Gesinnung von Patienten dürfe im Krankenhaus keine Rolle spielen

Ethiker lehnen schlechtere Behandlung für Ungeimpfte ab

Veröffentlicht am 28.11.2021 um 11:34 Uhr – Lesedauer: 

München/Berlin  ‐ Impfunwillige sind selbst schuld und sollten im Krankenhaus das Nachsehen haben? Emotional sei das nachvollziehbar – bei der Behandlung dürfe die Gesinnung von Patienten aber keine Rolle spielen, betont der Sozialethiker Andreas Lob-Hüdepohl.

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Der Impfstatus darf nach den Worten des katholischen Sozialethikers und Ethikrats-Mitglieds Andreas Lob-Hüdepohl bei der Behandlung von Patienten keine Rolle spielen. "Auch ein Mensch, der noch so frevelhaft gelebt hat, verwirkt nicht sein Grundrecht auf medizinische Versorgung. Daran müssen wir festhalten", sagte er am Wochenende im Bayerischen Rundfunk. Es zähle ausschließlich die Dringlichkeit eines Behandlungsbedarfs. Ungeimpfte sollten daher gleichgestellt sein, "auch wenn uns das emotional querkommt".

Kritisch äußerte sich Lob-Hüdepohl zum Einführen der "Erfolgsaussichten" als neues Kriterium durch die medizinischen Fachgesellschaften: "Das widerspricht elementaren Grundsätzen die Medizinethik." Käme es etwa in der höchsten Dringlichkeitsstufe zu einer Konkurrenzsituation, etwa bei einem Massenunfall, dann werde behandelt, wer zuerst eingeliefert werde, so der Sozialethiker. Dieser Grundsatz werde durch das Kriterium "Erfolgsaussichten" ausgehebelt: "Da werden viele Menschen aufgrund ihrer Vorerkrankungen, aufgrund ihrer Behinderung, aufgrund ihres Alters benachteiligt, und das sehe ich ausgesprochen kritisch."

Medizinethiker Ranisch: Behandlung ungeachtet der Patienteneinstellung

Auch der Potsdamer Medizinethiker Robert Ranisch warnt davor, geimpfte Corona-Patienten in Notfällen gegenüber ungeimpften systematisch zu bevorzugen. Diese Frage stehe im Raum, da sich nicht nur das Personal in den Krankenhäusern fragen würde, warum ausgerechnet Ungeimpfte im Fall einer Priorisierung nach medizinischen Kriterien unter Umständen bevorzugt behandelt würden, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag online).

"Emotional kann ich das gut nachvollziehen", so Ranisch weiter. Es gebe hitzige Diskussionen, ob Impfunwillige nicht selbst für ihre Lage verantwortlich seien und warum man Solidarität mit jenen aufbringen solle, die sich scheinbar unsolidarisch zeigten. Hier müsse man jedoch vorsichtig sein: "Bei Triage-Entscheidungen geht es um die Rettung möglichst vieler Menschenleben, nicht um Schuld oder Bestrafung", so Ranisch: "Die Behandlung von Kranken ist Aufgabe der Heilberufe, ungeachtet der Einstellungen der Patienten und Patientinnen." Der Impfstatus habe damit allenfalls eine indirekte Bedeutung für Triage-Entscheidungen, etwa wenn Ungeimpfte eine schlechtere medizinische Prognose hätten.

Auch die Altersfrage dürfe aus ethischen Gründen keine ausschlaggebende Rolle bei einer möglichen Priorisierung spielen. Zwar hätten ältere Patienten im Falle einer Triage häufiger das "Nachsehen". Dies habe allerdings weniger mit ihrem Alter zu tun, "sondern weil sie beispielsweise häufiger an Begleiterkrankungen leiden". Ranisch sprach sich dafür aus, sich an den Empfehlungen der Deutsche Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zu orientieren: "Die Priorisierung von Patientinnen und Patienten sollte sich an der jeweiligen klinischen Erfolgsaussicht der intensivmedizinischen Behandlung orientieren." (KNA)