Lehre seiner Vorgänger korrigieren und revidieren, wie er wolle. Dieser für alle sichtbare Einbruch der Kontingenz in lehramtliche Stellungnahmen droht die päpstliche Autorität zu unterspülen." Zudem widerspreche es der von Franziskus geforderten Dezentralisierung der Kirche, wenn ein Neupriester für die Zelebration der vorkonziliaren Messe nicht nur die Zustimmung seines Ortsbischofs, sondern auch jede des Vatikan benötige. Außerdem werde der große Gestaltungsspielraum der Bischöfe zu einem "Flickenteppich" führen, der neue Konflikte auslösen könnte.
Die Anhänger der momentanen Messform sollten "genug Toleranz aufbringen, den Liebhabern der alten Messe ihren Spielraum zu gewähren", so Tück. Ein Verbot der vorkonziliaren Messform sei letztlich Ausdruck von Schwäche. "Es traut der erneuerten Liturgie nicht zu, dass sie sich von selbst als die bessere Variante durchsetzt." Angesichts von Studien, nach denen die vorkonziliare Messform auch junge Menschen anziehe, sei eine "Zähmung oder gar Exklusion dieser Tradition" fraglich. "Sie verkennt die kulturproduktive Kraft der alten Messe und ist, wie sich bereits abzeichnet, tendenziell spaltungsträchtig." (cbr/cph)