Franziskus, der Staatsmann
Dazu gehört neben der schwierigen Lage der Christen in der Türkei auch der Flüchtlingsstrom aus Syrien und dem Irak. Der katholisch-islamische Dialog könnte ebenfalls durch die Reise beflügelt werden. Franziskus besucht mit der Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul erstmals seit seinem Amtsantritt eine Moschee. Die schwierige Lage der christlichen Minderheit dürfte in den Gesprächen des Papstes mit der politischen Führung ein zentrales Thema sein. Vollständige Religionsfreiheit gehört zu den bislang unerfüllten Bedingungen für einen EU-Beitritt der Türkei. In zwei Memoranden an die EU-Mitgliedstaaten hatte der Vatikan 2002 eigens auf die erheblichen Defizite in diesem Punkt hingewiesen und einen gesicherten rechtlichen Status der Kirchen im Land gefordert. Diese dürfen bislang etwa weder Eigentum besitzen noch erwerben und müssen ihre Immobilien auf Privatpersonen oder Vereine eintragen lassen.
Seit dem Regierungsantritt von Ministerpräsident Erdogan 2002, seit kurzem türkischer Staatspräsident, hat es zwar nach Aussage von Kirchenvertretern stellenweise Verbesserungen gegeben. Der jüngste Fortschrittsbericht der EU-Kommission vom Oktober 2013 bemängelt jedoch, dass nichtmuslimischen Gemeinschaften weiterhin der Status einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit vorenthalten werde.
Papst reist als Staatsoberhaupt des Vatikans an
Eine Folge davon ist auch, dass der Papst in Ankara laut türkischem Protokoll nicht als Oberhaupt der katholischen Kirche empfangen wird, sondern als Staatsoberhaupt des Vatikanstaates. Franziskus soll der erste Staatsgast sein, der von Erdogan in seinem neuen Präsidentenpalast empfangen wird, der wegen seiner immensen Kosten und seiner enormen Ausmaße umstritten ist.
Eine europapolitische Komponente erhält die Türkei-Reise von Franziskus unweigerlich durch die zeitliche Nähe zu seinem jüngsten Besuch im Straßburger Europaparlament und im Europarat am Dienstag. Beobachter rechnen allerdings nicht damit, dass der Papst in der Türkei zur strittigen Frage eines EU-Beitritts klar Stellung beziehen wird. Benedikt XVI. (2005-2013) hatte 2006 bei seinem Besuch eine öffentliche Aussage dazu ebenfalls vermieden. Gleichwohl behauptete der damalige Regierungschef Erdogan im Anschluss an ein Gespräch mit Benedikt XVI., dieser habe ihm gesagt, er wünsche der Türkei einen EU-Beitritt.
Franziskus ist bereits der vierte Papst, der die Türkei besucht
Dass die Türkei bei manchen Themen sehr empfindlich reagieren kann, hat Franziskus schon kurz nach seinem Amtsantritt selbst erfahren. Nachdem er im Juni 2013 am Rande einer Privataudienz für den armenisch-katholischen Patriarchen Nerses Bedros XIX. Tarmouni die türkischen Gräueltaten an den Armeniern als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnet hatte, legte die Türkei offiziell Protest ein.
Ein weiteres Gesprächsthema, das Franziskus mit der türkischen Staatsführung erörtern dürfte, ist die Lage der Flüchtlinge, die aus Syrien und dem Irak zu Hunderttausenden vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" in der Türkei Schutz suchen. Unterbringung und Unterstützung von Flüchtlingen wurden von der EU-Kommission im Fortschrittsbericht als vergleichsweise gut beurteilt.
Nach Paul VI. (1967), Johannes Paul II. (1979) und Benedikt XVI. (2006) ist Franziskus der vierte Papst, der die Türkei besucht. Alle Reisen in das Land standen unter ökumenischen Vorzeichen: Die Päpste kamen stets zu den Feiern des Andreas-Festes Ende November zum Ökumenischen Patriarchen. Anders als geplant, ging es 2006 unter Benedikt XVI. allerdings mehr darum, die islamische Welt nach der sogenannten Regensburger Rede des Papstes wieder zu besänftigen.