Ein Bergsteiger als Papst

Vor 100 Jahren gewählt: Pius XI. rang mit Faschismus und Kommunismus

Veröffentlicht am 06.02.2022 um 12:45 Uhr – Lesedauer: 
Vor 100 Jahren gewählt: Pius XI. rang mit Faschismus und Kommunismus
Bild: © KNA

Vatikanstadt ‐ Die Deutschen verdanken Pius XI. ihre Regeln zur Bischofswahl. Seinen Landsleuten hingegen war Achille Ratti auch als Bergsteiger bekannt. Er geißelte Nationalismus und unterschätzte den Faschismus. Heute vor 100 Jahren wurde er zum Papst gewählt.

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Am 6. Februar 1922 erteilte der neugewählte Pius XI. von der Benediktionsloggia des Petersdoms aus den traditionellen Segen "Urbi et orbi" (der Stadt und dem Erdkreis). Schweigend. Aber erstmals seit 52 Jahren segnete ein Papst wieder in Richtung Petersplatz und der Stadt Rom. Mit der Geste signalisierte der bisherige Mailänder Erzbischof, Kardinal Achille Ratti, seinen Wunsch, endlich die Römische Frage klären zu wollen: den 50 Jahre währenden Konflikt um den Status des Vatikan-Territoriums.

Allerdings wurden erst am 11. Februar 1929 die Lateranverträge unterzeichnet: die Gründung des Staates der Vatikanstadt, ein Konkordat sowie ein Finanzabkommen zur Entschädigung für den 1870 untergegangenen Kirchenstaat.

Ratti, am 31. Mai 1857 als Sohn eines Spinnerei-Besitzers nahe Mailand geboren, galt als kompetenter Jurist und Historiker. Der italienischen Öffentlichkeit war er zudem als Alpinist bekannt. Ratti stand als junger Mann auf dem Mont Blanc, dem Matterhorn und der Dufourspitze; zudem sind einige Erstbesteigungen mit seinem Namen verbunden.

Rattis Neutralität habe Deutsche wie Polen verärgert

1911 holte Pius X. Ratti, damals Präfekt der Biblioteca Ambrosiana, nach Rom an die Vatikanische Bibliothek. Benedikt XV. ernannte ihn 1918 zum Nuntius in Warschau, wo Ratti auch zum Erzbischof geweiht wurde. 1920 war er päpstlicher Kommissar in Oberschlesien, Ost- und Westpreußen, wo laut Versailler Vertrag die Bevölkerung abstimmen sollte, ob sie zum Deutschen Reich oder Polen gehören wollte.

Rattis Neutralität, so heißt es, habe Deutsche wie Polen so verärgert, dass er im Juni 1921 abberufen und zum Erzbischof von Mailand ernannt wurde. Fünf Monate später war er Papst.

In seinen ersten Schriften stellte sich Pius in die Nachfolge des Friedenspapstes Benedikt XV. (1914-1922). Er kritisierte Nationalismus ebenso wie die harten Bedingungen der Siegermächte im Versailler Vertrag. Dieser Friede sei "nicht in die Herzen geprägt". Ende 1925 setzte er das Christkönigsfest ein, um alle Herrschenden daran zu erinnern, wer der wahre Herrscher sei.

"Mit brennender Sorge": Eine neue Spur führt ins Schwäbische

An Palmsonntag 1937 wurde in deutschen Kirchen ein wegweisender Text verlesen: die Enzyklika "Mit brennender Sorge" gegen die NS-Ideologie. Bislang schien klar, wer bei ihrer Entstehung federführend war. Doch neue Erkenntnisse führen auch zum damaligen Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll.

Entsprechend träumte Pius XI. von einer Rechristianisierung der modernen Gesellschaft gegen säkulare Tendenzen. Dabei setzte er auf Laienbewegungen wie die Katholische Aktion. Um deren Wirken zu schützen, war der Papst sogar bereit, gegenüber Mussolini die erste christliche Volkspartei Italiens zu opfern, den "Partito Popolare Italiano".

Der auf Effizienz bedachte Jurist schloss Abkommen des Heiligen Stuhls mit Lettland (1922) und Bayern (1924), 1925 und 1927 folgten Polen und Litauen, dann Rumänien. 1929 schloss Preußen, 1932 Baden ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl. Anhand dieser Abkommen sind die Rechte der entsprechenden deutschen Domkapitel bei einer Bischofswahl geregelt. Österreich und das Deutsche Reich folgten 1933. Zwar hatten die Verhandlungen schon vor Hitlers Machtübernahme begonnen, doch verschaffte es dem NS-Regime internationales Prestige.

Mit dem Abkommen hoffte der Vatikan, der Kirche "Schutzzonen in einem totalitären Staat zu verschaffen, dessen repressive Dynamik", so der Historiker Volker Reinhardt, "die des faschistischen Italien bei Weitem übertraf". Die vereinbarten Schutzklauseln entpuppten sich indes bald als Makulatur.

Protest gegen Konkordatsverletzungen

Keine vier Jahre später, im März 1937, protestierte Pius XI. in seiner Enzyklika "Mit brennender Sorge" gegen die vielfachen Konkordatsverletzungen. Zugleich brandmarkte er die NS-Weltanschauung als Neuheidentum: "Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat, oder die Staatsform... zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge."

Kritik am Antisemismus der Nazis kam darin nur verklausuliert vor. Im Juni 1938 äußerte sich der Papst vor belgischen Katholiken deutlicher: Moderner Antisemitismus sei mit der biblischen Tradition unvereinbar. Ein noch schärferer Text gegen Nationalismus, Faschismus und Antisemitismus soll am 10. Februar 1939, dem Todestag Pius' XI., auf seinem Schreibtisch gelegen haben. Sein Nachfolger, Pius XII. ließ ihn unveröffentlicht.

Pius XI. wie auch sein Nachfolger verurteilten den Kommunismus oder Bolschewismus meist schärfer als Nationalsozialismus und Faschismus. Was Pius nicht daran hinderte, auch mit dem sowjetischen Außenminister zu verhandeln – erfolglos.

Von Roland Juchem (KNA)