Religionssoziologe: Kirchen werden es unter Scholz schwerer haben
Den beiden großen Kirchen in Deutschland droht unter der neuen Bundesregierung nach Einschätzung des Religionssoziologen Detlef Pollack ein rauerer Wind als in der Ära Merkel. Das zeige schon die Absicht im Koalitionsvertrag, die Staatsleistungen an die Kirchen einzustellen, und gehe einher mit ihrem allgemeinen gesellschaftlichen Bedeutungsverlust, sagte Pollack der "Neuen Zürcher Zeitung" (Montag). "Dass der Staat etwa die Kirchensteuer einzieht oder die sogenannten Staatsleistungen, mit denen die Kirchen bis heute für die Verluste zur Zeit der Säkularisierung entschädigt werden: dafür wird sich immer weniger Verständnis finden lassen."
Der aus der Kirche ausgetretene Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stehe für etwa zwei Fünftel der deutschen Bevölkerung, die konfessionslos sind. "Da Religion sehr stark auf soziale Bestätigung angewiesen ist, hat es Folgen, wenn die höchsten Repräsentanten unserer Demokratie sich nicht mehr auf Religion beziehen", so Pollack, der als Professor für Religionssoziologie an der Universität Münster lehrt.
Kipppunkt für beschleunigte Entkirchlichung bald erreicht
Mit Blick auf jüngste Zahlen, wonach 2022 erstmals weniger als die Hälfte der Deutschen einer Kirche angehören könnten, erklärte der Wissenschaftler: "Damit nähern wir uns in Gesamtdeutschland einem Kipppunkt, von dem aus sich die Entkirchlichung wahrscheinlich beschleunigt."
Viele Menschen unterschieden zwischen den für sie immer noch akzeptablen ethischen Aussagen des Christentums, etwa dem Gebot der Nächstenliebe, und dem harten dogmatischen Kern. Zugleich richteten die Kirchen keine missionarischen Appelle mehr an die Menschen, "die bei diesen auch nicht gut ankommen würden", sondern begnügten sich damit, die Menschen in ihrem Leben zu begleiten und bei Bedarf für sie da zu sein.
Allerdings sind christliche Gebräuche laut Pollack als kulturelle Größen nach wie vor tief in der Bevölkerung verankert. "Das Weihnachtsfest wird als Familienfest begangen. Für viele gehört das einfach dazu, dass man zu Weihnachten mit seinen Liebsten in die Kirche geht." In Westdeutschland sei der Besuch der Weihnachtsgottesdienste seit Jahren nahezu konstant, "im Osten steigt er sogar an". (KNA)