Theologe: These vom "doppelten Lehramt" beruht auf haltlosen Schlüssen
Nach Ansicht des Schweizer Theologen und Philosophen Martin Rhonheimer bedient sich der Orientierungstext des Synodalen Wegs im Hinblick auf die These von einem komplementären Lehramt von Theologen und Bischöfen haltloser historischer Konstruktionen. Für die Auffassung, wonach es im Mittelalter ein "doppeltes Lehramt" von Hirten und theologischen Magistern der Universität gegeben habe, gebe es keinen fundierten Beleg, schreibt Rhonheimer in einem Beitrag für die "Herder Korrespondenz" (Mai-Ausgabe). Er war von 1990 bis 2020 Professor für Ethik und politische Philosophie an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom, wo er nach wie vor als Gastprofessor lehrt.
Weiter schreibt Rhonheimer, dass das "Narrativ" von einem "doppelten Lehramt" im Orientierungstext des Synodalpräsidiums offenbar dazu dienen solle, "der Theologie die Lehrkompetenz für alle 'theologischen Streitfragen jenseits konziliarer Entscheidungen' zurückzugeben, die das Lehramt seit dem Ersten Vatikanum angeblich traditionswidrig an sich gerissen hat". Damit solle dem ordentlichen Lehramt der Bischöfe die alleinige Lehrkompetenz im Bereich des jeweiligen Bistums abgesprochen werden. Doch weder sei die These von Lehre und Realität eines "doppelten Lehramts" im Mittelalter historisch korrekt noch habe das erste Vatikanum hier einen Bruch mit der Tradition vollzogen. "Die im Orientierungstext des Synodalen Weges übernommene Konstruktion, derzufolge mit Pius IX. und dem Ersten Vatikanum die akademische Theologie entmachtet worden sei und deren Kompetenzen dem Papst und der Kurie übertragen worden seien, ist historisch nicht haltbar", betont Rhonheimer. Die Programmatik des Synodalpräsidiums gründe auf einer Geschichtsschreibung, die "selektiv, willkürlich und geradezu irreführend" mit ihren Quellen umgehe.
Populär gemacht habe die These vom "doppelten Lehramt" der Theologen und Bischöfe der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf mit seinem Buch "Der Unfehlbare. Pius IX. und die Erfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert” aus dem Jahr 2020, so Rhonheimer. Wolf berufe sich dabei auf den Kirchenhistoriker Klaus Unterburger, laut dessen Habilitationsschrift die theologischen Fakultäten für sich beansprucht hätten, in Glaubensfragen lehramtlich Stellung zu nehmen und Thesen offiziell zu verbieten, wodurch Theologen und Bischöfe in ihrer Gesamtheit Lehrautorität besessen hätten. Laut Rhonheimer behaupten Unterburger und Wolf, die Lehre vom "doppelten Lehramt" stamme von Thomas von Aquin. Dabei führe Unterburger drei Thomas-Stellen an, die jedoch als Belege für eine thomistische Lehre von einem "doppelten Lehramt" nichts hergäben. Sie seien "Fehlanzeigen".
Keine "Erfindung" des ordentlichen Lehramts
Zudem widerspricht Rhonheimer der These Hubert Wolfs, dass Papst Pius IX. ein bis dato nicht existierendes ordentliches neben dem außerordentlichen Lehramt erfunden habe. Dieser Ausdruck tauche bei Pius IX. lediglich zum ersten Mal auf. Der Begriff meine nicht, wie Wolf insinuiere, "'die faktische Ausweitung der römischen Kompetenzen' und damit die Entmachtung nicht nur der Bischöfe, sondern natürlich auch der Theologen". In seinem Breve "Tuas libenter" umschreibe Pius IX. das ordentliche Lehramt als das "Lehramt 'der ganzen ganzen über die Erde hin verstreuten Kirche', insofern es etwas als 'von Gott geoffenbart' lehre, was 'deshalb in allgemeiner beständiger Übereinstimmung von der katholischen Theologie als zum Glauben gehörig festgehalten wird'". Der Begriff signalisiere somit eine Universalisierung und "Dezentralisierung" des bischöflichen Lehramtes und binde das päpstliche Lehramt damit in einen größeren Kontext ein, "ja macht es von ihm abhängig".
"Mit einer auf brüchigen historischen Fundamenten gebauten theologischen Konzeption [...] dem kirchlichen Lehramt den Takt vorgeben zu wollen, um so die Kirche auf einen 'Weg der Umkehr und Erneuerung' zu bringen" sei eine Illusion, schreibt Rhonheimer. Stattdessen sei es die Pflicht der Bischöfe, in Einheit mit der die ganzen Weltkirche ihre Verantwortung als Lehrer in ihren Diözesen wahrzunehmen, "eine Verantwortung, die – gemäß dem beständigen Glauben der Kirche – kraft der Bischofsweihe und als Nachfolger der Apostel ihnen allein zukommt".
Das theologische Grundlagenpapier des Synodalpräsidiums mit dem Titel "Auf dem Weg der Umkehr und der Erneuerung" hatten die Delegierten des Synodalen Wegs bei der vergangenen Synodalversammlung im Februar mit der nötigen Mehrheit verabschiedet. Er skizziert die theologischen Grundlagen und Kriterien für die weiteren Beschlüsse. Wichtigste Quellen für Christen sind demnach die Bibel, die Tradition, das Lehramt, die Theologie sowie die "Zeichen der Zeit und der Glaubenssinn des Volkes Gottes". (mal)