Historiker widerspricht Lüdecke: Laien nicht strategisch getäuscht
Der Bochumer Kirchenhistoriker Florian Bock hat der Kritik des Bonner Kirchenrechtlers Norbert Lüdecke am Synodalen Weg aus kirchengeschichtlicher Sicht widersprochen. Wenn Lüdecke den Reformprozess in seinem im Sommer erschienenen Buch "Die Täuschung" als geplantes Täuschungsmanöver der Amtskirche gegenüber den Gläubigen darstelle, beleuchte er damit nur eine Seite der Medaille, schreibt Bock in der "Herder Korrespondenz" (Januar-Ausgabe). Mit seinem "Masternarrativ" der großen, jahrzehntelang nahezu strategisch durchgeführten Täuschung des Laienkatholizismus durch Vatikan und Bischöfe unterstelle Lüdecke der Kirchengeschichte eine Linearität, die zum kollegialen Widerspruch einladen müsse.
"'Katholischsein' von erheblichen Ungleichzeitigkeiten gekennzeichnet"
Linear, so der Kirchenhistoriker, sei die Geschichte des Katholizismus nie verlaufen. "Insbesondere das 'Katholischsein' des 20. Jahrhunderts ist nicht nur in Deutschland von ganz erheblichen Ungleichzeitigkeiten gekennzeichnet, die ihre Ursache in dem höchst verschieden ausgeprägten Einlassen auf die Moderne und ihre säkularen Herausforderungen durch einzelne Katholikinnen und Katholiken haben", so Bock. Daraus nachträglich und mit Blick auf die vielen beteiligten Akteurinnen und Akteure eine kausale Motivik herauszulesen, sei sehr problematisch.
Berücksichtige man die Vielzahl der in den vergangenen Jahren bekannt gewordenen zeitgeschichtlichen Quellenzeugnisse werde deutlich, dass das historische Material, welches in Lüdeckes Buch als Unlust und kalkulierte Verweigerung des Dialogs durch die Bischöfe herüberkomme, nicht so ablehnend gemeint gewesen sein müsse. In einer Zeit wie den 1960er-Jahren, deren unmittelbarer Erfahrungshintergrund die noch sehr autoritär gestimmte Zeit der Pius-Päpste gewesen sei, "erforderte es seitens kirchlicher Akteure im Gegenteil viel Mut und Entschlossenheit, zu einem johanneischen 'großen Sprung' des Konzils und dem Konzept des von Paul VI. entworfenen 'Dialogs' anzusetzen", so Bock weiter. Eine Blaupause oder eine "Road map" für diesen Aufbruch habe es nicht gegeben und nicht geben können.
Lüdecke kritisiert "Stimmrechts-Placebo"
Lüdecke hatte im Sommer mit Blick auf den Synodalen Weg behauptet, dass es den deutschen Bischöfen in Krisensituationen immer darum gegangen sei, "einen nicht mehr kalkulierbaren, bedrohlichen Laien-Unmut mit Gesprächen" zu befrieden. "Es geht von Seiten der Bischöfe darum, Kritik-Hochdruck durch Gesprächsarrangements abzuleiten, indem sich Laien irgendwie beteiligt fühlen sollen, ohne entscheiden zu können: Die Laien dürfen abstimmen, aber was ihnen als Beschlussfassung suggeriert wird, ist in Wahrheit eine unverbindliche Meinungsäußerung, ein Stimmrechts-Placebo", so Lüdecke. In diesem Zusammenhang hatte der Kirchenrechtler auch die Würzburger Synode (1971-1975) und den nach dem kirchlichen Missbrauchsskandal aufgelegten Gesprächsprozess ab 2010 genannt.
Mit Blick auf die teilweise kontroversen Debatten beim Synodalen Weg ruft Bock in seinem Beitrag zu Gelassenheit auf. Die Kirchengeschichte könne "geradezu therapeutisch zur Relativierung und Entspannung so mancher erregten Debatte beitragen – gerade wegen der ambivalenten Aussagen, die die Historie bereithält", schreibt der Theologe. Auch bei der Würzburger Synode hätten die Synodalen Ungleichzeitigkeiten auszuhalten gehabt und ähnliche Themen wie in der Gegenwart diskutiert. "Unabhängig vom Ausgang der Diskussionen kann es doch entlastend für alle Beteiligten sein, dass es in der kirchlichen Zeitgeschichte nie eine einheitliche Linie gab", so Bock weiter. Neben der Ablehnung habe immer auch das authentische Bemühen um Synodalität gestanden, neben der angetäuschten auch die aufrichtig gewollte Diskussion – und zwar unabhängig von der Unterscheidung in Klerus und Laien. (stz)