Bei Trisomie-Bluttests droht ein gefährlicher Automatismus
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Es ist nur ein Piks. Keine große Sache, kostet nichts. Oder vielleicht doch? Wie hoch ist der Preis?
Der Bluttest zur Früherkennung von Trisomien beim ungeborenen Kind soll ab Frühjahr 2022 von der Krankenkasse bezahlt werden. Eine teure Gesundheitsleistung wird nun einkommensunabhängig für alle Patientinnen zugänglich – das klingt zunächst nach einer guten Nachricht. Der Test soll "nur in begründeten Einzelfällen bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken" durchgeführt werden. Doch: In Deutschland genügt schon das bloße Alter der Frau, ab 35, um ihre Schwangerschaft zu einem Risiko zu erklären. Die Gefahr, dass mit dem nun leicht verfügbaren Bluttest ein gefährlicher Automatismus einsetzt, ist hoch.
Manche Ärzte fürchten Klagen, wollen sich absichern. Nicht selten fühlen sich Frauen dazu gedrängt, die Maximaldiagnostik auszuschöpfen. Wie wird es sein, wenn der Bluttest frei zugänglich ist? Bereits heute werden Schätzungen zufolge neun von zehn Embryonen mit Trisomie 21 abgetrieben. Wird es künftig eine unausgesprochene gesellschaftliche Erwartung geben, nur noch gesunde Kinder zur Welt zu bringen? Wo wird das enden, welcher Test kommt als nächstes? Und wie geht es den Menschen, die heute mit 47 statt 46 Chromosomen leben, in einer Gesellschaft, die solche Fragen diskutiert?
Der Mensch, jeder Mensch, besitzt als Geschöpf Gottes eine absolute Würde – unabhängig von Gesundheitszustand oder Leistungsfähigkeit. "Hauptsache gesund" hören werdende Eltern oft. Wäre nicht "Hauptsache geliebt" viel passender? Sicher, Romantisierung hilft niemandem. Die bewusste Entscheidung für ein Kind mit Behinderung ist schwer, sie belastet Familien und beendet mitunter Partnerschaften, sie stellt das Leben auf den Kopf. Aber was im Leben haben wir schon unter Kontrolle? Die Grenze zwischen Gesundheit zu Krankheit, zwischen Leben und Tod, sie ist papierdünn. Daran ändert auch ein kleiner Piks nichts.
Die Autorin
Annette Zoch ist Politikredakteurin der "Süddeutschen Zeitung" und schreibt dort über Religion und Kirche.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.