"Egal, ob der Impuls von einem Christen, Juden oder Muslim kommt"

Muslimin Kaddor besucht regelmäßig christliche Andachten im Bundestag

Veröffentlicht am 15.06.2022 um 13:24 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Die muslimische Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor hat in einem Interview erzählt, dass sie regelmäßig die christlichen Morgenandachten im Parlament besucht. Außerdem äußerte sie sich zu den religionspolitischen Zielen der Ampelkoalition.

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Die muslimische Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor besucht nach eigenen Angaben regelmäßig die christlichen Morgenandachten im Parlament. "Ich weiß, das verwirrt viele, weil ich ja Muslimin bin, aber es bringt mir spirituelle Einkehr", sagte die religionspolitische Sprecherin der Grünen am Dienstag in einem Interview der evangelischen Nachrichtenagentur "idea". Ob der Impuls von einem Christen, einem Juden oder einem Muslim komme, sei für sie als liberale Muslimin egal. Das muslimische Freitagsgebet habe sie dagegen zuletzt nicht besucht, da ihr dafür die Zeit gefehlt habe und sie als Frau auch nicht zum Besuch des Gebets verpflichtet sei.

Angesprochen auf die religionspolitischen Ziele der Ampelkoalition nannte Kaddor in dem Interview die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts und die Ablösung der Staatsleistungen. Hierzu liege ja bereits ein Gesetzentwurf aus dem vergangenen Jahr vor, der "ganz gut" sei. Die Koalition sei nun dabei, das Vorhaben voranzutreiben. Die Politikerin betonte in diesem Zusammenhang, dass sie die Sorgen der Bundesländer vor einer finanziellen Überforderung ernst nehme. Richtig sei, dass die konkrete Ablösung letztlich Sache der Länder sei, sie teile aber nicht den Pessimismus. "Sollen wir noch mal 100 Jahre warten? Ich finde, es ist an der Zeit, die Sache endlich anzugehen", betonte die Abgeordnete, die zugleich jedoch einen möglichen finanziellen Beitrag des Bundes in Aussicht stellte. Es wäre zu prüfen, "ob der Bund einen gewissen Anteil übernehmen kann". Allerdings sei man nicht zuletzt durch den Krieg in der Ukraine und das beschlossene Sondervermögen für die Bundeswehr in einer sehr angespannten Haushaltslage.

Kaddor: Islam in Deutschland nicht zu zersplittert

Deutlich widersprach Kaddor der These, dass der Islam in Deutschland zu zersplittert sei und der Staat deshalb keinen Ansprechpartner finde, der für alle Muslime spreche: "Ich sehe das Problem nicht und halte das für eine Schutzbehauptung, vielleicht auch für Unkenntnis. In anderen Religionsgemeinschaften ist es auch so, dass es nicht nur eine Gemeinschaft gibt, die alle Gläubigen repräsentiert." Gleichwohl sprach sie sich dafür aus, einen gemeinsamen Dachverband von liberalen und konservativen Muslimen zu bilden, der ein möglichst breites Spektrum der Muslime in Deutschland repräsentiere. Der Koordinationsrat der Muslime reiche dafür nicht, denn er repräsentiere vor allem den konservativen Flügel.

Kaddor ist im vergangenen Herbst neu in den Bundestag gewählt worden. Die 44-Jährige ist Tochter syrischer Einwanderer und wurde in Ahlen geboren. Sie studierte unter anderem Islamwissenschaft und Erziehungswissenschaft und hatte Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen. Nach dem Erteilen der islamischen Lehrerlaubnis unterrichtete sie seit 2013 das ordentliche Unterrichtsfach Islamische Religion. 2010 gründete sie in Köln zusammen mit einigen anderen Muslimen den Liberal-Islamischen Bund. (stz)