"Wie ein zäher Brei": Ein Klinikseelsorger über den Corona-Alltag
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Auch im Klinikum Ingolstadt ist die Corona-Lage angespannt. Auf fünf Stationen kümmern sich Ärzte und Pflegepersonal um Covid-19-Patienten. Gearbeitet wird dort teilweise bis zur Erschöpfung. Unter dem Kampf gegen die Pandemie leidet das ganze Krankenhaus – auch Patienten, die nicht an Covid-19 erkrankt sind. Und wie geht es überhaupt denen, die in dieser Situation Hoffnung schenken sollen: den Krankenhausseelsorgern? Wie begegnen sie der ganzen Trostlosigkeit des aktuellen Klinikalltags? Der Franziskanerpater Christoph Kreitmeir, Seelsorger am Ingolstädter Klinikum, spricht darüber, wie Corona auch ihn und sein Team belastet, woraus er momentan seine Kraft zieht – und wie er auf die zunehmenden Spaltungen unter Christen blickt.
Frage: Herr Pater, wie würden Sie aktuell die Arbeitsatmosphäre in der Klinik beschreiben?
Kreitmeir: Das ist eine Mischung aus hoher Professionalität und dem Zurückstellen eigener Gefühle und Befindlichkeiten: Man hält den Laden am Laufen. Die Erschöpfungsspanne ist mittlerweile nach fast zwei Jahren Pandemie sehr groß. Viele können nicht mehr, ob das die Ärzte sind, die Schwestern, die Pfleger oder sogar das Reinigungspersonal. Man merkt es an der Reaktion der Menschen, wenn man grüßt: Das ist sehr knapp, manchmal fast marionettenhaft. Die Leute schöpfen aus ihren Restbeständen an Kraft. Und viele klappen zusammen, fallen dadurch aus. Dadurch wird die Belastung noch schlimmer, weil die Aufgaben und Schichten dann andere übernehmen müssen.
Frage: Wie sieht aktuell Ihr Arbeitsalltag als Krankenhausseelsorger aus?
Kreitmeir: Man kann nichts planen. Man hat zwar den Plan, dass man auf den verschiedenen Stationen, für die man zuständig ist, irgendwie erscheint und Leute besucht. Jeder aus unserem Team ist für drei bis vier Stationen zuständig. Dann kommen aber ganz viele Überraschungen. Für mich als Priester bedeutet das: Ich komme von einem Ruf zum nächsten, auch zu Patienten, die an Covid-19 sterben. Dann muss ich das machen, was das medizinische Personal den ganzen Tag tun muss: mich total "einhüllen".
Frage: Ist Ihre Arbeitsbelastung seit Corona höher geworden?
Kreitmeir: Im Vergleich etwa zu dem, was Ärzte und Pflegekräfte zurzeit leisten, haben wir es in der Krankenhausseelsorge noch einigermaßen gut. Aber auch unser Arbeitsalltag ist unplanbarer, dadurch chaotischer und nerven- und kräftezehrender geworden. Als Seelsorger benötigen wir aber Zugang zu spirituellen Kraftreserven, weil die Menschen in uns ja den Zuhörer, den Tröster suchen. Es ist für uns nicht leichter geworden, eine innere Ruhe zu bewahren, damit wir nicht noch die Hektik und den Stress verdoppeln, sondern ausbremsen. Da, wo wir hinkommen, sollen wir eigentlich Ruhe reinbringen. Es kostet jetzt aber mehr Kraft, diese Ruhe aufzubringen, weil die ganze Situation auch an uns zehrt. Aber wir haben die Chance und die Möglichkeit, immer wieder aus dem Ganzen rauszugehen, an die frische Luft, in die Kapelle. Die, die auf den Stationen Schicht haben, können das nicht.
Frage: Kommen Sie manchmal als Seelsorger an Ihre Grenzen?
Kreitmeir: Ja, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Auch in unserem Team kommt jeder an die Belastungsgrenzen. Dadurch geht es uns wie den Schwestern und Pflegern: Immer wieder fällt jemand aus. Und dann muss der, der da ist, noch mehr machen. Das zweite Problem: Wir sind als Seelsorger so etwas wie die Anwälte der Menschlichkeit. In dem Ablauf auf der Intensivstation, der oft sehr automatisch abläuft, wollen wir eine menschliche Note reinbringen. Auch das ist schwerer geworden. Wenn uns Mitarbeiter entdecken, dann kann es sein, dass sie ihre Wut, ihre Hilflosigkeit und vielleicht auch ihre Resignation bei uns abladen. Klar, dafür sind wir da – aber wo tun wir das hin? Was natürlich auch anstrengend ist, sind die "Hürden": die vielen Covid-19-Tests, die man machen muss, damit nichts passiert. Unsere Arbeit machen wir ja gerne. Aber durch diese ganzen neuen Hürden und eine spürbare Gereiztheit wird auch für uns alles schwieriger. Das fühlt sich alles wie ein zäher Brei an. Normalerweise geht man mehr oder weniger ausgeruht durch die Gänge. Heute empfinde ich es manchmal so, als würde ich durch einen Sumpf gehen. Jeder Schritt kostet Kraft.
Frage: Gibt es auch Situationen, in denen Sie mit ihrem Latein am Ende sind?
Kreitmeir: Ja. Ich habe da so eine Art Überlebensmechanismus: Wenn ich spüre, dass ich nicht mehr weiterweiß, werde ich nach außen hin auf einmal ruhiger. Nach innen merke ich, dass ich zu zittern beginne und mich das viel Nervenkraft kostet: Ich komme an meine Grenzen, die Grenze überspringt mich sogar. Man ist manchmal tatsächlich auch mit seinem Latein am Ende. Und was macht man, wenn man mit seinem Latein am Ende ist dann? Dann schaut man ins Nachschlagebuch. Dann gehe ich zum Herrgott und sage ihm einfach, wie es mir geht.
Frage: Hadern Sie mit Gott?
Kreitmeir: Ob der Situation hadere ich nicht. Aber ich habe große Fragen, die teilweise auch aggressiv sind. Ich weiß zwar – jetzt sind wir auch noch in der Adventszeit –, dass die Endzeit angebrochen ist durch das Kommen Jesu. Und jetzt überall diese Katastrophenmeldungen, eine weltweite Pandemie, die Klimakrise: Das macht Angst. Da frage ich dann schon: Ist es schon soweit? Will Gott das Ganze zu Ende bringen? Interessanterweise denke ich dann an Leute wie Friedrich Spee, den Jesuiten, von dem ganz viele Adventslieder in unserem Gotteslob stammen. Wenn man sich mit ihm beschäftigt, staunt man, was das für ein Mann war. Der ging in die Kerker zu den Frauen, die man der Hexerei bezichtigte. Ich möchte nicht wissen, was der sich an Seelenleidanhören musste. Aber trotzdemwar er fähig, zu seiner Kirche zu stehen, die diesen Menschen das alles antut, und solche Texte wie "Komm o Heiland aller Welt" zu dichten. Das ist Glaubenskraft. Dann denke ich, er hat es auch geschafft. Das motiviert mich, zu mir selbst zu sagen: Jetzt ist es die Zeit, in der du dich in deinem Glauben bewähren und zu den Leuten gehen musst.
Frage: Ich stelle mir das Krankenhaus gerade als verlassenen, einsamen Ort vor. Wie schaffen Sie es da, Hoffnung zu schenken?
Kreitmeir: Diese Vorstellung trifft es gut. Wir haben – abgesehen von einigen Lockerungen, die es zwischenzeitlich gab – nur noch Besuchszeit von 14 bis 17 Uhr. Dann nur noch eine halbe Stunde pro Patienten, mit allen Testauflagen. Das heißt, die spontanen Begegnungen mit Menschen sind weniger geworden. Man sieht eigentlich nur noch das Personal, die Angehörigen fast gar nicht mehr. Die Menschen, die als Patienten im Krankenhaus sind, müssen sich darauf einstellen, dass das eine Zeit der Einsamkeit wird, wenn sie nicht mit jemand anderem im Zimmer sind. Die meisten haben damit aber keine Erfahrung. Neben der Belastung durch die Krankheit kommt die Belastung durch die Einsamkeit hinzu. Das ist für mich die Motivation, so gut ich kann – ich muss weniger machen, als ich könnte, weil ich sonst ausbrenne – zu zeigen: "Hallo wir sind da." Das ist aber nicht immer leicht.
Frage: Inwiefern?
Kreitmeir: Mit was arbeitet man als Krankenhausseelsorger? Mit den Händen, mit der Stimme und mit der Mimik. Die ist aber zu zwei Dritteln durch die Maske verdeckt, zudem trägt man Handschuhe. Unsere Kommunikationsmittel sind sehr eingeschränkt. Trotzdem ist es wichtig, dass wir da sind. Die meisten Menschen, auch die Kirchenfernen, sind dankbar. Manche sagen: "Ach, sie sind doch da." Aber die Einsamkeit können wir trotzdem nicht lindern.
Frage: Wie ist das bei den Pflegern oder Ärzten?
Kreitmeir: Auch da signalisieren wir, dass wir da sind. Während der Adventszeit geben wir zum Beispiel über das Klinikintranet Impulse, die jeder der Angestellten nachlesen kann. Wenn man das weit genug, also nicht zu fromm fasst, dann wird das dankend wahrgenommen – und damit auch die Tür zur Hoffnung ein Stück aufgemacht.
„Der Christ ist eigentlich jemand, der immer das Soziale im Blick hat, der schaut, was er für den anderen tun kann. Dass bei manchen diese christliche Identität nicht stärker ist als die Infiltration durch abstruseste Meldungen und Verschwörungstheorien – das kann ich nicht verstehen.“
Frage: Als jemand, der quasi an der "Front" steht: Wie nehmen Sie die gesellschaftlichen und politischen Debatten über Corona wahr, gerade beim Thema Impfen?
Kreitmeir: Was sich da in den letzten Wochen getan hat, ist ganz in meinem Sinne. Ich wünsche mir da eine ganz klare Haltung. Ich bin für alle Verschärfungen, ich bin dafür, dass bestimmte Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht impfen lassen wollen, dazu "gezwungen" werden, ob durch Druck, durch die Verschärfungen oder durch eine Impfpflicht. Da muss klar etwas vorgegeben und durchgezogen werden. Das scheint jetzt endlich der Fall zu sein.
Frage: Auch innerhalb der Kirche tun sich in dieser Frage einige Gräben auf. Wie blicken Sie darauf?
Kreitmeir: Das Corona-Thema spaltet sogar Pfarrgemeinderäte und ganze Gemeinden. Da frage ich mich: Die christliche Identität müsste doch verbindend sein. Aber das Virus zersetzt sogar diese. Man kann nicht einmal mehr davon ausgehen, dass es für den Christen klar ist, Solidarität für die ganze Bevölkerung zu zeigen. Der Christ ist eigentlich jemand, der immer das Soziale im Blick hat, der schaut, was er für den anderen tun kann. Dass bei manchen diese christliche Identität nicht stärker ist als die Infiltration durch abstruseste Meldungen und Verschwörungstheorien – das kann ich nicht verstehen. Wenn wir uns da nicht mal mehr als Christen einig sind, dann gute Nacht. Wir waren in Krisenzeiten als Kirche schon einmal stärker.
Frage: Bei aller Hoffnungslosigkeit aktuell: Gibt es ein Fünkchen Hoffnung, das Sie haben?
Kreitmeir: Ja, wenn Pfleger, Ärzte und Seelsorger nicht nur ihren Dienst tun, weil sie es müssen, sondern ihn mit einer inneren Überzeugung tun, mit einem langen Atem, der aus Quellen genährt wird, die sicher etwas mit Hoffnung zu tun haben, meiner Meinung nach auch mit Glauben. Nicht nur mit einem religiösen Glauben, sondern auch mit der Gewissheit, dass wir als Mitbürger zusammenhalten müssen. Das erlebe ich. Ich erlebe eine Putzfrau, die ganz andere Backgrounds hat als ich, die sich trotzdem die Hacken abläuft und alles Mögliche tut, obwohl sie auch nicht mehr kann. Ich erlebe eine muslimische Kollegin in der Pflege, die sich um ihre Glaubensschwestern und -brüder, aber auch um die Christen mit Liebe kümmert. Das ist meine Hoffnung: die einzelnen Leute, die sich aus Quellen der Hoffnung, der Liebe, des Miteinanders engagieren.
Aktion #jetzthoffnungschenken
Die Zahlen sind erschreckend: Jede vierte Person in Deutschland fühlt sich einsam. Und es sind nicht nur ältere Menschen betroffen. Einsamkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft. Dabei reichen oft nur kleine Gesten wie ein Lächeln, ein freundliches Wort, ein offenes Ohr oder etwas Zeit, um seinem Gegenüber Hoffnung zu schenken. Mit der Aktion #jetzthoffnungschenken will das Katholische Medienhaus in Bonn gemeinsam mit zahlreichen katholischen Bistümern, Hilfswerken, Verbänden und Orden im Advent 2021 einen Beitrag gegen Einsamkeit leisten. Erfahren Sie mehr auf jetzthoffnungschenken.de.