Bischof Bode: Benedikt XVI. muss sich zu Vorwürfen äußern
Nach der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München und Freising hat sich der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode erschüttert gezeigt. "Es trifft mich wirklich sehr, dass diese schweren Belastungen ausgesprochen werden", sagte er am Freitag bei einem Pressegespräch in Osnabrück. Mit Blick auf die gegen den früheren Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger und späteren Papst Benedikt XVI. erhobenen Vorwürfe sagte Bode: "Ich denke, dass der emeritierte Papst Benedikt sich da noch mal zu äußern muss." Auch die anderen noch lebenden Amtsträger, denen Fehler angelastet werden, wie etwa der Münchner Kardinal Reinhard Marx, müssten sich dazu verhalten.
In der Zeit, als Ratzinger Erzbischof von München gewesen sei, habe in der Kirche die Täter- und Institutionsperspektive im Vordergrund gestanden, so Bode. "Das weiß ich selber aus meiner langen Bischofszeit, und das wird hier noch mal in einer drastischen Weise deutlich." Der Bischof erklärte: "Ich hoffe sehr, dass wir aus diesem Prozess noch mehr lernen, noch transparenter zu sein." Mit dem laufenden Reformprozess Synodaler Weg gehe die katholische Kirche in Deutschland auch systemische Fragen an und sei damit auf dem richtigen Weg. Auch das Bistum Osnabrück werde bei seinem geplanten Zukunftsprozess im Blick behalten, "mit den Dingen so offen und so transparent wie möglich umzugehen".
Das am Donnerstag in München vorgestellte Gutachten bescheinigt dem früheren Papst Benedikt XVI. Führungsversagen im Umgang mit Missbrauchstätern sowie fehlende Sorge für die Geschädigten in seiner Zeit als Münchner Erzbischof (1977-1982). Auch der amtierende Erzbischof Kardinal Reinhard Marx (seit 2008) und der frühere Münchner Oberhirte Kardinal Friedrich Wetter (1982-2008) werden belastet. Die Gutachter ermittelten bei ihrer Prüfung von Missbrauchstaten 235 mutmaßliche Täter von 1945 bis 2019, die Zahl der Geschädigten liege bei 497.
Theologen fordern Konsequenzen aus Missbrauch und Vertuschung
Unterdessen forderte der Bochumer Theologe Matthias Sellmann nach dem im Münchner Gutachten dokumentierten Vertuschen von Missbrauch und sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche Konsequenzen. "Wir brauchen Rücktritte, die auch angenommen werden. Wir brauchen erkennbare kirchenpolitische Zeichen, dass wir die Erschütterung durch Missbrauch in den eigenen Reihen wirklich ernst nehmen", sagte Sellmann am Freitag bei einer Tagung der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg. Versagen bei Missbrauch und dessen Vertuschung stünden dem "Weg zu Gott" massiv im Weg. Als Chance für echte Veränderung beschrieb auch er den Synodalen Weg. Hier sei es möglich, Leitplanken für eine gute, künftige Entwicklung zu vereinbaren.
Der Jesuit und Leiter der Kölner Kunststation Sankt Peter, Stephan Kessler, sprach von einer Abschottung der Kirche in einer "Sonderwelt", die enden müsse. Christen und Kirche müssten sich stärker von Leid und Ungerechtigkeit berühren lassen. Es gelte, auf die Stimmen der Verletzten zu hören. Statt den "Zeitgeist" zu verurteilen, sollten Christen auf ihn hören und fragen, was es Neues für Glauben und Theologie zu entdecken gebe. Kessler, der lange in der Priester- und Seelsorgerausbildung gearbeitet hat, sprach sich auch für neue Ausbildungsstrukturen des kirchlichen Personals aus. Es brauche nachprüfbare Qualifikationen und vor allem soziale Kompetenzen; niemand dürfe sich hinter einer "Berufung" verstecken.
Bundesregierung: Missbrauchsfälle umfassend aufarbeiten
Die Bundesregierung erwartet eine umfassende und transparente Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Das am Donnerstag vorgestellte Gutachten für die Erzdiözese München und Freising mache erneut "auf erschütternde Weise das Ausmaß des Missbrauchs und der Pflichtverletzung kirchlicher Würdenträger deutlich", sagte eine Regierungssprecherin am Freitag in Berlin. "Der Missbrauch und der anschließende Umgang damit machen fassungslos". Umso dringender seien die vollständige Aufklärung und Aufarbeitung.
Das vorgelegte Gutachten sei dafür "ein wichtiger Schritt, dem aber weitere Schritte folgen müssen". Entscheidend sei, dass das Vertrauen in den Aufarbeitungswillen der katholischen Kirche und von einzelnen Würdenträgern gestärkt werde. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums betonte, dass das Thema keine rein innere Angelegenheit der Kirche sei. Wo sich auch heute noch Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten ergeben, müssten die zuständigen Strafverfolgungsbehörden diese selbstverständlich ermitteln und konsequent verfolgen. Die zuständigen Behörden hätten nach der Veröffentlichung des Gutachtens ja auch schon weitere Ermittlungen aufgenommen.
Die Staatsanwaltschaft München I prüft derzeit noch die Akten aus dem Münchner Missbrauchsgutachten auf mögliches Fehlverhalten noch lebender kirchlicher Verantwortungsträger. Die insgesamt 42 Fälle seien von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) stark anonymisiert übermittelt worden, teilte Oberstaatsanwältin Anne Leiding am Freitag auf Anfrage in München mit. Soweit sich auf dieser Basis Verdachtsmomente hinsichtlich eines möglichen strafrechtlich relevanten Verhaltens ergäben, werde man für ein Vorprüfungsverfahren entsprechende Unterlagen anfordern oder an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgeben. "Welche strafrechtlichen Normen verletzt wurden, ist noch Gegenstand der Prüfung." (tmg/KNA)