Theologe über angemessenen liturgischen Umgang mit Tätern

Kranemann: Missbrauchsskandal muss auch Folgen für Liturgie haben

Veröffentlicht am 13.09.2021 um 12:13 Uhr – Lesedauer: 

Dresden ‐ Der Erfurter Theologe Benedikt Kranemann fordert als Konsequenz aus dem kirchlichen Missbrauchsskandal eine liturgische Reform. Das Leiden der Opfer dürfe in der Liturgie nicht rituell verkleistert werden.

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Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann hat die Kirche davor gewarnt, beim liturgischen Umgang mit verstorbenen Missbrauchstätern die Bedürfnisse von deren Opfern zu vernachlässigen. "Es darf keine liturgische Praxis im Umgang mit Missbrauchstätern geben, über die nicht mit Blick auf die Opfer und am besten im Gespräch mit ihnen entschieden wird", sagte Kranemann am Montag im Podcast "Mit Herz und Haltung" der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen. Gerade in solchen Fällen dürfe es nicht dazu kommen, "dass liturgische Ordnungen kalt umgesetzt werden". Im Mittelpunkt müssten vielmehr die Opfer und die Sorge um sie stehen.

Kranemann sprach sich mit Blick auf die weitere Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchsskandals für liturgische Reformen aus. Zwar werde in der Theologie und auf einzelnen Tagungen auch über die Gefährdungen diskutiert, die von der Liturgie ausgingen. "Aber das man schon wirkliche Veränderungen in Riten, in Texten, in Raumanordnungen und so weiter beobachten könnte, wird man nicht ernsthaft sagen können", so der Theologe. Dies erschwere es, über Riten für Täter nachzudenken und über eine Liturgie ins Gespräch zu kommen, die in manchem selbst Teil des Problems sei. "Liturgie ist rituelle Darstellung von Kirche. Wenn diese Kirche sich in einer tiefgreifenden Krise befindet, muss das Konsequenzen auch für die Liturgie haben", so Kranemann, der in diesem Zusammenhang betonte, dass die Gestaltung von Ritualen problematische Sachverhalte verschleiern könne.

"Verstorbene Täter nicht aus dem kollektiven Gedächtnis löschen"

Im Umgang mit verstorbenen Missbrauchstätern dürfe es kein "Verdecken von Geschichte" geben. "Die Leiden der Opfer sind so unermesslich, dass sie nicht rituell verkleistert werden dürfen", sagte der Theologe. Es dürfe keine liturgische Praxis geben, die so tue, als gäbe es die Taten nicht, "oder – noch schlimmer – die die Taten überspielt und letztlich zu ihrer Verdrängung und ihrem Vergessen beiträgt". Die Schuld Einzelner und der Kirche insgesamt müsse mit Blick auf den Missbrauch klar benannt werden. Geschehe dies nicht, würde die Kirche unglaubwürdig und zutiefst beschädigt. Und auch die Opfer würden "ein weiteres Mal alleingelassen und mit ihrer leidvollen Geschichte nicht anerkannt", so Kranemann.

Der Erfurter Theologe warnte davor, verstorbene Missbrauchstäter im Stil einer "Damnatio memoriae" aus dem kollektiven Gedächtnis löschen und damit den Missbrauch als Teil der Kirchengeschichte "entsorgen" zu wollen. Vielmehr müsse der Missbrauch als "Mahnung und Warnung" in Erinnerung bleiben. Wer den einzelnen Missbrauchstäter dem Vergessen anheim geben wolle, erkläre gleichsam die ganze Geschichte von dessen Taten für beendet. Nach der Rolle möglicher Mittäter sowie struktureller und kirchlicher Verantwortlichkeiten könne dann nicht mehr gefragt werden. "Vor einem solchen Umgang mit dieser Katastrophe in der Kirche kann man nur nachdrücklich warnen", sagte Kranemann. (stz)