Wie gute Argumente aussehen – beim Synodalen Weg und in der Wissenschaft

Was ist gute Theologie?

Veröffentlicht am 01.10.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Sind die Reformvorschläge, die beim Synodalen Weg diskutiert werden, gute Theologie? Kritiker bemängeln die Qualität der Texte – doch woran erkennt man eigentlich gute Argumente? Der Religionsphilosoph und Theologe Benedikt Göcke erklärt es – und hat einen Tipp für die Synodalen.

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Beim Synodalen Weg wird engagiert diskutiert – nicht nur über die Reformvorschläge selbst, sondern auch darüber, ob die Texte der Synodalforen ein angemessenes theologisches Niveau haben. Nicht nur von konservativer Seite wie dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer kommt diese Kritik. "Theologisch muss mehr kommen", forderte auch eine Gruppe von reformorientierten Professoren im vergangenen Jahr. Nur: Wie geht gute Theologie? Wieviel Tradition, wieviel Lehramt ist nötig? Und wie sieht eigentlich ein gutes Argument aus? Der Bochumer Professor Benedikt Göcke beschäftigt sich als Religions- und Wissenschaftsphilosoph mit solchen Fragen. Im Interview mit katholisch.de hat er einen Vorschlag für den Synodalen Weg: Mehr Mittelalter wagen!

Frage: Professor Göcke, woran erkennt man ein gutes theologisches Argument?

Göcke: Zunächst muss man auf zwei Aspekte schauen: Erst die generelle Frage, was allgemein ein gutes Argument ist, und dann die spezifische, was ein gutes theologisches Argument ist. Für die erste Frage ist die Philosophie zuständig, die verschiedene Arten von gültigen Argumenten kennt. Allen Argumenten gemein ist, dass sie immer ein Verhältnis von der Wahrheit der Prämissen und der Wahrheit der Schlussfolgerung ausbuchstabieren. Jedes Argument sollte so sein, dass es die Prämissen möglichst klar spezifiziert, dass es zum Beispiel sagt, wenn a, dann b, es ist a der Fall, also folgern wir b.

Frage: Das ist schon sehr komplex. Nehmen wir ein konkretes Beispiel für ein theologisches Argument: "Jesus hat nur Männer in seinen Jüngerkreis berufen. Also hat die Kirche nicht die Vollmacht, Frauen zu Priesterinnen zu weihen."

Göcke: Hier sind zwei Aussagen involviert: Einmal über das was Jesus tatsächlich oder angeblich getan hat, und einmal das, was daraus folgen soll: Wenn Jesus a getan hat, nämlich nur Männer berufen hat, dann folgt b, also dass nur Männer geweiht werden dürfen. Das ist die erste Prämisse. Die zweite Prämisse ist, zu zeigen, dass der Vordersatz, also das, was nach dem "Wenn" kommt, wahr ist. Wenn das so ist, dann würde gültig die Schlussfolgerung folgen, dass nur Männer zu Priestern berufen werden können.

Frage: Das ist aber doch zunächst nur eine Aussage über die Form des Arguments …

Göcke: Richtig. Wer so argumentiert, hat ein deduktiv gültiges Argument. Die eigentliche Arbeit beginnt mit der Rechtfertigung der Prämissen. Nur dann hat man nicht nur ein gültiges Argument, sondern auch ein schlüssiges. Im Beispiel wäre die Frage, wie die Prämissen gerechtfertigt werden und ob die Rechtfertigung plausibel ist. Bei der Frage nach der Relevanz des tatsächlichen oder angeblichen Verhaltens Jesu für das Handeln der Kirche heute, also bei einem normativen Schluss, braucht man noch weitere Prinzipien. In der katholischen Argumentation wird dafür oft die Tradition starkgemacht. Aber zwingend ist das Argument nicht, dass wir nicht x tun können, weil Jesus y getan hat. Die Prämissen und Argumente müsste man aber klar auf den Tisch legen, um sie diskutieren zu können – das fehlt mir oft bei Debatten in der Kirche, auch im Synodalen Weg.

Bild: ©RUB/Kramer (Archivbild)

Benedikt Paul Göcke ist Juniorprofessor am Lehrstuhl für Philosophisch-Theologische Grenzfragen der Ruhr-Universität Bochum. Von 2016 bis 2021 leitete er die Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe "Theologie als Wissenschaft?! – Naturalismus und Wissenschaftstheorie als Herausforderungen katholischer Theologie".

Frage: Führt diese Argumentationstheorie irgendwo hin? Beim Synodalen Weg hat man den Eindruck, dass die Kritik weniger philosophisch fundiert als vom eigenen Wertefundament abhängig ist: Schlechte Theologie haben immer nur die anderen.

Göcke: Wenn man ohne Begründung von schlechter Theologie spricht, um die Gegenposition abzuwerten, ist das ein ad-hominem-Argument, also ein Argument, das sich nicht gegen die Sache richtet, sondern gegen die Person, die sie vertritt. Kategorische Aussagen, etwas sei schlechte Theologie, blenden oft auch aus, dass es mehr als eine gute Form von Theologie gibt. Das ist eine Eigenheit theologischer Diskurse: Theologische Voraussetzungen sind, wenn sie über die rein philosophische Theologie hinausgehen, meistens so, dass sie nicht intersubjektiv verallgemeinerbar sind. Es gibt eben keine zwingenden Vernunftgründe, eine bestimmte Position einzunehmen, weil es so viele hermeneutische Vorannahmen gibt: Wie verstehe ich die Texte der Bibel, wie die Rolle der Tradition? Vom Vorwurf der schlechten Theologie halte ich daher nichts, besonders nicht beim Synodalen Weg, wo doch eigentlich klar ist, dass beide Seiten ihr Handwerk gut verstehen und für ihre Position gute Argumente formulieren. Die Schwierigkeit ist, dass es einen Punkt gibt, wo es keine reinen Vernunftgründe mehr gibt, um den anderen von dem, was man selbst für wahr hält, zu überzeugen. Das ist eine Eigenart des religiösen Lebens und des Glaubens.

Frage: Kann man dann in der Theologie immer das vertreten, was man ohnehin glaubt? Das klingt beliebig.

Göcke: Die Bedingung ist, dass nichts der Vernunft widersprechen darf. Dann sind wir auch schnell bei spezifischeren Fragen: Widerspricht es der Vernunft, wenn nur Männer zu Priestern geweiht werden dürfen? Anscheinend ja, weil aus der gleichen Menschenwürde auch die gleichen Rechte zu folgen scheinen, ist die eine Position. Aber dann gibt es natürlich auch aus philosophischer Perspektive Gegenargumente, wenn man etwa sagt: Auch im Staat haben nicht alle Menschen die gleichen Rechte, manche Menschen dürfen aufgrund ihrer Funktion anderes, ohne dass damit die Würde tangiert wäre. Wie man es auch dreht: Es gibt mehrere mit der Vernunft konsistente Arten, seinen Glauben zu leben oder zu verstehen. Es gibt nicht die eine zwingende Möglichkeit, und die andere Möglichkeit ist nicht automatisch schlechte Theologie.

Frage: In der katholischen Kirche kommt allerdings noch eine Besonderheit dazu: Anstatt der intellektuellen Freiheit eines "zwanglosen Zwangs des besseren Argumentes" gibt es das Lehramt, das verbindlich entscheidet, was gilt. Ist gute katholische Theologie also in Wirklichkeit nicht eigentlich qua Definition die, die das Lehramt vertritt?

Göcke: Nein. Das Lehramt vertritt qua Definition die Position der katholischen Kirche, aber das ist nicht per se gute Theologie. Gute Theologie muss immer vernunftgemäß sein. Das ist eine Idee, die wir aus der mittelalterlichen Scholastik übernommen haben. Aber per se ist das keine gute Theologie, weil gute Theologie sich nur auf Argumente zu stützen hat, auch wenn das Lehramt in gewisser Weise unabhängig von guten Argumenten ist. Aber auch das Lehramt versucht, seine Aussagen als konsistentes Ganzes plausibel zu machen und entwickelt sie – auch als Reaktion auf kontroverse theologische Diskussionen – bisweilen weiter. Beim Synodalen Weg stellt sich nun die Frage, ob die gewünschten Änderungen nur, um es einmal mit Aristoteles auszudrücken, "akzidentelle" Änderungen der Kirche darstellen, also solche, die ihr Wesen nicht verändern, oder "substantielle", die sie in ihrem Wesen komplett umgestalten. Darum drehen sich die Konflikte. Und es scheint, als würden das Lehramt oder einige seiner Vertreter im Synodalen Weg eher substantielle Änderungen sehen, während die mutmaßliche Mehrheit der Synodalversammlung eher akzidentielle Änderungen durch ihre Reformvorschläge annimmt: Wäre die Priesterinnenweihe eine substantielle Änderung der Kirche, die sie nicht überleben kann – oder ist der eigentliche Kern, die Heilsbotschaft Jesu Christi, unabhängig davon, ob und wie die Rolle der Frau in der Kirche verstanden wird.

Synodale bei einem Treffen der Regionenkonferenz des Synodalen Wegs
Bild: ©KNA/Bert Bostelmann (Archivbild)

Beim Synodalen Weg diskutieren Priester und Laien, Theologen und Nicht-Theologen über die Zukunft der Kirche – die Ergebnisse müssen also praktisch umsetzbar und theologisch verantwortet sein.

Frage: Hilft bei der Entscheidung dieser Frage die Theologie als Wissenschaft weiter? Johannes Paul II. hat in der Apostolischen Konstitution Sapientia Christiana 1983 verfügt, dass "die wahre Freiheit der Forschung" von einer "Haltung der Ergebenheit gegenüber dem Lehramt der Kirche" begleitet sein muss, und auch Papst Franziskus hat das in Veritatis Gaudium 2017 nur wenig abgeschwächt und festgehalten, dass der "Treue zum Lehramt der Kirche stets eine besondere Bedeutung beigemessen werden" muss. Das heißt doch im letzten, dass so wie die Philosophie die Magd der Theologie ist, die Theologie die Magd des Lehramts ist. Kommt die Theologie aus diesem lehramtlich verfügten Abhängigkeitsverhältnis heraus?

Göcke: Ich persönlich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, ob das, was ich sage, mit dem konsistent ist, was das Lehramt sagt. Das darf auch nicht das Selbstverständnis des Theologen sein, dass er seinen Auftrag so versteht, dass er Argumente sucht, um das zu rechtfertigen, was das Lehramt sagt. Für vieles kann man diese Argumente finden. Ich als Philosoph beschäftige mich mit philosophischen Grundfragen der Theologie: die Existenz Gottes, oder wie sein Wesen zu verstehen ist zum Beispiel. Auf Dauer ergibt eine Einschränkung durch lehramtliche Vorgaben für die Theologie keinen Sinn, weil Wissenschaft letzten Endes der Wahrheitsfindung dient. Es gibt unterschiedliche Wissenschaftsverständnisse, aber das gängige ist, dass Wissenschaft sich um Wahrheit zu bemühen hat, mit den wissenschaftlichen Methoden, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben. Da kann es zu Konflikten mit dem Lehramt kommen. Aber ein bloßes Beharren von Seiten des Lehramts auf liebgewonnenen Positionen führt eher zu Frustrationen auf Seiten derer, die sich guten Gewissens mit reinem Herzen bemühen, zum vertieften Verständnis des Glaubens beizutragen. Die Kirche entwickelt sich, sie hat sich historisch immer weiterentwickelt, etwa mit ihrer Position zur Evolutionstheorie. Papst Benedikt XVI. hat einmal sinngemäß gesagt, was der Kirche einmal heilig war, ist ihr immer heilig. Damit meint er wohl: Wenn eine Wahrheit erkannt worden ist, dann kann man sie nicht leichtfertig aufgeben.

Frage: Sie haben jetzt das philosophische Argumentieren stark gemacht, zu Beginn haben Sie auf die Unterscheidung zwischen philosophischen und spezifisch theologischen Argumenten hingewiesen. Was macht ein theologisches Argument aus?

Göcke: Ein spezifisch theologisches Argument ist ein Argument, das in der einen oder anderen Form die Existenz Gottes voraussetzt oder sich auf Gott richtet. Im Bereich der Offenbarungsreligionen sind theologische Argumente solche, die auf die jeweiligen heiligen Schriften Bezug nehmen und davon ausgehen, dass diese Schriften argumentativ verwendet werden können, um zu unserem Verständnis der Wirklichkeit beizutragen. Der Kern spezifisch christlicher Theologie ist, dass sie sagt, dass die reine Vernunft nicht bis ins Letzte ermöglicht, unsere Rolle im Ganzen des Seins zu verstehen. Aus christlicher Perspektive hat es in der einen oder anderen Form ein Offenbarungsgeschehen gegeben: Gott hat sich offenbart, und im christlichen Kontext im Vergleich etwa zum Islam mit dem Verständnis, dass die Bibel nicht wortwörtlich diktiert wurde, sondern bereits selbst Ergebnis eines Kommunikations- und Reflexionsprozesses ist. Die Bibel gibt sehr viel her und ermöglicht unterschiedliche theologische Positionen, die von ihrer Qualität her gleichberechtigt sein können. Ich kann die Bibel auf Weise a oder b verstehen, und beide Interpretationen können schlüssig sein, obwohl sie sich widersprechen.

Der heilige Thomas von Aquin (1225-1274) auf einem Gemälde, das Sandro Botticelli (1444/45-1510) zugeschrieben wird.
Bild: ©picture-alliance/akg-images (Archivbild)

Der heilige Thomas von Aquin (1225-1274) ist einer der bedeutendsten Theologen der Kirchengeschichte. Noch heute gehören seine Arbeiten und seine Methoden zu den Themen, die in einem Theologiestudium nicht fehlen dürfen.

Frage: Kommt man dann mit der Forderung nach theologischer Qualität beim Synodalen Weg überhaupt weiter, wenn so unterschiedliche Positionen gleich schlüssig sein können?

Göcke: Beim Synodalen Weg werden vor allem Richtungsfragen verhandelt: Wo soll es in der Zukunft hingehen, und kann man noch die Prämissen aufrechterhalten, die lange Zeit das Wesen der Kirche bestimmt haben? Für philosophische Leser wäre es wünschenswert, wenn die Argumente mehr im Fokus stehen würden und auch wirklich klar als solche mit Prämissen und Schlussfolgerungen formuliert würden. Dann könnte man besser feststellen, worum es eigentlich geht.

Frage: Sie würden also gerne synodale Vorlagen lesen, die aussehen wie eine scholastische "Quaestio", wie sie Thomas von Aquin formuliert hat?

Göcke: Ja, warum nicht? Das ist eine gute Form des philosophischen Argumentierens: Man formuliert eine These, man schreibt auf, was dagegen spricht, und dann versucht man das zu widerlegen, und darüber kann man in den Diskurs kommen. Mich persönlich würde das freuen. Das nähme auch alle mit, weil es dabei helfen würde zu sehen, wo man selbst übereinstimmt und wo man Widerspruch einlegen würde. Thomas von Aquin ist eine bleibende philosophisch-theologische Inspirationsquelle. Gar nicht so sehr wegen der konkreten Inhalte, die er vertritt, sondern aufgrund der Form des Argumentierens. Das war eine auf dem Stand ihrer Zeit philosophisch informierte Theologie. Das täte auch dem Synodalen Weg gut.

Von Felix Neumann