Gleiches Ziel, verschiedene Wege? Die beiden Texte zum Macht-Forum
Es muss sich etwas ändern, damit Machtmissbrauch in der Kirche wirksam verhindert wird – darin sind sich alle Mitglieder des Synodalen Wegs einig. Doch in der Frage, was sich genau ändern soll – oder kann – herrschen erhebliche Differenzen. Das wird allein schon an den Reaktionen deutlich, die der Grundtext des Synodalforums "Macht und Gewaltenteilung" und der Alternativtext von vier Mitgliedern aus dem Forum bei der jeweils anderen "Fraktion" auslösten. Laut dem Bonner Stadtdechanten Wolfgang Picken, der zu dem Autorenquartett des Alternativtexts gehört, basiere der Grundtext des Forums auf theologischen Hypothesen, die nicht mit der Weltkirche in Einklang zu bringen sind. Umgekehrt warf der Bochumer Theologe Thomas Söding der Gruppe um Picken vor, deren Text werfe dem Forums-Text und dessen Befürwortern "denunziatorisch" vor, nicht mehr katholisch zu sein, "weil angeblich das Weiheamt ausgehöhlt werde, wenn von geteilter Leitungsverantwortung, effektiver Machtkontrolle und notwendiger Rechenschaft gesprochen wird".
Konsens zwischen den beiden Texten besteht zunächst in der Diagnose der kirchlichen Krise. Der Grundtext des Forums betont: "Die Verkündigung des Evangeliums von der Gottesherrschaft und die Feier des Glaubens werden nur dann glaubwürdig sein und missionarisch wirken, wenn innerkirchliche Verhältnisse – zwischenmenschliche wie organisatorische – dem Evangelium Jesu Christi erkennbar entsprechen und wenn, wo dies nicht der Fall ist, glaubwürdige Korrekturen vorgenommen werden" (S. 8). Diesen Satz würden vermutlich auch die Autoren des Alternativtextes unterschreiben. In deren Papier heißt es, angesichts sichtbarer Mängel sei eine strukturelle Erneuerung geboten. "Wo blinde Flecken herrschen, die Missbrauch begünstigt haben, müssen sie benannt und korrigiert werden. Wo Partizipation dem Wesen der kirchlichen Gemeinschaft entspricht, muss sie ermöglicht werden, ohne Wenn und Aber" (S. 2). Doch auch wenn das Ziel das gleiche ist – die in beiden Papieren skizzierten Wege erweisen sich in vielen Punkten als höchst unterschiedlich.
Was bedeuten Synodalität und Partizipation?
Einer der Grundkonflikte zwischen den beiden Papieren scheint die Frage danach zu sein, wie man Synodalität beziehungsweise Partizipation versteht. Für die Forenmehrheit, die hinter dem Grundtext steht, sind es klar definierte Wege der Mitentscheidung. Die Autoren des Alternativtextes hingegen halten daran fest, dass Entscheidungen auf allen möglichen Wegen beraten werden sollen – die Entscheidung selbst dem Bischof als "Garanten der Apostolizität und der Katholizität" obliegt (S. 50). An dieser Stelle berufen sich die Verfasser auf ein Dokument der Internationalen Theologenkommission zum Thema Synodalität.
So lautet dann der Grundtenor des Textes, der von der Forums-Mehrheit getragen wird: Die Machtordnung und besonders die Leitungsstruktur in der katholischen Kirche soll durch mehr Partizipation aller Gläubigen so erneuert werden, dass "der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat besser gedient ist" (S. 4). Grundsätzlich gehe es daher darum, "das Zueinander des gemeinsamen Priestertums aller und des besonderen Priestertums des Dienstes so zu bestimmen, dass die Communio-Struktur der Kirche klar zum Ausdruck gebracht wird". Dies solle zu einer sozialen und rechtlichen Gestalt führen, die "einseitige Herrschaftsverhältnisse" unmöglich und Partizipationsmöglichkeiten aller Gläubigen verbindlich mache (beide S. 20).
Konkrete Strukturveränderungen sollen auf der Basis einer "sichtbaren Gewaltenunterscheidung" mehr Machtkontrolle garantieren, neue Zugänge zu kirchlichen Diensten und Ämtern bahnen und die gemeinsame Verantwortung aller Gläubigen für die Sendung der Kirche stärken. Dabei setze der Synodale Weg auf eine "genaue Unterscheidung zwischen der christologisch begründeten Vollmacht" durch die Weihe und den "organisatorisch notwendigen Formen der Machtausübung" (S. 22). So heißt es einige Seiten später zusammenfassend: "Um der Berufung des gesamten Gottesvolkes willen muss jene gewaltenmonistische Struktur überwunden werden, wonach Legislative, Exekutive und Judikative ausschließlich im Amt des Bischofs gebündelt sind und auf der Ebene der Pfarrei jegliche Leitungskompetenz beim Pfarrer liegt, die dieser zwar partiell an andere delegieren, im Konfliktfall aber auch jederzeit wieder an sich ziehen kann" (S. 26).
Elemente demokratischer Entscheidungsfindung
Der Grundtext des Macht-Forums verweist bei seinen Ausführungen an einigen Stellen auf die Anfragen, die die demokratische Gesellschaft an das hierarchische System der Kirche stelle. Die Kirche, so heißt es, sei nicht auf eine Regierungsform festgelegt und habe immer auch Elemente demokratischer Entscheidungsfindung praktiziert. So werden Wahlen ins Spiel gebracht: Wem ein Leitungsamt in der katholischen Kirche übertragen wird, muss dazu vom Kirchenvolk gewählt werden, gegebenenfalls durch gewählte Vertretungen. Solange das gesamtkirchliche Recht keine Wahlen vorsieht, müsse man nach diözesanem Recht geeignete Formen finden, die Gläubigen an der Auswahl von Leitungspersonen effektiv zu beteiligen (S. 31).
Auch die Autoren des Alternativtextes "Vollmacht und Verantwortung" plädieren grundsätzlich dafür, den Umgang mit amtlicher Vollmacht in der Kirche zu überdenken und Möglichkeiten vertiefter Partizipation zu erschließen – mit einem entscheidenden Zusatz: Dies alles könne nur auf Basis dessen geschehen, was nach katholischem Glauben das Wesen der Kirche ausmacht. Ziel des Textes ist es also, konkrete Reformvorschläge zu machen, die in "Treue zum Glauben der Kirche" (S. 2) und in Entsprechung zu ihrer Rechtsordnung umgesetzt werden können.
Linktipp: Unzufriedenheit über Synodalen Weg: Voderholzer startet neue Homepage
"Die Zusammensetzung der Foren der Synode und ihre Diskussionskultur erschweren einen angemessenen Dialog": Aus Unzufriedenheit über den Synodalen Weg startet der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer eine neue Webseite – mit Alternativvorschlägen
Der Text stellt besonders die Bedeutung des Bischofsamts für die Kirche heraus. In der Ausübung seines Hirten- und Vorsteherauftrags setze der Bischof das dreifache Amt Christi fort – mit den Worten der Kirchenkonstitution Lumen Gentium "als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung". Die "integrale Christusrepräsentation" des Bischofs verbindet alle drei Dimensionen. Dadurch werde deutlich, "dass Gewaltenteilung im modernen Sinn mit der monepiskopalen Kirchenleitung nicht zu vereinbaren ist" (S. 18). Hier setzen sich die Autoren des Alternativtextes deutlich vom Grundtext des Macht-Forums ab.
Ausdrücklich würdigen die Verfasser die vielfältige, teilweise bereits selbstverständliche Mitarbeit der Laien in Seelsorge und Leitung und fordern, dass die Möglichkeiten der Partizipation und des eigenständigen, verantwortlichen Handelns aller Gläubigen, auch wenn sie nicht mit sakramentaler Vollmacht ausgestattet sind, bestmöglich genutzt werden (S. 28). Doch wie ist es bei der Frage, ob Laien auch Ämter übernehmen sollen, die eigentlich mit einer Weihe verknüpft sind? Konkret geht es um die Forderung – und die teilweise bereits eingeführte Praxis –, Laien förmlich mit der Leitung von Pfarreien zu beauftragen. Hier verweisen die Autoren auf die Instruktion der Kleruskongregation vom Juli 2020, die die Gemeindeleitung durch Laien untersagt. Eine Lösung der Probleme, die aus dem Priestermangel resultieren, müsse also innerhalb der abgesteckten Grenzen gesucht werden – daran erinnere das Vatikanschreiben (S. 24).
Wesensbestimmung der Kirche muss Basis bleiben
Doch wie lässt sich Amts- und Machtmissbrauch in der Kirche überwinden? Auch dazu bezieht der Alternativtext Stellung: "Die Krise, die aus der Aufdeckung schwerer Schuld geweihter Amtsträger und des Versagens kirchlicher Autoritäten im Umgang mit ihnen entstanden ist, wird nicht durch eine Ablehnung oder Relativierung ekklesiologischer Grundüberzeugungen des katholischen Glaubens zu bewältigen sein, sondern nur durch ihr tieferes Verstehen und neues Ernstnehmen" (S. 33). Basis aller Strukturreformen müsse also die sakramentale Wesensbestimmung der Kirche bleiben.
So könne man wegen der Fundierung des Weiheamts in Christus keine Reformpläne entwerfen, die sich allein an den Formen politischer Machtausübung in demokratischen Gemeinwesen orientieren. Damit wollen die Autoren nicht bestreiten, dass sich die Gestalt kirchlicher Strukturen und der konkrete Umgang mit Macht in der Kirche auch in Wechselwirkung mit den jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Realitäten entwickelt haben. "Veränderungen der Werte und Standards in der bürgerlichen Welt lassen die Kirche nicht unberührt", heißt es dazu (S. 40). Denn klar ist: Auch die Kirche profitiert von positiven Entwicklungen im säkularen Bereich, beispielsweise in Recht oder Verwaltung. "So können auch aktuelle Debatten über Partizipation, Gerechtigkeit und Transparenz zweifelsohne zur Erneuerung der Kirche beitragen" (ebd.). Aber freilich nur zu einem bestimmten Maße, denn sie sollen nicht zur Infragestellung katholischer Überzeugungen führen.
Die Texte in voller Länge
Den Grundtext des Synodalforums "Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag" gibt es hier.
Den Alternativtext "Vollmacht und Verantwortung" gibt es hier.
Basierend auf ihren Grundlegungen entwerfen die beiden Texte Handlungsempfehlungen, was konkrete Reformen betrifft. Das Forum "Macht und Gewaltenteilung" hat bislang acht sogenannte Handlungstexte veröffentlicht, deren vorgeschlagene Maßnahmen Macht kontrollieren, Transparenz erhöhen und Partizipation sichern sollen: von Finanzplanungen und Haushaltsrecht bis zur Garantie von Rechtswegen, von verlässlichen Prozessen der Entscheidungsfindung bei pastoralen Zukunftsplanungen bis zur Rechenschaftspflicht von Amtsträgern gegenüber den Gemeindemitgliedern und Diözesanen, von Beteiligungsrechten bei der Besetzung von Bischofsstühlen und der Bestimmung von Pfarreienleitungen bis zur Etablierung dauerhafter synodaler Strukturen.
Einige Aspekte greifen auch die Autoren des Alternativtextes in ihren Handlungsthesen auf. So stellen sie fest, dass es auf allen Ebenen der Kirche mehr Synodalität brauche, dass die Laien stärker in Entscheidungen einbezogen werden müssen, dass es Stellen brauche, um Amtsmissbrauch anzuzeigen und dass kooperative Leitungsformen in der Kirche weiterentwickelt werden müssen. Ihre Empfehlungen seien jedoch, wie sie betonen, von der aktuellen Kirchenlehre gedeckt und somit sofort umsetzbar – eine Aussage, die vermutlich auch die Forums-Mehrheit für "ihre" Empfehlungen reklamieren.
Die nächste Synodalversammlung steht Ende September an. Die To-do-Liste ist lang, der öffentliche Entscheidungsdruck wächst. Dennoch wird die Versammlung, allein wegen des medialen Echos, den er ausgelöst hat, kaum herumkommen, sich ausführlich mit dem "Alternativtext" zu befassen. Auch die Vorwürfe, der Grundtext des Forums enthalte theologisch problematische Passagen, wiegt zu schwer, um ihn einfach auszusitzen oder wegzuwischen. Eins ist klar: Die Tage in Frankfurt werden spannend.