Ein Ja zu Gott und zu mir
Sie führt es auf ihr Äußeres zurück, auf ein kleines Detail. Es ist die Form ihrer Augen, die sie als "asiatisch anmutend" beschreibt. Das war damals – Mitte der 1990er Jahre – der Auslöser. Sie wird von Jugendlichen in ihrem Dorf immer wieder beschimpft. "Sie nannten mich 'asiatische Bordsteinschwalbe' oder einfach nur 'scheiß Japse'." Es passiert ohne ersichtlichen Grund, auf der Straße oder im Schwimmbad. Blickt sie zurück, dann denkt die Frau, die aus dem Raum Köln/Bonn stammt, dass sie die Beschimpfungen nur verletzten konnten, weil sie den anderen Jugendlichen insgeheim geglaubt hat. Sie stellte sich viele Fragen: "Wäre ich besser gar nicht da?"
Über ihren genauen Herkunftsort, ihren Namen oder ihre Familie möchte sie lieber nicht sprechen. Nicht etwa, weil sie Angst vor den Menschen aus ihrem vergangenen Leben hat. Oder vor der Vergangenheit selbst. Nein, sie tut es, um "verwechselbar" zu bleiben. Was im ersten Moment skurril klingt, ist Teil ihres neuen Lebens. In diesem Leben heißt sie Schwester Hannah. Die 31-Jährige gehört heute zu den Dominikanerinnen von Bethanien, einem kleinen und nur wenig bekannten Orden, in dem Frauen mit und ohne kriminelle Vergangenheit zusammenleben. "Wir sollen verwechselbar bleiben, damit keine von uns auf ihre Vergangenheit festgelegt ist", erklärt sie. Denn "bei Gott zählt nicht, wer wir waren, sondern wer wir sind", zitiert sie ihren Ordensgründer, den seligen Jean-Joseph Lataste.
Die Erkenntnis war ein Schock für sie
Schwester Hannah kann sich noch gut daran erinnern, wie sie Gott für sich entdeckte. Es war eben diese schwierige Zeit mit 13, als sie eine erste Antwort auf die Frage, ob sie "besser gar nicht da wäre", fand: "Es würde mich gar nicht geben, wenn Gott mich nicht wollen würde." Die Erkenntnis, an Gott zu glauben, sei für sie ein Schock gewesen. Bis dahin habe sie im Religionsunterricht eher wie in einem guten Fantasyfilm gesessen. Es war interessant, aber nichts, was mit ihrem Leben, mit ihrer Realität zu tun hatte. Das änderte sich nun.
Sie ließ sich taufen. Von einem Leben im Orden war sie da aber noch weit entfernt. "Ich fand es schon verrückt genug, mich taufen zu lassen. Das hatte Gott erst einmal zu genügen", erzählt Schwester Hannah. Doch hatte sie noch immer Schwierigkeiten und haderte weiter mit ihrem Leben. Mit den Jugendlichen aus ihrem Dorf hatte das allerdings nur noch entfernt zu tun. Wieder taucht die Frage auf: "Möchte ich noch leben?" Doch der Glaube verlieh ihr Kraft, ist sie sich heute sicher. Sie wurde ausgeglichener, konnte mit Gott über alles reden. "Manchmal saß ich einfach in der Kirche, um Kraft zu tanken oder um mich auszuheulen."
Mit 17 kamen ihr ihre Träume öde und leer vor
Mit 17 Jahren habe sie es so deutlich gespürt wie nie zuvor. Dass ihr die Träume, die sie bisher für ihre Zukunft hatte, plötzlich öde und leer vorkamen. Dass sie sich ein Leben im Kloster vorstellen kann. "Ich war selbst irritiert davon", gibt sie zu. Heute beschreibt sie ihre Verbindung zu Gott als ein Gefühl der tiefen Sicherheit und der Gewissheit, nicht allein zu sein. Wenn sie sich an ihre Vorstellungen vom Klosterleben erinnert, weiß sie heute, dass ihre Fantasie nicht ausgereicht hat. "Dieses Leben ist noch viel bunter, schöner, schwieriger, erfüllter, anstrengender und tiefer, als ich es mir je hätte träumen lassen", sagt sie.
Mit 20 trat Schwester Hannah schließlich in den Orden ein. Hier wird nicht nach ihrer Vorgeschichte oder der der anderen Frauen gefragt. Hier pflegen die Schwestern Diskretion. "Diese Form der Barmherzigkeit befreit uns aus den Schubladen und ermöglicht eine Zukunft voller Leben und Heil", ist sie überzeugt. Es ist nicht so, dass damit Vergangenes ausradiert wäre. "Natürlich dürfen wir von uns aus darüber sprechen." Die Schwestern haben sich jedoch die Regel gegeben, sich gegenseitig nicht danach zu fragen. Ob die Frauen beispielsweise in ihrem früheren Leben gewalttätig waren, spielt keine Rolle. Das Auswahlkriterium, um in den Orden aufgenommen zu werden, ist für alle gleich. "Es ist die Berufung", sagt die Ordensfrau.
2010 hat Schwester Hannah ihre Ewige Profess abgelegt, 2013 ihr Theologiestudium beendet. Sie ist viel herumgekommen in ihrem Leben und hat fünf Sprachen gelernt. Für sie ein Beweis, dass Gott Humor hat. Denn eigentlich waren Sprachen immer ihre Schwäche. Anfang des Jahres ist sie schließlich - wieder - in Lettland gelandet. Denn bereits als Novizin war sie eine Zeit lang dort. Schon damals hatte sie das Gefühl, dass Gott sie dort haben möchte. Doch die Rückkehr dauerte noch etwas. "Denn wir werden gesandt und suchen uns unseren Einsatz nicht selbst aus."
"Fragen wie in jeder Beziehung"
Jetzt ist sie Priorin des Dominikanerinnen-Klosters in Riga. Gemeinsam mit drei anderen Schwestern kümmert sie sich um Frauen in Krisensituationen, besucht beispielsweise das Frauengefängnis vor Ort. Außerdem unterrichtet sie Kinder in der Sonntagsschule und betreibt eine Kleiderkammer. Um das alles zu schaffen, habe sie nicht nur an ihrer Gottesbeziehung, sondern auch an ihren sozialen Fähigkeiten arbeiten müssen, sagt sie und zählt auf: "Verantwortung übernehmen und delegieren können, Menschen ermutigen und ihnen vertrauen können, eigene Fehler eingestehen und um Hilfe bitten können."
Ihr Glaube ist auch ein Glaube an die Zukunft, sagt sie. Durch alle Unheilssituationen hindurch. "Er ist ein Ja zu Gott und darum auch zu mir, meinen Mitmenschen und der Welt." Bereut habe sie die Entscheidung, ins Kloster zu gehen, nie. Natürlich gebe es auch Krisen. Und manchmal habe sie sich die Frage gestellt, ob sie wirklich noch lebt, was sie leben wollte oder ob sie zu bequem geworden ist. Ob sie ihre Gottesbeziehung noch genug pflege oder sie als selbstverständlich verwahrlosen lasse. "Aber das sind wohl Fragen, die in jede ernsthafte Beziehung auf Lebenszeit hineingehören."