Der Papst muss der Vielfalt der Kirche endlich Strukturen geben
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Die Klagen mehren sich: Italienische Laien schreiben Papst Franziskus einen Brandbrief, in dem sie beklagen, eine Erneuerung der Kirche habe es unter ihm nicht gegeben. In zwei viel beachteten Texten attestieren die Theologen Hans-Joachim Sander und Rainer Bucher der Kirche, der Verfall ihrer Glaubwürdigkeit werde sich nicht abschwächen. Und dann sind da natürlich noch die Fans der vorkonziliaren Messe, die sich vom Pontifex in ihrer Frömmigkeit beschnitten sehen. Es gibt von verschiedenen Seiten eine Unzufriedenheit mit dem Papst – und das zu Recht!
Papst Johannes XXIII. berief das Zweite Vatikanische Konzil mit der Prämisse des "aggiornamento" ein, also einem Update der Kirche auf die Welt der Moderne. Er wusste: Die Kirche kann ihre Funktion, den Glauben zu nähren und weiterzugeben, nur ausfüllen, wenn sie in sich lebendig ist. Das Feuer der Tradition sollte bewahrt werden, nicht die Asche aufgehoben. Mehr als 60 Jahre später steht die Kirche vor dem gleichen Problem: Wie umgehen mit Menschen, die nicht nach dem Idealbild der Kirche leben? Wie verschiedenen Lebens- und Glaubensformen Rechnung tragen, einer vernetzten, sich schnell verändernden Welt gerecht werden? Viele Aufgaben – und es passiert fast nichts.
Franziskus begnügt sich mit Signalen, die er in Fußnoten versteckt oder bei Reden in Nebensätzen lediglich andeutet. Ihm Wohlgesonnene wertschätzen seinen "neuen Ton", der tatsächlich frisch und modern ist. Wenn der aber folgenlos bleibt, hilft das dem Glauben nicht weiter. Das hat nicht nur mit Reizthemen wie Homosexualität und Frauenweihe zu tun: Wer einen weltweiten synodalen Prozess in Gang setzt, Entscheidungen wie jene zur vorkonziliaren Messe dann aber doch wieder von oben herab trifft, macht seine Anliegen nicht glaubwürdig.
Dabei gilt die Mission des "aggiornamento" heute immer noch wie vor 60 Jahren: Der Kern des Glaubens, die frohe Botschaft, muss auf die Welt von heute angewendet werden – und die ist eine Welt der Vielfalt, auch religiös. Katholiken im Amazonasgebiet leben Kirche ganz anders als ihre Glaubensgenossen in Mitteleuropa. Die Vielfalt ist schon lange da – also sollte sie sich auch in der Kirche strukturell wiederfinden. In einem Bistum könnte es nach der pastoralen Einschätzung des Ortsbischofs Priesterinnen geben, im nächsten beide Ritusformen gleichberechtigt nebeneinander – der Glaube bleibt dabei der gleiche, weil sich Menschen hier wie dort zur gleichen Kirche bekennen. Würde Papst Franziskus diese Vielfalt zulassen, könnte die Kirche wieder glaubwürdig und fruchtbar werden – und er könnte sich wieder mehr dem widmen, was sein Amt eigentlich ausmacht: Brücken bauen und die Einheit der Kirche bewahren, die noch nie eine Einheit in Uniformität war. Am Ende muss der Glaube im Mittelpunkt stehen, nicht die momentane Verfasstheit der Kirche. Vielmehr muss sie sich nach der Umsetzung dieses Glaubens ausrichten – und dazu ist ein kräftiger Ruck mehr als notwendig.
Der Autor
Christoph Paul Hartmann ist Redakteur bei katholisch.de.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider.