Keine Instrumentalisierung – dem Synodalen Weg geht es um Umkehr
In einem Gespräch mit dem Chefredakteur der Zeitschrift "Communio", dem Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück, hat Christoph Kardinal Schönborn eine Fundamentalkritik des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland vorgelegt. Sie verbindet traditionstheologische Überlegungen mit geistlichen Reflexionen zur Bedeutung von Synodalität und zieht klare Grenzlinien, die den Synodalen Weg aus Sicht des Wiener Kardinals in die Nähe eines schismatischen, mithin häretischen Phänomens rücken. Beide Begriffe braucht der Wiener Erzbischof nicht, aber der Vorwurf steht im Raum, wenn er bilanziert: "Man stelle sich Diskussionen im Judentum unter Absehung von der Tora vor. Und man stelle sich einen synodalen Weg unter Absehung vom depositum fidei vor. Das ist nicht mehr Synodalität, das ist ein anderer Weg, aber sicher nicht Synodalität im Sinne der Kirche."
Der gegebene Kontext war die Entscheidung des Synodalen Wegs, über die Zukunft des geweihten Amtes in der katholischen Kirche zu diskutieren. "Über eine solche Frage kann man nicht synodal verhandeln. Hier hätte das Präsidium einschreiten müssen. Das ist nicht ein verhandelbares Thema. Es gibt Vorgaben, die zutiefst in der Bibel und der Tradition der Kirche verwurzelt sind." Tatsächlich ist mit diesem Antrag eine Grenze berührt, die Kardinal Schönborn mit Blick auf Schrift und Tradition markiert. Die Debatte über den Antrag hat dies in der Synodalversammlung deutlich gemacht. Nicht erst mit dem Abstimmungsverhältnis von 95 Ja-Stimmen und 94 Neinstimmen stand fest, dass aus dem Antrag über eine Diskussion kein Beschluss für einen Verzicht auf das Weiheamt in der Kirche erfolgen würde. Das war aus zwei weiteren Gründen offensichtlich: Erstens betont der Synodale Weg, dass er keine dogmatisch relevanten Entscheidungen treffen kann, die von universalkirchlichem Belang sind. Er will aber Impulse für die Entwicklung der kirchlichen Lehre setzen, die aus dem Volk Gottes heraus den "sensus fidelium" zur Geltung bringen. Das betrifft die Frage nach dem Zugang von Frauen zum priesterlichen Amt. Dafür gibt es ein starkes Votum, das durch Befragungen von anderen Ortskirchen auf dem weltweiten synodalen Weg gedeckt wird. Damit ist zweitens klar, dass der Synodale Weg nicht den Abschied vom Amt sucht. Warum also eine Diskussion über das schier Undenkbare?
Kirche kann nicht einfach weitermachen
Man kann diese Intervention im Sinne eines performativen Sprechakts begreifen. Sie setzt ein Stoppsignal an einem entscheidenden Punkt: Angesichts der Erfahrungen mit dem katholischen Missbrauchskomplex, der eine systemische Dimension besitzt und nicht auf priesterliche Einzeltäter zu reduzieren ist, kann die Kirche nicht einfach weitermachen. Und wenn man über den Zugang von Frauen zum priesterlichen Dienst diskutiert, braucht es ein Nachdenken über die Bedeutung und Zukunft dieses Amtes. Der Antrag lässt sich von daher auch als ein prophetisches Zeichen lesen. Er baute eine Unterbrechung in die Abläufe und auch in das Selbstverständnis des Synodalen Wegs ein, um sich kirchlich zu orientieren. Das heißt auch: um den Sinn priesterlichen Dienstes im Moment seiner schärfsten Existenzkrise, nämlich eines tiefgreifenden Glaubwürdigkeitsverlustes neu zu bestimmen. Das ist, sehr präzise, die Forderung nach Umkehr, um auf den Weg Jesu zu finden.
Wenn Kardinal Schönborn in diesem Zusammenhang Argumente aus Schrift und Tradition bemüht, stellen sich Anschlussfragen. Im Neuen Testament gab es keine Priester im Sinne der heutigen Kirche, wohl aber finden sich mit der Sammlung des Zwölferkreises theologische Anschlussmöglichkeiten für die Entwicklung eines Amtes, das sich umwegig und unterschiedlich seit der alten Kirche formiert hat. Die kirchliche Tradition hat ihm bis in die Gegenwart neue Impulse gegeben – zuletzt mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sowohl in der Wiedereinrichtung des Diakonats als auch mit der Profilierung des gemeinsamen Priestertums aller Getauften. Die Tatsache, dass das priesterliche Amt Ergebnis, aber auch – mit Bischöfen und Päpsten – zugleich der bestimmende Aspekt seiner Entwicklung war, weist auf ein theologisches Problem erster Ordnung hin: Reicht es daran festzuhalten, dass im Amt seine apostolische Dignität festgelegt wird? Anders gefragt: An welchem Kriterium bemisst sich die Nachfolge Jesu Christi? Über welche apostolische Nachfolgegarantie verfügt ein Amt, das in nicht unerheblichem Maße an sexuellem und geistlichem Missbrauch beteiligt war? Braucht es nicht auch hier Umkehr – und zwar eine, die sich – im doppelten Sinn – der theologischen Fragwürdigkeit dieses Vorgangs wirklich aussetzt?
Kardinal Schönborn schließt von der innertrinitarischen Communio auf eine hierarchische Anlage der Kirche, denn "es gibt eine heilige Ursprungsordnung, eine Hierarchie (…). Der Sohn ist wesensgleich mit dem Vater, aber er ist nicht der Vater, und der Heilige Geist ist gewissermaßen das 'Syn', die Gemeinschaft von Vater und Sohn in Person. Das bedeutet, dass Synodalität und Hierarchie keine Gegensätze sind. Natürlich ist der Überstieg von der innergöttlichen Taxis, der Ordnung in der Wesensgleichheit, in die menschliche Ausprägung der Synodalität nicht von vornherein selbstverständlich. Man muss hier bei aller Ähnlichkeit die größere Unähnlichkeit der Analogie mitbedenken (vgl. DH 806), aber dieses 'Syn' der heiligen Ordnung, der Taxis des innergöttlichen Lebens spiegelt sich doch in den Werken Gottes."
Was heißt das konkret? Wie belastbar sind theologische Spekulationen unter dem Druck eines Ideologieverdachts, mit dem die Kirche im Missbrauchsskandal konfrontiert wird? Hat die kirchliche Sakralmacht, wie inzwischen zahlreiche Gutachten zeigen, nicht zur Überhöhung des Amtes geführt – und Opfer gemacht? Was ist mit der Kriminalgeschichte der kirchlichen Hierarchie? Wie unfassbar ist die Tatsache, dass die Amtsgnade nicht gereicht hat, zu verhindern, was unbedingt hätte verhindert werden müssen? Reicht das Konzept einer sakramentalen Begründung des Amtes ohne die Frage, unter welchen Bedingungen es in seiner gegebenen Form auch scheitern kann? Ist das ausgeschlossen – auch in eschatologischer Hinsicht mit Blick auf das ausstehende Gericht? Was sich nicht falsifizieren lässt, kann auch nicht verifiziert werden – das ist eine wissenschaftstheoretische Einsicht, die auch die Theologie betrifft.
Schließt Hierarchie Diffenrenzierung von Kompetenzen aus?
Es braucht Kriterien für den Wahrheitsgehalt der Ansprüche, mit denen sich Schrift und Tradition auslegen lassen. "Seit den frühesten Anfängen der Kirche ist das apostolische Amt das von Christus gestiftete Leitungsamt." Gleichzeitig gilt: "Das Maß, der Maßstab, den das kirchliche Amt zu nehmen hat, ist aber seit seinem apostolischen von Jesus eingesetzten Ursprung die dienende Gestalt Jesu." Eben die Form des Dienens ist zu bestimmen. Sie soll wiederum das Amt festlegen, das im Missbrauchsskandal versagt hat? Von einer "Bischofskrise" spricht der Staatsrechtler Josef Isensee in diesem Zusammenhang. Kann innertrinitarisch begründete Hierarchie, deren kirchliche Übertragbarkeit eigens zu diskutieren wäre, nicht auch Differenzierung von Aufgaben und Kompetenzen einschließen, also Macht- und Gewaltenteilung – was dann auf diese Weise die heilige Ordnung des Miteinanders in der Kirche und im Amt verwirklicht? Eine Zweidrittelmehrheit der Bischöfe hat auf dem Synodalen Weg dieser Perspektive zugestimmt – mit ihrer apostolischen Autorität.
Das Nachdenken über anstehende Konsequenzen, die aus dem katholischen Missbrauchsskandal zu ziehen sind, betreibt insofern keine "Instrumentalisierung des Missbrauchs", wie Kardinal Schönborn meint, als es darum geht, seine systemischen Ursachen zu durchbrechen. Das Problem wurde auf dem Synodalen Weg prominent diskutiert, als es um die Formel eines "besonderen Lehramts der Betroffenen" ging. Sie wurde gestrichen, um sie durch die theologisch profilierte Rede von einem locus theologicus zu ersetzen. Damit sollte, von einem Bischof eingeführt, die Bedeutung des theologischen Stimmrechts der von Missbrauch Betroffenen markiert werden. Es ist ihr Zeugnis, das auf eine unvertretbare Weise auf dem Synodalen Weg klarmacht: Die Kirche hat den Weg des Evangeliums verlassen. Und das erschüttert sie bis in ihre Grundfeste: ihre Glaubwürdigkeit. Wie also sollen Schrift und Tradition ausgelegt und für unsere Zeit umgesetzt werden? Diese Frage leitet den Synodalen Weg an. Als Handlungsmaxime gilt: Missbrauch von Macht darf in der Kirche nicht geschehen! Alles tun, um das zu verhindern! Das verlangt systemische Konsequenzen – als Ausdruck des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums. Das Kriterium: der schöpferischen Lebensmacht Gottes Raum geben und in der Kirche Geltung verschaffen! Wo Kirche im Zeichen der Vernichtung von Leben handelt und wahrgenommen wird, geht es so nicht weiter. Hier ist Umkehr gefordert!
Kardinal Schönborn bestimmt Synodalität als einen solchen Suchprozess: "Zeige mir, Herr, deine Wege!" (Ps 25,4). Er schließt an: "Wir wissen nicht alles. Wir suchen." Und er betont den Plural der "Wege". Dabei spielt er den Propheten Jesaja ein: "Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege (Jes 55, 8). Man muss also unterscheiden: Was sind seine Gedanken, was sind seine Wege?" Exakt darum geht es auf dem Synodalen Weg. Das schließt die Frage ein, wer sie beantworten kann. Sind es Amt und Tradition – jenseits von Auslegungsprozessen, die wiederum von Menschen betrieben werden? Was bedeutet die bleibende Offenheit für unterschiedliche Wege, sprich: Auslegungsoptionen des Evangeliums und eben auch der Tradition, die das ordentliche und außerordentliche Lehramt der Kirche in Kraft setzt? Dass es sich in der heute gegebenen Form um eine Zuordnung, um nicht zu sagen Innovation des 19. Jahrhunderts handelt, sei an dieser Stelle zumindest erwähnt.
Interessanterweise tut sich ausgerechnet im Horizont dogmatischer Verbindlichkeit eine Spannung im Gedankengang des Kardinals auf. Er erwähnt die definitive Entscheidung der letzten Päpste, dass die Kirche nicht die Vollmacht besitze, Frauen zur Ordination zuzulassen. Gleichzeitig spricht er von einer Offenheit für die Wege des Heiligen Geistes: "Es steht mir nicht zu, es steht niemandem zu, dem Heiligen Geist vorzugreifen. Aber eines möchte ich doch als Grundhaltung auch für einen synodalen Weg erbitten: Halten wir uns einen inneren Raum offen. Mit dem Gedanken: Vielleicht ist hier ein Sinngehalt, der sich mir jetzt und auch der Mehrheit der Gesellschaft heute nicht erschließt, den aber zu hüten vielleicht die Kirche beauftragt ist, auch in Treue zu einer diachronen Synodalität."
Lernfähigkeit gehört zur Geschichte der katholischen Kirche
Das "Vielleicht" setzt auf einen Sinn, der sich erschließen muss, eröffnet damit aber auch Erwägungsspielräume. Der Bezug auf den Heiligen Geist lässt Entwicklungsoptionen. Die Kirche hat sie immer wieder genutzt – mit dem Abschied vom Zwölferkreis etwa. Lernfähigkeit gehört zur Geschichte der katholischen Kirche. Der veränderte Blick auf die Bedeutung der Evolutionstheorie ist nur ein Beispiel, von dem auch Kardinal Schönborn Gebrauch macht. Den "Sinngehalt" der kirchlichen Tradition zu bewahren, fordert deshalb das argumentativ gestützte Unterscheiden der Geister. Dem geben synodale Beratungen einen Ort. Der Grundtext des Forums 1 zu Macht- und Gewaltenteilung bringt dies mit seinem Bezug auf die Lehre von den Loci theologici zum Ausdruck: Es gilt die verschiedenen kirchlichen Bezeugungsinstanzen wahrzunehmen und in ihrer Autorität zur Geltung zu bringen. Das verbindet diachrone mit synchroner Synodalität, wie sie der Wiener Erzbischof einfordert.
Der umlaufende Verdacht, auf dem Synodalen Weg werde nicht hinreichend aufeinander gehört, es ginge alles zu schnell, das meiste sei vorab festgelegt und nicht zuletzt fehle die spirituelle Tiefendimension, übersieht, dass der Synodale Weg sich nicht nur in seinen Plenarversammlungen vollzieht. Er unterschätzt die unendlich vielen Gespräche und Beratungen in den Foren und darüber hinaus. Er blendet den geistlichen Austausch in kleinen Gruppen und zwischen einzelnen Menschen aus. Er ignoriert das Leiden an der Kirche und die Leidenschaft für sie und was es viele Synodale kostet, unter innerem geistlichem wie äußerem gesellschaftlichen Druck für sie einzustehen – gerade für die von Missbrauch Betroffenen. Das "Hören und das Achten auf die Betroffenen" betont auch der Wiener Erzbischof. Doch von der theologischen und spirituellen Bedeutung ihres Zeugnisses auf dem Synodalen Weg und für die verhandelten Reformagenden ist im geistlich durchkomponierten Text von Kardinal Schönborn keine Rede.
„Vielleicht braucht es etwas kirchengeschichtliche Ernüchterung, damit sich das Warten auf Einmütigkeit nicht ins eschatologisch Unendliche verschiebt. Was nichts Anderes als Stillstand bedeuten würde.“
Synodale Prozesse gelingen nicht ohne Konflikte. Erfahrungen sind unterschiedlich. Entscheidungsverantwortung wird je anders wahrgenommen. Kirchliche und theologische Perspektiven weichen voneinander ab. Papst Franziskus ermahnte unlängst zur Treue zum Konzil und machte auf schwerwiegende Differenzen in der Kirche aufmerksam. Man muss nicht auf die US-amerikanische Bischofskonferenz schauen, um festzustellen, dass es ohne Auseinandersetzungen keine Katholizität gibt. Kardinal Schönborn fordert nun synodale Einmütigkeit. Er begründet sie schöpfungstheologisch und evolutionstheoretisch: "Synodalität als Erfolgsmodell der Schöpfung, der Gesellschaft und letztlich als in Gott selbst verwurzelt, das zielt auf Einmütigkeit, auf unaminitas. Wenn Papst Franziskus immer wieder sagt, Synodalität ist nicht ein Kirchenparlament, wo es primär um das Bilden von Mehrheiten, die Auseinandersetzung von Parteien geht, dann hat das seine tiefen Gründe. Es geht um eine größtmögliche Einmütigkeit." Dass Kooperativität einen Motor der Entwicklung des homo sapiens darstellt, steht außer Frage. Aber die Fähigkeit zu kommunikativem Handeln setzt eben auch die wechselseitige Übernahme von Einstellungen, Erwartungen und den damit verbundenen Argumenten frei. Ihre Tragweite muss ausgehandelt, ihre Bestimmungskraft anerkannt werden. Es gilt zu überzeugen, um Entscheidungen zu treffen, die beanspruchen dürfen, tatsächlich Gottes Wegen und nicht den eigenen zu folgen.
Vielleicht braucht es etwas kirchengeschichtliche Ernüchterung, damit sich das Warten auf Einmütigkeit nicht ins eschatologisch Unendliche verschiebt. Was nichts Anderes als Stillstand bedeuten würde. Auf dem Ersten Vatikanischen Konzil, dem historischen Höhepunkt der Bestimmung päpstlicher Lehrvollmacht, kam es zu – im Wortsinn – handfesten Auseinandersetzungen. Die Minorität wurde in ihrem Rede- und Mitbestimmungsrecht durch die Geschäftsordnung bereits vorab beschnitten. Am Ende der Diskussionen um die Definition päpstlicher Unfehlbarkeit reisten die meisten Bischöfe der Konzilsminderheit ab, um nicht gegen das neue Dogma stimmen zu müssen. Zuvor hatte Pius IX. einem ihrer Vertreter entgegengehalten: "La tradizione sono io!" Größtmögliche Einmütigkeit?
Dass Papst Franziskus auf eine synodale Kirche setzt, stellt die Weichen neu. Die katholische Kirche hat Erfahrungen mit synodalen Formaten gemacht, aber wie sie eine wirklich synodale Kirche wird, muss sie erst noch lernen. Dazu gehören die synodalen Wege vor Ort. Und wohl auch der Umgang mit dem Verdacht, das sei ja alles nicht mehr wirklich katholisch.