Im Maschinenraum der Hauptstadt: So arbeitet das ZdK in Berlin
Als Bundestag und Bundesregierung zur Jahrtausendwende ihren Sitz von Bonn nach Berlin verlegten, löste das eine enorme Umzugswelle vom Rhein an die Spree aus. Neben den Parlamentariern und einem Heer von Bundesbeamten zogen unter anderem auch alle großen Medien mit ihren Hauptstadtbüros, über 150 Botschaften ausländischer Staaten sowie unzählige Lobbyverbände und Nichtregierungsorganisationen von der alten in die neue Bundeshauptstadt.
Eine der wenigen Organisationen, die sich dem großen Treck nach Osten damals nicht anschloss, war das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Das wichtigste Laiengremium der katholischen Kirche in Deutschland verblieb an seinem traditionellen Standort an der Hochkreuzallee im gediegenen Bonner Stadtteil Friesdorf und begründete dies unter anderem mit dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, dass ebenfalls nicht nach Berlin umgezogen war. Dauerhaft gelöst war die Standortfrage für das ZdK damit allerdings nicht – im Gegenteil. Mit den Jahren wuchs die Erkenntnis, dass Bonn durch den Wegzug von Parlament und Regierung politisch und medial abgehängt worden war und man als am Rhein verbliebene Institution mit bundespolitischem Anspruch mit immer größerem Aufwand um Aufmerksamkeit an der Spree kämpfen musste. Als Konsequenz experimentierte das ZdK zwischenzeitlich zwar mit einem Berliner Büro – die gefühlte und tatsächliche Distanz zwischen Bonn und Berlin konnte dadurch aber nicht überwunden werden.
"Die Musik spielt in Berlin"
Dieser Umstand führte innerhalb des Zentralkomitees zu jahrelangen Debatten, die erst endeten, als die Vollversammlung als höchstes Organ im Frühjahr 2019 mit großer Mehrheit doch noch für einen Umzug nach Berlin votierte. Zentrale Hoffnung der Berlin-Befürworter war es, die politische, mediale und gesellschaftliche Präsenz des ZdK durch eine größere örtliche Nähe zur Bundespolitik und den großen Leitmedien wieder zu stärken. Der damalige ZdK-Präsident Thomas Sternberg formulierte es so: "Die Musik spielt in Berlin."
Drei Jahre nach dem Beschluss der Vollversammlung versuchen Generalsekretär Marc Frings und sein Team inzwischen, dem ZdK in diesem oftmals sehr vielstimmigen Konzert mit eigenen Tönen Gehör zu verschaffen. Anfang Januar ist das Generalsekretariat mit seinen rund 25 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Altbau einer ehemaligen katholischen Mädchenschule im angesagten Ortsteil Prenzlauer Berg gezogen. Hier, an der quirligen Schönhauser Allee mit ihrer typischen Berliner Mischung aus teils skurrilen Geschäften, hippen Restaurants und modernen Coworking-Spaces, hat sich das Sekretariat des Zentralkomitees auf drei Etagen eingemietet, nachdem sich die zunächst verfolgten Pläne für den Neubau eines katholischen Verbändehauses nahe der Friedrichstraße zerschlagen hatten.
Der Kontrast zum idyllischen Bonn könnte kaum größer sein – und gerade deshalb ist der neue Standort aus Sicht von Generalsekretär Frings genau richtig. "Von den absoluten Zahlen her ist Berlin zwar immer noch eine der katholischsten Städte Deutschlands – dennoch bewegen wir uns hier in einem völlig anderen Umfeld als im behüteten Friesdorf", sagt der 40-Jährige im Gespräch mit katholisch.de. Berlin sei in weiten Teilen eine säkulare und kirchenferne Millionenstadt, in der man sich als katholisches Laiengremium ganz anders positionieren müsse. Das sieht Frings, der seit Januar 2020 auf seinem Posten ist, jedoch nicht als Nachteil, ganz im Gegenteil: "Ich bin davon überzeugt, dass es auch angesichts der Kirchenkrise ein wichtiges Signal ist, dass wir uns durch unseren Umzug nach Berlin noch stärker den gesellschaftlichen Realitäten zuwenden."
"Wir hatten gar keine andere Wahl, als direkt ins kalte Wasser zu springen"
Beispielhaft nennt Frings eine Gruppe von ukrainischen Flüchtlingen, die kurz nach dem Beginn des russischen Angriffs auf ihr Heimatland im Erdgeschoss der neuen ZdK-Zentrale untergekommen sind. "Wir spüren hier sehr schnell und direkt vor unserer eigenen Tür die Konsequenzen politischer Entscheidungen", betont der Generalsekretär, der von Anfang an ein vehementer Verfechter des Berlin-Umzugs war und sein Amt ohne diese Perspektive wohl gar nicht erst angetreten hätte.
Der Umzug des Generalsekretariats fand dabei in einer politisch spannenden Phase statt, immerhin hatte nur wenige Wochen zuvor die neue Ampelregierung ihre Arbeit aufgenommen. Damit waren Frings und seine Mannschaft inhaltlich gleich vom ersten Tag an gefordert. "Wir hatten gar keine andere Wahl, als direkt ins kalte Wasser zu springen und gegenüber der Politik für unsere Positionen zu werben", so der Generalsekretär. Durch die neue Präsenz in der Hauptstadt könne man viel stärker den "Maschinenraum" bedienen, schließlich lebe Lobbying nicht so sehr von schriftlichen Stellungnahmen, sondern vor allem von der Präsenz im parlamentarischen, zivilgesellschaftlichen und medialen Geschehen. "Mit Blick auf das politische Mandat des ZdK können wir uns in Berlin natürlich viel leichter vernetzen als in Bonn", betont Frings.
„Die Stimmen der engagierten Katholiken und auch Protestanten in der Politik werden leiser – nicht nur, was die tatsächliche Kirchenmitgliedschaft angeht, sondern auch, was das Wissen über die Kirche und ihre inhaltlichen Positionen betrifft.“
Doch wie erfolgreich hat das ZdK in dieser Hinsicht in den ersten Monaten in Berlin agiert? Wird das Laiengremium von der Politik und den Medien tatsächlich stärker wahrgenommen? Zumindest medial lässt sich das noch nicht feststellen, auch wenn ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp in der vergangenen Woche mit einem Gastbeitrag in der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" mit ihrer Forderung nach einem größeren Angebot für Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland für einige Aufregung sorgte. Doch auch Frings gibt zu, dass das ZdK in der Hauptstadt "noch viel Aufbauarbeit" leisten muss. "Ich erlebe, dass wir uns als Dachverband der katholischen Zivilgesellschaft hier viel stärker erklären müssen", betont er. Die Zeiten, in denen die Stimme des Laienkatholizismus automatisch von Politik und Medien gehört worden sei, seien vorbei. "Wir müssen heute viel stärker erklären, wer wir sind uns was wir wollen."
"Die Stimmen der engagierten Katholiken in der Politik werden leiser"
Dies sei allerdings keine Überraschung, sondern entspreche den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre – Stichwort: Ende der Volkskirche –, die sich natürlich auch in der Politik bemerkbar machten. "Die Stimmen der engagierten Katholiken und auch Protestanten in der Politik werden leiser – nicht nur, was die tatsächliche Kirchenmitgliedschaft angeht, sondern auch, was das Wissen über die Kirche und ihre inhaltlichen Positionen betrifft", betont Frings. Gleichzeitig spürt der Generalsekretär nach eigenen Angaben immer noch eine "große Aufgeschlossenheit" des politischen Betriebs gegenüber der Kirche und ihren Anliegen. Dies zeige sich etwa mit Blick auf die weitere Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchsskandals: "Die Politik hat an diesem Komplex großes Interesse und wünscht uns für die Aufarbeitung ganz ehrlich Erfolg." Dies hänge wesentlich auch damit zusammen, dass die Politik die Kirche immer noch als "zivilgesellschaftlichen Koalitionspartner" betrachte und auch brauche.
Derzeit sei man dabei, bei den Bundestagsfraktionen weiter Klinken zu putzen, um das ZdK und seine Positionen bekannt zu machen, erläutert Frings. Dies sei jedoch nicht nur wegen des Umzugs wichtig, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass im Bundestag seit der Wahl im vergangenen September so viele neue Abgeordnete vertreten seien wie nie zuvor. "Insofern ist es wichtig, dass wir uns jetzt überall vorstellen", so der Generalsekretär. Dabei beschränke man sich nicht nur auf die religionspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen, sondern gehe gezielt auch auf andere Abgeordnete zu. Schließlich habe des ZdK den Anspruch, mit der Politik nicht nur über binnenkirchliche Themen im Gespräch zu sein.
Doch nur auf den politischen Raum allein will sich das ZdK in Berlin nicht beschränken. Frings deutet an, noch stärker als bisher Allianzen mit anderen Nichtregierungsorganisationen schmieden zu wollen. "Ich glaube, dass es in diesem Bereich viele Organisationen gibt, die uns noch gar nicht auf dem Schirm haben", so der Generalsekretär. Hier wolle man verstärkt für die eigenen Positionen werben und deutlich machen, "welchen Mehrwert es hat, mit uns zusammen zu arbeiten".
Die 2020er Jahre als zentrales Transformationsjahrzehnt der Kirche
Auch die Zusammenarbeit mit der weiterhin in Bonn ansässigen Bischofskonferenz hat laut Frings nicht unter dem Ortswechsel gelitten. Man arbeite mit dem Sekretariat der Konferenz weiterhin sehr eng zusammen. Allerdings gab es mit Blick auf den Stetter-Karp-Beitrag in "Christ & Welt" zuletzt Unstimmigkeiten zwischen ZdK und Bischöfen; der Pressesprecher der Bischofskonferenz widersprach ausgerechnet auf einem umstrittenen österreichischen Internetportal den Abtreibungs-Aussagen der Präsidentin. Noch vor der Kontroverse betonte Frings gegenüber katholisch.de, dass ZdK und Bischofskonferenz aufgrund des Synodalen Wegs „sozusagen eine Standleitung zwischen Berlin und Bonn“ hätten, „weil wir den Reformprozess sehr eng und vertrauensvoll gestalten“. Er sei sich sicher, dass die 2020er Jahre "das zentrale Transformationsjahrzehnt" der katholischen Kirche in Deutschland seien würden – "und es liegt jetzt in der Hand von ZdK und Bischofskonferenz, alles dafür zu tun, dass es eine Transformation zum Positiven wird".
Transformation – dieses Stichwort passt im Übrigen auch zum ZdK selbst. Nicht nur, dass das Zentralkomitee mit gut 20 Jahren Verspätung doch noch den Umzug von Bonn nach Berlin gewagt hat – Generalsekretär Frings will nach dem Ortswechsel auch an die Strukturen seiner Organisation ran. "Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir eigentlich arbeiten wollen. Wenn wir näher an die Politik heran wollen, müssen dafür natürlich auch Ressourcen freigelegt werden. Und dafür brauchen wir, glaube ich, auch eine agilere Struktur", so der 40-Jährige. Dies sei im Übrigen auch bei der Entscheidung für den Umzug als Auftrag formuliert worden. Man müsse sehr gut darüber nachdenken, welche Strukturen man brauche, um in Berlin "gut performen" zu können. "Dafür muss alles auf den Prüfstand – und das passiert auch", betont Frings.