"Immer Angst, dass ihm die Kirche um die Ohren fliegt"

Kretschmann sieht Amtsführung von Papst Franziskus zwiespältig

Veröffentlicht am 25.10.2021 um 10:26 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Man merke dem Papst an, dass ihm an Reformen liege, sagt Winfried Kretschmann. Gleichzeitig habe er "immer Angst, dass ihm die Kirche um die Ohren fliegt". Skeptisch zeigt sich Baden-Württembergs Ministerpräsident gegenüber dem Synodalen Weg.

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Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht die Amtsführung von Papst Franziskus zwiespältig. Man merke dem Papst an, dass ihm an Reformen liege; gleichzeitig habe er zu Recht "immer Angst, dass ihm die Kirche um die Ohren fliegt, denn er ist zuständig dafür, dass das nicht passiert". In einem am Montag vorab veröffentlichten Interview der Freiburger "Herder Korrespondenz" sagte Kretschmann, innerhalb dieser Ambivalenz bewege sich Franziskus, und dies sei "wahrscheinlich gut so. Und deshalb sind wir alle zufrieden und unzufrieden zugleich."

Skeptisch zeigte sich der Ministerpräsident gegenüber dem katholischen Reformvorhaben Synodaler Weg. Es wäre schön, so Kretschmann, "wenn Rom erst einmal zu den Beschlüssen der Würzburger Synode von vor 50 Jahren Stellung bezieht". Er äußerte die Befürchtung, "dass das beim Synodalen Weg wieder so laufen wird". Zur Entscheidung, nicht mehr selbst für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zu kandidieren, sagte er: "Ich bin für diese Kämpfe einfach zu alt, ganz platt gesagt. Ich habe in diesen Fragen so viel gekämpft und bin müde geworden. Das müssen Jüngere machen." Er beschäftigt sich "mehr mit der Gottesfrage, die letztlich viel wichtiger ist".

Mehr Zusammenarbeit zwischen christlichen Konfessionen

Zugleich warb Kretschmann für mehr Zusammenarbeit zwischen den christlichen Konfessionen: "Wenn es zur Einheit in versöhnter Verschiedenheit kommt, besteht die Chance, dass aus den drei großen Strömungen der Orthodoxie, des Protestantismus und der katholischen Kirche wirklich etwas entsteht, was neudeutsch Synergie heißt: dass es zusammen mehr ist, als jede einzelne Kirche einbringt."

Als Beispiele nannte er die Freiheit des Christenmenschen im Protestantismus, der Glaube als Mysterium im Kult der Orthodoxie und die Idee des Universalen bei den Katholiken. Wenn sich das gegenseitig befruchte, könnte daraus eine neue Kraft erwachsen und ein neues Gesicht des Christentums entstehen, so Kretschmann. Immer noch sorgten die Kirchen "ganz entscheidend mit für eine gute soziale Temperatur in diesem Land". Niemand wolle diese gesellschaftliche Kraft missen, auch wenn er nicht gläubig sei.

Kretschmann kann sich nach eigenem Bekunden "überhaupt nicht vorstellen, was es bedeuten würde, wenn dieser Glaube als solcher verschwindet". Dies gehe hin bis zu Sprache und Kultur. Wenn man die Wurzeln zu all dem kappe, verschwände etwas Zentrales aus der Kultur und auch aus "der Tiefenarchitektur unserer Gesellschaft". Deshalb warnte Kretschmann auch vor "übertriebenen Pessimismus". Selbst "in den gottfernsten Gegenden der Welt, etwa in Ostdeutschland oder in Tschechien, gibt es Christen", so der Grüne.

Der Sitzungssaal im Frankfurter Congress Center bei der zweiten Synodalversammlung
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht (Archivbild)

Bezüglich des deutschen Synodalen Wegs zeigt sich Kretschmann skeptisch.

Beim Umgang des Staates mit dem Islam bat Kretschmann "alle um Geduld". Zugleich räumte er Probleme ein. Schüler wie Eltern seien mit dem islamischen Religionsunterricht an Baden-Württembergs Schulen aktuell "durchaus zufrieden", so Kretschmann. Zugleich kritisierte der Ministerpräsident, dass der Verband Ditib "am Tropf der Türkei" hänge und sich davon klar emanzipieren müsse. "Das ist bisher nicht der Fall, wir können immerhin feststellen, dass damit begonnen wurde", so Kretschmann. Fortschritte sieht er durch "Vorstufen von Islamischen Fakultäten" an Universitäten. Bei der Umsetzung dieser Projekte bewege sich das Land verfassungsrechtlich aber "in einer Grauzone".

Der Islam muss sich aus Kretschmanns Sicht "an manchen Stellen reformieren". Es gelte aber zugleich festzustellen, "dass es auch bei uns viele Jahrhunderte gebraucht hatte, bis die Trennung von Staat und Kirche Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung geworden ist". Die Religionsverfassung für die Bundesrepublik sei zwar nicht speziell für das Christentum gestrickt, aber das Problem bestehe darin, dass das Staatsverfassungsrecht Institutionen und Ansprechpartner voraussetze, die es auf islamischer Seite nicht gebe. "Deshalb ist das ein schwieriger Prozess."

Grüne und Union verbindet soziale Marktwirtschaft

Kretschmann das Streben nach einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft. Wesentlich sei das aus der katholischen Soziallehre stammende Subsidiaritätsprinzip. Danach soll eine höhere Institution nur dann eingreifen, wenn eine Aufgabe auf niedrigerer Ebene nicht gelöst werden kann. Kretschmann äußerte zugleich sein Bedauern, dass die katholische Kirche das Prinzip "bedauerlicherweise nur als Exportartikel betrachtet", also selbst nicht genügend berücksichtige. SPD und FDP sind aus Kretschmanns Sicht "viel zentralistischer geprägt."

Der Grünen-Politiker widersprach energisch der Einschätzung, ohne CDU und CSU in der Bundesregierung würden sich die Bedingungen für christliches Leben in Deutschland ändern: "Das sehe ich überhaupt nicht. Wir haben eine Trennung von Staat und Kirche, beide agieren aber kooperativ, wir sind ein säkularer Staat, aber kein laizistischer Staat." Auch eine rot-grün-gelbe Bundesregierung sei sich mit den Kirchen in ganz wichtigen Fragen einig. Als Beispiele nannte Kretschmann Klimaschutz, Einwanderungspolitik und den Umgang mit Minderheiten und Schwachen. (tmg/KNA)