Göbel: Brauchen beim Missbrauch eine Haltungsänderung in der Kirche
"Ich engagiere mich hier nicht in erster Linie dafür, dass Frauen Priesterinnen werden (das sollen sie) oder das Priester heiraten können (das sollen sie dürfen). Ich beteilige mich am Synodalen Weg, um ganz konkret etwas gegen die systemischen Missbrauchsstrukturen zu tun." Mit diesen Worten hat die Berliner Pastoralreferentin Esther Göbel bei der dritten Synodalversammlung in Frankfurt am Main die Arbeitsgemeinschaft Verantwortungsgemeinschaft vorgestellt, die sie gemeinsam mit dem Pastoralreferenten Marcus Schuck initiiert hat. Im Interview erklärt sie, was das Ziel dieser Arbeitsgemeinschaft ist und warum Verantwortungsübernahme ein Prozess und kein punktueller Akt ist.
Frage: Frau Göbel, Sie haben in Ihrem Bericht bei der dritten Synodalversammlung gesagt, Sie beteiligen sich am Synodalen Weg, um ganz konkret etwas gegen die systemischen Missbrauchsstrukturen in der Kirche zu tun. Warum liegt Ihnen das Thema so am Herzen?
Göbel: Ich war selbst Schülerin des Canisius-Kollegs in Berlin. Auch wenn es beim Bekanntwerden des Missbrauchsskandals nicht um die Zeit ging, in der ich auf der Schule war, hat mich das doch persönlich erwischt. Ich hatte eine tolle Schulzeit und habe meine ganze Kindheit und Jugend in einer Kirche verbracht, die mir Freiräume gegeben hat, in der ich mich ausprobieren konnte und in der mir Menschen etwas zugetraut haben. Als ich dann als Erwachsene davon erfahren habe, wie furchtbar dieser Ort gleichzeitig für andere Menschen war, habe ich das fast als ungerecht empfunden. Es darf doch nicht von Glück oder Pech abhängen! Diese Ungerechtigkeit ist vielleicht die Triebfeder, weil ich allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in meiner Kirche einen "Safe Space" wünsche, für den die Kirche aus meiner Sicht steht. Und wenn das nicht so ist, muss ich etwas dagegen tun.
Frage: Wie kann die von Ihnen initiierte Arbeitsgruppe Verantwortungsgemeinschaft dazu beitragen, etwas dagegen zu tun?
Göbel: Ich war sehr lange in der Jugendseelsorge tätig und habe viel über Präventionsarbeit gelernt. Und ich weiß, dass es viele Menschen in der Kirche gibt, die sich wie ich auch persönlich verantwortlich fühlen, ohne dieses Gefühl genauer beschreiben zu können. Das war der Ausgangspunkt: Es ist mit Sicherheit hilfreich, Gesprächs- und Reflexionsprozesse zu initiieren. In meinem Statement in der Synodalversammlung habe ich das ein wenig salopp formuliert: Ich habe vielleicht nichts Böses getan, aber ich kann mir nicht sicher sein, ob ich in 20 Jahren Kinder- und Jugendarbeit nicht vielleicht unabsichtlich Gutes unterlassen habe. Ich bin mir sicher, dass ich in den 20 Jahren Kindern und Jugendliche getroffen habe, die auch von Missbrauch betroffen waren, die mir vielleicht etwas gesagt hätten, wenn ich sensibler gewesen wäre oder mir in der einen oder anderen Situation mehr Zeit und Ruhe genommen hätte, um zuzuhören und Dinge zu sehen und nicht zu übersehen. Das ist ein Thema, das sicherlich viele Menschen so oder so ähnlich betrifft, die haupt- oder ehrenamtlich in der Kirche arbeiten.
Frage: Woran soll die Arbeitsgemeinschaft jetzt konkret arbeiten?
Göbel: Das ist noch nicht so ganz klar. Ursprünglich lief unsere Idee unter dem Begriff "Schuldbekenntnis". Darüber hatten wir anfangs gesprochen und haben dann festgestellt, dass es uns inhaltlich gar nicht unbedingt um ein Schuldbekenntnis geht, sondern sind zum Stichwort Verantwortung gekommen. Es könnte sein, dass sich mit der Zeit auch herausstellt, dass dieser Titel eigentlich falsch ist und es noch ganz anders heißen müsste. Der Prozess hat also im Grunde schon angefangen. Der nächste Schritt wird jetzt sein, mit den acht Synodalen, Bischof Franz-Josef Bode und Johannes Norpoth vom Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz ein gemeinsames Ziel zu finden, worum es eigentlich gehen soll, was wir in diesem Kreis tatsächlich anstoßen und bewirken können. Und eventuell wird es in der letzten Synodalversammlung eine Liturgie geben und vielleicht ist auch ein Schuldbekenntnis dabei – aber vielleicht kommen wir auch auf ganz andere Ideen.
Frage: Wie könnte so eine Form der Verantwortungsübernahme konkret aussehen?
Göbel: Ich kann mir gut vorstellen, dass wir auch ein Impulsset mit Methoden dazu entwickeln, wie man über das Thema Verantwortung überhaupt ins Gespräch kommen kann. Ich glaube, das ist der wichtigste Schritt und diese Auseinandersetzung führt letztlich zu einer Haltungsänderung, die wir in der Kirche dringend brauchen. Missbrauch in der Kirche hat natürlich auch etwas mit den Strukturen zu tun, die wir beim Synodalen Weg ändern wollen, aber es braucht eben auch diese Haltungsänderung bei jedem Katholiken und jeder Katholikin.
Frage: Es geht also nicht um ein wie auch immer geartetes Zeichen?
Göbel: Ich glaube, es braucht schon ein Zeichen – das allein reicht aber nicht aus. Ein Zeichen ohne diesen Prozess der eigenen Reflexion ist leer. Der Prozess allein ist zwar gut, aber wir sollten auch der Gesellschaft deutlich machen, dass wir verstanden haben, umkehren wollen und dass wir wirklich glaubhaft in Wort und Tat an der Seite der Betroffenen stehen wollen. Es braucht also beides.
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Frage: Im November hat es im Erzbistum Köln einen Bußgottesdienst gegeben, der auch für Kritik gesorgt hat, unter anderem, weil Betroffene an den Vorbereitungen nicht beteiligt wurden. Auf der anderen Seite ist es schwierig, wenn man Betroffene an einem Bußakt für Missbrauch beteiligt, der an ihnen verübt wurde. Wie wollen Sie solchen "Fallstricken" aus dem Weg gehen?
Göbel: Das ist uns sehr bewusst und genau das werden wir mit aller Achtsamkeit versuchen zu vermeiden. Es geht uns überhaupt nicht um Vergebung durch die Opfer, denn dann müssten wieder die Betroffenen etwas tun. Es geht uns um eine Haltungsänderung innerhalb der Kirche. Es geht auch nicht um Schuld, weil nicht die Gläubigen die Schuld haben, sondern die Täter. Damit das ganze nicht nach hinten losgeht, war es uns als Gruppe wichtig, dass der ganze Prozess von Anfang an unter der kritischen Begleitung des Betroffenenbeirats stattfindet. Es ist ein Thema, das man von mehreren Seiten betrachten kann. Es gibt Menschen, die sagen, das ist unbedingt nötig und es gibt welche, die sagen: Das ist ganz und gar unmöglich. Und wenn es nach uns geht, wollen wir auch als Gruppe nicht einfach irgendetwas vorgeben, sondern das auch an die Synodalversammlung rückbinden und dort noch einmal Feedback einholen, welche Ideen auf Zustimmung stoßen und welche eher nicht.
Frage: Sie unterscheiden die beiden Begriffe Schuld und Verantwortung deutlich voneinander. Worin liegt der Unterschied aus Ihrer Sicht?
Göbel: Die Täter haben die Schuld am Missbrauch. Wir alle tragen aber Verantwortung, auch wenn wir keine Schuld haben. Verantwortung ist ja nicht nur rückwärtsgewandt für das, was passiert ist, sondern auch auf die Zukunft gerichtet: So etwas darf nicht wieder passieren. Natürlich können wir Missbrauch nie zu einhundert Prozent verhindern, das wissen wir auch aus der Prävention. Aber nur, wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten, Verantwortung für diese systemischen Ursachen zu übernehmen, dann werden wir uns aus diesen Verstrickungen befreien können. Hans-Joachim Sander schreibt in seinem Buch "Anders glauben, nicht trotzdem", dass wir letztlich alle von diesem Thema Missbrauch kontaminiert sind. Es geht, so sagt er, nicht darum, trotzdem weiterzumachen, sondern anders zu glauben. Und an diesem "anders" wollen wir konkret arbeiten.
Frage: Was würden Sie sich für Ihre Arbeitsgemeinschaft wünschen? Welche Reaktion erhoffen Sie sich denn in der Synodalversammlung und darüber hinaus?
Göbel: Ich erhoffe mir erstmal tatsächlich durch die Zusammenarbeit mit dieser relativ bunt gemischten Gruppe einen kreativen und spannenden Ideenpool. Ich weiß ja selbst auch nicht, wie der Weg geht. Da erhoffe ich mir einfach das Potenzial dieser Gruppe. Dann hoffe ich, dass wir auf gute Ideen und vielleicht kleinere Projekte kommen, die dann tatsächlich auch Zustimmung und Erfolg haben, in dem Sinne, dass sie andere dazu anstiften, sich auch weitergehend mit diesem Thema zu beschäftigen. Nur so können wir irgendwann aus diesem Schock- und Empörungszustand wieder herauskommen, handlungsfähig werden und synodal und gemeinsam unsere Kirche gestalten. Und sie uns nicht von den Tätern kaputt machen lassen.