Priesterausbildung vernachlässigt Auseinandersetzung mit Sexualität
In der Ausbildung von Klerikern wird die Auseinandersetzung mit Sexualität, Geschlechterrollen und Macht vernachlässigt. Das geht aus einer Untersuchung von Theologen der Jesuitenuniversität Santa Clara hervor, die am Montag veröffentlicht wurde. In der Studie "Beyond Bad Apples: Understanding Clericalism as a Structural Problem & Cultivating Strategies for Change" ("Mehr als ein paar faule Äpfel: Klerikalismus als strukturelles Problem verstehen und Strategien für den Wandel entwickeln") untersuchen die Sozialethikerin Julie Hanlon Rubio und der Religionswissenschaftler und Theologe Paul J. Schutz die Einstellungen von Klerikern und Laien zu Klerikalismus. Der Begriff wird dabei gefasst als Machtstruktur, die Priester über andere stellt, ihnen ein Übermaß an Macht und Autorität zugesteht sowie die Handlungskompetenz von Laien einschränkt.
Wichtige Dimensionen zur Untersuchung von Klerikalismus seien dabei Sexualität, Geschlechterrollen und Macht. Zu den Ergebnissen gehört, dass Klerikalismus begünstigt wird durch Mängel in der Ausbildung zu einer gesunden Integration von Sexualität. Die fehlende Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität führe dazu, dass viele Priester nicht in der Lage seien, angemessen zu kommunizieren und Grenzen zu respektieren. 49 Prozent der befragten Priester und 73 Prozent der befragten Seminaristen gaben an, dass ihnen die Unterdrückung von Sexualität als Strategie zum Umgang mit der eigenen Sexualität empfohlen worden sei. Jeweils ähnliche Anteile an Priestern und Seminaristen gaben an, dass es für sie schwierig sei, über ihre Sexualität zu sprechen.
Ein weiterer Faktor sei eine mangelnde Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen. Klerikalismus manifestiere sich demnach in Formen von Männlichkeit, die in der Forschung mit Gewalt und Herrschaft in Verbindung gebracht werden. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass eine klerikalistische Form der Machtausübung mit autoritären und chaotischen Leitungsstilen verbunden ist.
Sexueller Missbrauch in der Kirche darf den Autoren zufolge nicht individualistisch damit erklärt werden, dass er nur von einzelnen Tätern ausgeübt wird. Stattdessen brauche es eine strukturelle Analyse des kirchlichen Lebens. Um Klerikalismus zu überwinden, benötige es daher "anti-klerikalistische" Strategien, die bislang unter den Maßnahmen zur Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt in der Kirche zu wenig im Mittelpunkt stünden.
Sprachfähigkeit zu Sexualität in der Ausbildung verankern
Konkret empfehlen die Wissenschaftler daher, die Entwicklung einer reifen Sexualität in der Ausbildung von Priestern und Laien zu verankern. Durch die Bank hätten die Befragten beklagt, dass es in der Kirche an Orten fehle, in der offen über Sexualität gesprochen werde. Studien zeigten, dass es einen Zusammenhang zwischen fehlender Sprachfähigkeit über Sexualität und Missbrauch gibt. Es fehle außerdem an Ansätzen, wie Intimität und Verletzlichkeit angemessen gestaltet werden können. Eine Auseinandersetzung damit müsse über die Festlegung von Grenzen gegenüber anderen hinausgehen. Noch finde in der Kirche zu wenig Reflexion darüber statt, wie Beziehungen in Medien und Kultur dargestellt werden, welche negativen Muster dabei auftauchen und über schädliche Männlichkeits- und Weiblichkeitsideale. Gegen schädliche Darstellungen von Beziehungen beispielsweise in Pornographie, in Filmen oder Serien könne das katholische Ideal von Sexualität als Ausdruck einer intimen Partnerschaft gestellt werden. Auch wenn man das katholische Verständnis von sexueller Differenz respektiere, gebe es Raum für Kritik an gesellschaftlich konstruierten, problematischen und wirkmächtigen Vorstellungen von Geschlecht. Hilfreich sei es auch, in der Priesterausbildung Seminaristen nicht in reinen Männergruppen auszubilden.
Nach der Priesterweihe fehle es vielen Klerikern an Strategien, wie sie Laien stärker beteiligen und zur Übernahme größerer Verantwortung befähigen können. Daher sollte ein Schwerpunkt in Seminaren und theologischen Fakultäten, aber auch Gemeinden, das Thema "Empowerment" sein. Theologisch seien Priesterbilder stark zu machen, die weniger auf die Autorität des einzelnen Klerikers hin ausgerichtet seien. "Neue Modelle des Priestertums, die sich auf die Befähigung der Laien, gegenseitige Fürsorge, Transparenz, Offenheit und Verletzlichkeit konzentrieren, sind für die Prävention sexueller Gewalt in der Kirche entscheidend", betonen die Autoren. Dazu gehöre auch eine Reflexion liturgischer Praktiken, da die meisten Menschen ihr Priesterbild aus den Erfahrungen in Gottesdiensten zögen. "Strukturellem Klerikalismus sollte durch liturgische Praktiken entgegengewirkt werden, die die Stellung des Priesters als Mitglied der Versammlung, das den Vorsitz hat, hervorheben, das Gebet der Versammlung (Priester und Volk) in den Mittelpunkt stellen und die volle, bewusste und aktive Teilnahme des gesamten Gottesvolkes freudig fördern", heißt es in der Studie.
Schwierigkeiten, potentielle Befragte zu finden
Grundlage für die Untersuchung waren knapp 300 Befragte, von denen etwa die Hälfte Kleriker, in der Ausbildung zum Kleriker oder Ordenschristen waren. Die Autoren merken kritisch an, dass sie die eigentlich geplante Zahl von 600 Befragten nicht erreicht hätten aufgrund von Widerständen in Bistümern und Priesterseminaren. Insbesondere an Jesuiten-Einrichtungen ausgebildete Befragte seien daher überrepräsentiert. Beim Vergleich zwischen diesen und Absolventen anderer Ausbildungsstätten fielen große Differenzen auf: So gab die Hälfte der befragten Priester und Seminaristen an, dass sie in ihrer Ausbildung angemessen darauf vorbereitet wurden, den Zölibat ohne Verleugnung ihrer Sexualität zu leben; alle davon waren Absolventen vonJesuiten-Einrichtungen.
Auffällig bei der Auswertung war, dass bei den Klerikern 58 Prozent der Befragten angaben, nicht heterosexuell zu sein (25 Prozent homosexuell, 10 Prozent Bisexuell, 11 Prozent anderes oder keine Antwort), während bei den befragten Laien sich 85 Prozent als heterosexuell bezeichneten und nur ein Prozent keine Angabe zur sexuellen Orientierung machte. "Die Konzentration von homosexuellen Männern im Priesteramt kann nicht außer Acht gelassen werden, da die meisten Priester nicht in der Lage sind, offen über ihre sexuelle Orientierung zu sprechen, und einige von ihnen das Priesteramt bewusst oder unbewusst als einen Weg wählen, ihre Sexualität zu vermeiden oder zu unterdrücken, was einen gesunden Umgang mit dem Zölibat außerordentlich schwierig macht", betonen die Autoren.
Klerikalismus wurde auch von der 2018 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten MHG-Missbrauchsstudie als ein systemischer Faktor identifiziert, der Missbrauch begünstigt. Klerikalismus wird in der Studie als "hierarchisch-autoritäres System" gefasst, das zu einer Dominanz der geweihten über die nicht-geweihten Personen führen könne. Sexueller Missbrauch sei dann ein extremer Auswuchs dieser Dominanz. Das autoritär-klerikale Amtsverständnis könne darüber hinaus bei Verantwortlichen dazu führen, dass begangener Missbrauch eher als Bedrohung des eigenen Systems statt als Gefahr für weitere Kinder und Jugendliche betrachtet würde. (fxn)