Bischof Overbeck: Benedikt XVI. muss sich zum Gutachten "verhalten"
Nach der Vorstellung des Münchner Missbrauchsgutachtens werden Forderungen nach Konsequenzen laut. So erklärte der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der emeritierte Papst Benedikt XVI. müsse sich zu den Ergebnissen des Gutachtens "verhalten". Es müsse Verantwortung übernommen werden, und "die ist immer personal", sagte Overbeck im ZDF. Auch das Erzbistum München-Freising und die Verantwortlichen müssten Konsequenzen ziehen.
Die Kirche müsse versuchen, Vertrauen wiederzugewinnen, fügte Overbeck hinzu. Dazu gehöre, dass "wir den großen Themen, die in unserer heutigen Welt eine wichtige Rolle spielen, mehr Raum geben". Dies betreffe auch die Rolle der Frauen in der Kirche, die große sozial-ökologische Verantwortung, die Ökumene und den interreligiösen Dialog; "und wir brauchen ein religiöses Miteinander aller, die glauben", so der Ruhrbischof.
Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer nannte das Münchner Gutachten im WDR5-"Mittagsecho" "ein sehr deutliches Signal für die katholische Kirche, endlich Schluss damit zu machen, Verantwortlichkeiten nicht klar zu benennen". Zugleich müsse die Kirche noch viel stärker als bisher "den Betroffenen zuhören und ihnen Glauben schenken", unterstrich Pfeffer ähnlich lautende Empfehlungen der Münchner Gutachter. Ihn selbst hätten die Begegnungen mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs in den vergangenen Jahren sehr verändert: "Das geht schon sehr unter die Haut – und das lässt auch mich manchmal an meiner eigenen Kirche verzweifeln." Im Auftrag des Bistums Essen soll im Herbst das Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) eine eigene Missbrauchsstudie für das Ruhrbistum vorstellen.
Zollner: Benedikt sollte sich gegebenenfalls entschuldigen
Nach Ansicht des Jesuiten und Kinderschutz-Experten Hans Zollner werfen die Ergebnisse des Gutachtens ein anderes Licht auf die Amtszeit von Benedikt XVI. als Papst (2005-2013). Sollten sich die vier Fälle bewahrheiten, in denen die Kanzlei ihm Versagen als Münchner Erzbischof (1977-1982) nachweist oder dieses vermutet, dann werde man eine Neubewertung vornehmen müssen, sagte der Leiter des Instituts für Safeguarding an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom im BR-Fernsehen. Dann wäre es nach seinen Worten auch wichtig, dass sich der emeritierte Papst entschuldigt. Ein solches Verhalten wäre wichtig für die Kirche und für all jene, die auch den emeritierten Papst sehr schätzen, erklärte Zollner. Wenn es Fehler gegeben habe und Benedikt XVI. nicht reagiert habe, wie es hätte sein sollen, dann sollte das von ihm auch so benannt werden.
Die Theologin Doris Reisinger erklärte, sie rechne mit einer Wende in der Wahrnehmung des früheren Papstes. "Wir wissen jetzt, dass Ratzinger bereit ist, öffentlich zu lügen, um sich seiner Verantwortung zu entledigen", sagte sie dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Sie kritisierte zudem, dass im Umgang der Kirche mit Missbrauch und mit Betroffenen weiter "die kalte Logik des kirchlichen Strafrechts" vorherrsche: "Bis heute müssen Betroffene damit rechnen, dass ihnen mit einem grundsätzlichen Misstrauen begegnet wird."
Das am Vortag vorgestellte Gutachten bescheinigt dem früheren Papst Benedikt XVI./Joseph Ratzinger Führungsversagen im Umgang mit Missbrauchstätern sowie fehlende Sorge für die Geschädigten in seiner Zeit als Münchner Erzbischof. Auch der amtierende Erzbischof Kardinal Reinhard Marx (seit 2008) und der frühere Münchner Oberhirte Kardinal Friedrich Wetter (1982-2008) werden belastet. Die Gutachter ermittelten bei ihrer Prüfung von Missbrauchstaten 235 mutmaßliche Täter von 1945 bis 2019, die Zahl der Geschädigten liege bei 497. (tmg/KNA)