Ein Interview über Berufungen, scheiternde Ehen und den Zölibat

Wolfgang Weyer: Vom evangelischen Friseur zum katholischen Priester

Veröffentlicht am 04.08.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wolfgang Weyer wurde im Juni von Bischof Rudolf Voderholzer zum Priester geweiht. Er ist Friseurmeister, Vater von zwei Kindern – und geschieden. Im katholisch.de-Interview berichtet der 56-Jährige, warum er ausgerechnet Priester werden wollte.

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Früher evangelisch und verheiratet, Friseurmeister und Vater von zwei Kindern – jetzt katholischer Priester: Wolfgang Weyer wurde im Juni vom Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer geweiht. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Was sagen die Kinder dazu? Und warum sieht er den Zölibat als richtig an? Im katholisch.de-Interview gibt der 56-Jährige Antworten.

Frage: Herr Weyer, wie geht es Ihnen nach Ihrer Priesterweihe?

Weyer: Ich gewöhne mich gerade an meine neue Lebensphase. Ich habe 40 Jahre lang als Friseur gearbeitet und meinen eigenen Salon gehabt. Da war der Tag durchgetaktet mit Terminen. Momentan bin ich nach meiner Weihe erst am Planen, welche Aufgaben ich in der Kirchengemeinde übernehmen werde.

Frage: Sie waren gerne Friseurmeister?

Weyer: Ja, super gerne. Das war total schön. Ich habe mein Handwerk geliebt. Ich hatte in der Nähe von Wiesbaden einen bekannten Salon in der Nähe eines Musicaltheaters. Da hatten wir auch berühmte Kunden. Wobei für mich jeder Kunde ein besonderer war. Aber jetzt ist es gut, jetzt wird alles eingemottet. Das bringt nichts mehr. Jetzt bin ich Priester.

Bild: ©Bistum Regensburg/Uwe Moosburger/altrofoto.de

Wolfgang Weyer (56) wurde im Juni von Bischof Rudolf Voderholzer zum Priester geweiht. Weyer ist Friseurmeister, Vater von zwei Kindern und war verheiratet.

Frage: Sie waren aber verheiratet.

Weyer: Ja, ich war zehn Jahre lang verheiratet, allerdings nur standesamtlich. Sie war geschieden und in erster Ehe kirchlich verheiratet, also konnten wir nur standesamtlich heiraten. Dies geschah 1991 und im gleichen Jahr kam unsere Tochter zur Welt, dann folgte 1993 unser Sohn. Später hat sich meine Frau sich von mir getrennt. Scheinbar war ich für sie ein Projekt. Ich habe es ernsthaft versucht, aber es hat nicht geklappt.

Frage: Sie haben auch gemeinsame Kinder?

Weyer: Ja, wir haben zwei Kinder. Meine Tochter und mein Sohn sind inzwischen erwachsen.

Frage: Was haben Ihre Kinder zu Ihrem neuen Beruf gesagt?

Weyer: Meine Tochter kann es nicht nachvollziehen, dass ich jetzt Priester bin. Mein Sohn findet es voll super und war auch bei meiner Weihe dabei. Er hat sich richtig gefreut.

Bild: ©Bistum Regensburg/Uwe Moosburger/altrofoto.de

Der Segen der neugeweihten Priester im Regensburger Dom nach der Priesterweihe am 25. Juni 2022.

Frage: Hatten Sie schon in der Zeit, als Sie verheiratet waren, den Wunsch Priester zu werden?

Weyer: Nein, der kam erst danach. Ich war früher evangelisch und nicht besonders fromm. Meine Ex-Frau war katholisch. Meine Kinder wurden auch katholisch getauft. Durch die Kinder bin ich erst so richtig in den katholischen Glauben hereingewachsen und dann auch konvertiert. Damals war ich Anfang 30. Wir sind sonntags als Familie in den Gottesdienst gegangen, das hat einfach für mich gepasst. Wir konnten so unseren Glauben den Kindern weitergeben. Im Jahr 2004 ging die Ehe dann aber auseinander. In dieser Trennungsphase sagte mein geistlicher Begleiter zu mir: "Entweder Sie finden noch eine Frau und gute Mutter für Ihre Kinder oder Sie werden eh Priester".

Frage: Wie kam dieser Satz damals bei Ihnen an?

Weyer: Ich war damals kurz davor mich zu verabschieden, weil mich die Trennung von meiner Frau und die Zerissenheit der Kinder sehr mitgenommen haben. Ich dachte, es sei besser für die Kinder, wenn einer weg ist, dann müssen sie sich nicht zwischen uns beiden entscheiden. Ich hatte für mich eine Entscheidung getroffen. So war die Situation. Und dann kam da so ein Satz daher, dass ich sowieso Priester werden würde. Unvorstellbar! Das war so weit weg von mir und meiner Welt damals.

Frage: Warum?

Weyer: Na, meine Ex-Frau war damals alles für mich. Es kam für mich gar nicht in Frage, nach einer anderen zu suchen. Eine persönliche Hingabe kann ich nicht einfach so austauschen wie ein Möbelstück, die bleibt doch bestehen für immer.

Frage: Aber so war es dann ja nicht …

Weyer: Nein, leider sind unsere Gefühle füreinander mit der Zeit gestorben. Wir haben gemerkt, dass wir nicht mehr harmonieren. Aber der Grundtenor der Hingabe ist nicht gestorben. Denn wenn ich einem Menschen verspreche, ich bleibe bei dir, in guten wie in schlechten Tagen, dann meine ich das auch so und halte das auch ein. Aber unsere Ehe ist trotzdem gescheitert. Solche Brüche im Leben gibt es immer wieder. Mein Leben hat diese Bruchstelle. Aber der Herr hat sie verbunden und geheilt, damit ich weiter gehen konnte.

Frage: Wie meinen Sie das?

Weyer: Ich habe mich immer wieder an den Satz des Pfarrers damals erinnert: "Du wirst eh Priester werden". Fast jeden Tag dachte ich daran. Und das hat mir unglaubliche Lebenskraft gegeben. Vielleicht braucht mich da noch wer, dachte ich. Aber ich hab diesen Gedanken erstmal beiseitegeschoben. Nach der Trennung habe ich einen Neuanfang in Regensburg gewagt. Ich habe dort einen schönen Salon gefunden und bin mit meinen beiden, damals noch kleinen Kindern, und meiner Mutter, dorthin gezogen. Sie wollten bei mir sein, daher habe ich sie damals alleine großgezogen. Es war eine unglaublich schöne Zeit für uns.

Bild: ©Bistum Regensburg/Uwe Moosburger/altrofoto.de

Am Samstag, den 25. Juni 2022 weiht Bischof Dr. Rudolf Voderholzer im Dom St. Peter sieben Männer zu Priestern. Während der Anrufung des Heiligen Geistes und der Heiligen liegen die Neugeweihten auf dem Kirchenboden.

Frage: Wann haben Sie sich dann entschieden, Priester zu werden?

Weyer: Das war 2015, als ich 48 Jahre alt war. Damals habe ich gespürt, dass ich dazu bereit bin, einen geistlichen Weg zu gehen. Zuerst bin ich in eine kleine Ordensgemeinschaft in Österreich eingetreten. Das ist jetzt mein Weg, dachte ich. Ich fühlte, dass ich dort angekommen sei. Aber nach zwei Jahren habe ich gemerkt, dass ich doch etwas anderes suche. Ich wäre als Laienbruder für den Gästebereich und die Küche zuständig gewesen. Da merkte ich, dass der Herr mich woanders braucht. Also bin ich zurück nach Regensburg und habe dort begonnen, Theologie zu studieren. Das war eine stressige Zeit: morgens an der Uni und in den Zeiten zwischen den Vorlesungen Haare schneiden im Salon. Aber es ging. Als ich dann ins Priesterseminar eingezogen bin, dachte ich mir: "Jetzt ziehst du das durch!" Und ich habe immer wieder an diesen Satz von dem Pfarrer damals gedacht. Das hat mich motiviert.

Frage: War dieser Pfarrer dann bei Ihrer Weihe dabei?

Weyer: Nein, er ist inzwischen fast 90 Jahre alt und konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht dabei sein. Aber ich werde ihm meinen Primizsegen bringen und ihm so persönlich Danke sagen. In Bayern sagt man ja "Vergelt’s Gott". Denn ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar ich dafür bin, dass er mich seit Jahren im Gebet begleitet und sich um mich sorgt. Und, dass er mich durch seine direkte Ansprache sensibel gemacht hat auf den Ruf Gottes, somit habe ich letztlich meine Berufung auch ihm zu verdanken.

Frage: Wie haben Sie Ihre Weihe erlebt?

Weyer: Während der Prostratio, als ich da am Boden lag, fühlte ich nur Dankbarkeit. In dieser Position der Wehrlosigkeit, des Hingestreckt-Seins am Boden, habe ich gefühlt: "Ich erniedrige mich gerne für dich, mein Gott. Du bist der Höchste." Und tiefer kann ich nicht liegen, als auf dem Boden. Gleichzeitig war es ein erhebendes Gefühl, dass die Menschen für mich und die anderen Neupriester beten. Ich habe an meine Eltern gedacht, die schon verstorben sind, dass sie da im Himmel auf mich herabschauen mögen und mir ihren Segen geben. Als ich geweiht war, ist mir erst richtig bewusst geworden, dass ich nun Priester bin.

„Nein. Priester sollen nicht heiraten dürfen. Ich bin für den Zölibat. Ich kann als Priester nicht zwei Herren dienen, denn ich bin im Auftrag des Herrn unterwegs. Beides geht nicht.“

—  Zitat: Wolfgang Weyer

Frage: Haben Sie auch schon seit Ihrer Weihe kritische Rückmeldungen dazu bekommen, dass Sie verheiratet waren?

Weyer: Nein, nie. Ich habe auch keine schiefen Blicke erlebt. Es hat mich auch noch keiner darauf angesprochen, weil ich ehrlich und offen mit meiner Lebensgeschichte umgehe. Aufgefallen ist mir nur, dass die Leute mich jetzt anders anreden, mit "Herr Neupriester Wolfgang Weyer". Ich sage dann immer: „Ich bin eigentlich nur der Wolfgang, der Herr ist in der Kirche.“ Ansonsten denke ich mir, jeder muss seinen Weg gehen. Ich gehe jetzt meinen. Egal, was andere sagen oder denken. Ich bin als Priester für die Gemeinde da und für meine Kinder. Im Orden wird man ja als "Pater" angesprochen, als „Vater“. Ich will wie ein Vater für meine Gemeinde sein. Ich meine, die Gemeinde und ich, wir sind jetzt eine große Familie. Das passt doch.

Frage: Aber Sie haben Kinder! Andere müssen darauf verzichten, wenn Sie Priester werden wollen…

Weyer: Meine Gemeinde wird mich ganz haben, denn meine Kinder sind schon groß und selbständig. Ich weiß, was ich im Leben aufgegeben habe und was ich erlebt habe. Daher kann ich diese Sorgen auch bei anderen verstehen. Das darf man nicht vergessen. Das war mein Lernort für die Pastoral. Ich habe nächtelang am Krankenbett meiner Kinder gewacht. Ich habe jahrelang meine eigene Mutter gepflegt. Ich kann verstehen, wenn mir jemand davon erzählt, wie nahe einem das geht, wenn man sich um jemanden sorgt. Ich verstehe auch, wie es ist, in einer Ehe zu leben, und ihr Scheitern zu überleben. Die Brüche und Verletzungen des Lebens sind mir sehr vertraut.

Frage: Sollen Priester also heiraten dürfen?

Weyer: Nein. Priester sollen nicht heiraten dürfen. Ich bin für den Zölibat. Ich kann als Priester nicht zwei Herren dienen, denn ich bin im Auftrag des Herrn unterwegs. Beides geht nicht. Ich bin Priester mit Erfahrungen, die andere nicht haben., Und auch nicht brauchen, denn die Erfahrungen sind mit Verletzungen verbunden. Und wenn ich selbst verletzt bin und geheilt werden muss, kann ich nicht für die Verletzungen der anderen Menschen da sein. 

Von Madeleine Spendier