Lebendiges Gespräch zwischen Juden und Christen stärken

"Abschied vom Erlöser": Neues Buch über jüdische Messiasvorstellungen

Veröffentlicht am 27.03.2022 um 12:23 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Auch das Judentum kennt die Erwartung eines Messias. Anders als im Christentum bleibt sie aber offen – und hat sich immer wieder verändert. "Abschied vom jüdischen Erlöser" heißt ein neues Buch, das zum Gespräch über Differenzen einlädt.

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Es ist ein Thema vor allem für theologisch Interessierte – und kann gleichwohl einen Einfluss auf das Gespräch von Juden und Christen haben. Und damit auch weitere Kreise über das Theologische hinaus ziehen. Es geht um die Vorstellung des Messias, also einer Erlöserfigur, beziehungsweise eines messianischen Zeitalters im Judentum. Dazu ist im Herder-Verlag jetzt ein Buch erschienen, das den Bogen zum Christentum und zum interreligiösen Dialog spannt: "Der Messias kommt nicht. Abschied vom jüdischen Erlöser", geschrieben von Walter Homolka, Juni Hoppe und Daniel Krochmalnik, mit einem Nachwort von Magnus Striet. Er blickt auf das Christentum, in dem Jesus Christus als der Messias verstanden wird.

Im Lauf der jüdischen Geistesgeschichte zeigt sich, dass es kein einheitliches Konzept gab. Die Ideen waren Veränderungen unterworfen und beeinflusst von politischen und religiösen Umständen, von Krisen, Erwartungen und Hoffnungen. Und auch von Enttäuschungen, hervorgerufen durch ausbleibende Erlösung unter dem Eindruck von Verfolgung, Exil und anderen Katastrophen sowie durch Figuren, die das erhoffte Heil den Menschen dann doch nicht brachten. So ist die Erwartung eines Messias für das Judentum nicht zentral. Vielmehr sollen die Menschen selbst an der Heilung der Welt mitwirken.

Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs, fasst zusammen, dass die Vorstellungen zu einer messianischen Zeit im heutigen Judentum widersprüchlich sind: Manche Definitionen seien "rein politisch", andere gingen von Phänomenen wie Auferstehung der Toten aus. Eine säkularisierte Form des Messianismus sei der Zionismus, "dessen Anhänger die Hoffnung nach einer Rückkehr nach Eretz Jisrael quasi aus eigener Kraft erfüllen".

Jesusdarsteller aus einer Serie
Bild: ©The Chosen, LLC (Symbolbild)

Die Figur Jesu von Nazaret hat zu einer religionsgeschichtlichen Wegscheide geführt: Während die juden-christliche Strömung in dem Wanderprediger den verheißen Messias sah, lehnte der Rest des Judentums diese Auffassung ab. (Szene aus der Jesus-Serie "The Chosen")

Das liberale Judentum folge den Vorstellungen von einem messianischen Zeitalter. Homolka nimmt Bezug auf Rabbiner Leo Baeck (1873-1956) mit einem in die Zukunft übertragenen Gedanken, der in der Hoffnung zum Ausdruck komme, "die Gottes Reich hier auf Erden anstrebt und erwartet". Rabbinerin Dalia Marx dagegen beziehe sich auf die Gegenwart: "So verstehe ich den Begriff der Messianität als einen Prozess und nicht als Erfüllung, als Glaube, der ermöglicht, das Gute zu vermehren, das Unvollkommene in unserer persönlichen, familiären und beruflichen Welt ebenso wie auf gemeindlicher, nationaler und universaler Ebene in Ordnung zu bringen."

Nach den Worten Homolkas führten die Emanzipation der jüdischen Gemeinschaft, ihre Integration in die Mehrheitsgesellschaft und ihre Teilhabe am Weltgeschehen zu einer "Umdeutung und Neugewichtung" des Messianismus. Widersprüchliche Erwartungen seien dabei auch Ausdruck "der Vielstimmigkeit des Judentums an sich".

Diese unterschiedlichen Ausprägungen zeichnet Homolka im Judentum der Neuzeit nach, etwa zu Zeiten der Aufklärung und nach der Schoah. Über den Messias im rabbinischen Judentum schreibt Daniel Krochmalnik. Der Professor an der Uni Potsdam und Geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology taucht zudem detailreich in Talmudisches ein. Juni Hoppe, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Encyclopedia of Jewish-Christian Relations des Abraham-Geiger-Kollegs, widmet sich ausführlich Messiasvorstellungen im antiken Judentum.

Striet: "Am Messias scheiden sich die Geister"

Das letzte Wort aus christlicher Sicht hat der Freiburger katholische Theologe Magnus Striet – unter der Überschrift "Am Messias scheiden sich die Geister". Er lenkt den Blick auf den Juden Jesus: "Weder der historische Jesus noch seine ersten Anhänger, die ihn als Messias bekannten, kannten einen Fall Adams, der durch einen Gottmenschen gesühnt werden musste. Die Wiederentdeckung des Juden Jesus und der Pluralität der jüdischen Messiasvorstellungen des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung kann christlich-theologisch heilsam sein."

Wenn Jesus der Messias gewesen sein sollte, so Striet, dann kein herrschaftlicher: "Es ist ein am Ende selbst ohnmächtiger, von Gewalt entstellter und nur noch auf Gott hoffen könnender Mensch gewesen, von dem gleichwohl bis heute unzählige Christ:innen behaupten, er sei der Messias gewesen." Bis heute sei die Geschichte keineswegs erlöst, die Frage nach dem "Warum" von Leid und Tod in der Welt bohre weiter.

Wenn Striet schreibt, dass sich am Messias die Geister scheiden, betont er zugleich: Durch diese "Spannung der Differenz" werde ein lebendiges Gespräch zwischen Juden und Christen nicht infrage gestellt – "sondern im Respekt vor der Differenz und in kritischer Auseinandersetzung wird Gemeinsamkeit gerade gestärkt".

Von Leticia Witte (KNA)

Neuerscheinung

Walter Homolka, Juni Hoppe, Daniel Krochmalnik: "Der Messias kommt nicht.
Abschied vom jüdischen Erlöser" (Verlag Herder, 2022), 272 Seiten, 24 Euro.