Tück: "Lehramt der Betroffenen" birgt Gefahr der Instrumentalisierung
Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück sieht in der Verwendung des Begriffs eines "Lehramts der Betroffenen" beim Synodalen Weg die Gefahr einer Instrumentalisierung Betroffener. In einem Beitrag für das Portal "katholisch.at" (Mittwoch) schrieb er, dass Versuche, ein "Lehramt der Betroffenen" als Argument im Reformdialog zu beanspruchen "gerade um der Opfer selbst willen" problematisch sei. Entsprechende Formulierungen wurden bei der zweiten Synodalversammlung verwendet und tauchen in einer Vorlage zur dritten Synodalversammlung auf, die Ende der Woche in Frankfurt stattfindet.
Unbestritten sei, dass die vorrangige Solidarität mit den Armen und Leidenden eine Forderung des Evangeliums ist. Die Rede von einem "Lehramt der Betroffenen" könne auch an die Formulierung von Papst Benedikt XVI. anknüpfen, der 2010 in seinem Brief an die irischen Bischöfe geschrieben hatte, dass in den Stimmen der Opfer die Stimme Christi zu hören sei. Die Formulierung gehe aber über Fragen der Missbrauchsbekämpfung hinaus, indem er der Stimme der Betroffenen "lehramtliche Autorität in theologischen Diskursen" zuspreche. Der Anspruch, das Leiden der Betroffenen zu würdigen und alles zu tun, um künftig sexuellen oder geistlichen Missbrauch zu verhindern, komme so zwar treffend zum Ausdruck. Rückfragen stellten sich, wenn Forderungen im Reformdiskurs direkt mit dem Lehramt der Betroffenen begründet werden sollen.
Den Schultern der Betroffenen zu viel aufgebürdet
Tück betonte, dass Geschädigte keine homogene Größe und nicht immer einer Meinung seien, jede Stimme der Opfer sei "unvertretbar", es wäre anmaßend, "wenn einzelne Akteure meinen, im Namen der Betroffenen sprechen zu können". Dazu müsse man unterscheiden zwischen dem Streben nach Gerechtigkeit und der Rückgewinnung verlorenen Vertrauens der Kirche. "Wer die Stimmen der Opfer einbezieht mit der Absicht, den verspielten Kredit an Glaubwürdigkeit rückgängig zu machen, der setzt die Vorzeichen falsch", so Tück. Die fällige Debatte über Strukturreformen in der Kirche lasse sich auch ohne Rekurs auf die Betroffenen führen. Zugleich bestehe die Gefahr einer "Immunisierungsstrategie": "Stimmen, die einzelne Reformvorschläge problematisieren oder das Projekt des Synodalen Weges als Ganzes in Frage stellen, werden dann als verblüffungsresistent oder leidunempfindlich hingestellt", so Tück weiter. Schließlich werde "den Schultern der Betroffenen zu viel aufgebürdet, wenn das Gelingen der Reformen mit der Autorität ihrer Leiden verbunden wird".
Die Formulierung "Lehramt der Betroffenen" wurde bei der zweiten Synodalversammlung im Oktober 2021 aufgebracht, als zunächst der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer in einem Redebeitrag eine "Emotionalisierung und das unfehlbare Lehramt der Betroffenen" ablehnte, worauf der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck appellierte, man müsse "mit den Tränen und schwierigen Lebenssituationen so vieler Betroffener wirklich ernst umgehen". Daher könne man auch von einem "Lehramt der Betroffenen" sprechen. Die Wendung wurde in der Vorlage des Synodalforums "Macht und Gewaltenteilung in der Kirche" für die dritte Synodalversammlung aufgegriffen. Darin heißt es über Betroffene sexualisierter Gewalt: "Ihr besonderes Lehramt gilt es anzuerkennen, weil die Stimme Christi in ihnen vernehmbar wird (Mt 5,1-12)."
Im vergangenen November sprach sich der Salzburger Fundamentaltheologe Gregor Maria Hoff dafür aus, das Lehramt der Betroffenen des Missbrauchsskandals ernst zu nehmen. In den Opfern sexueller und geistlicher Gewalt trete der Kirche Jesus Christus entgegen, der sich mit marginalisierten Menschen, mit den Verwundeten aller Zeiten identifiziere. "Dieses in einem präzisen Sinn außerordentliche Lehramt anzuerkennen und die damit verbundene Lektion zu lernen, kann der Kirche förmliche Glaubwürdigkeit zurückgeben, weil sie sich so der Gegenwart Jesu Christi versichert", schrieb Hoff in der Zeitschrift "Herder-Korrespondenz". (fxn)