Neues Ausbildungskonzept in der Oberpfälzer Diözese

Wie Regensburger Seminaristen Priester der Zukunft werden sollen

Veröffentlicht am 02.09.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Regensburg ‐ Traditionell verbringen angehende Priester viel Zeit im Seminar und gehen nur zeitweise in die Praxis. Das Bistum Regensburg geht hier neue Wege: Seminaristen sollen mehr vom Leben in den Pfarreien mitbekommen. Das soll sie zu Priestern der Zukunft machen. Ein Besuch.

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Das kleine Stück Eisen fällt kaum auf. Doch wer es näher betrachtet, fragt sich schon, was dieser kleine Eisenring an der Säule in einer Kirche zu suchen hat. "Das ist eine spannende Geschichte", schmunzelt Gerhard Pöpperl. "Als Napoleon hier war, hat er die Kirche zu einem Pferdestall gemacht – und dieser Steigbügel ist immer noch da." Das Heilige und der manchmal profane Alltag spielen also oft zusammen. Dieses verbindende wie spannende Verhältnis prägt diesen Ort bis heute.

Gerhard Pöpperl öffnet ein paar Schritte weiter eine Tür und tritt nach draußen – oder besser: in einen vollverglasten Raum. Denn einer der ältesten Teile des Baus muss heute gegen weitere Witterung geschützt werden: Das Schottenportal stammt aus dem 12. Jahrhundert und seine zum Teil rätselhaften Figuren konnten immer noch nicht vollständig entschlüsselt werden. Heute ist es, wie auch die Schottenkirche St. Jakob, zu der es gehört, Teil des Komplexes in der Regensburger Altstadt, in dem sich das Priesterseminar des Bistums befindet.

Wieder durch die Kirche, öffnet Pöpperl, der Präfekt des Seminars, eine Tür auf der anderen Seite, durch die es direkt in den Seminartrakt geht. Er besteht aus einem Kreuzgang, von dem alle wichtigen Räume zu erreichen sind. Im Garten liegen in den Weltkriegen gefallene Seminaristen und Priester begraben, an den Wänden hängen die Portraits von Seminardirektoren, unter anderem auch eines Herrn Bernardus McDonald, was immer wieder für Schmunzeln sorgt. An Geschichte und Geschichten mangelt es diesem Ort nicht.

Die Zeiten ändern sich

Doch auch in diesen heiligen Hallen in einer Region, wo die katholische Welt vorgeblich "noch in Ordnung" ist, ändern sich die Zeiten und mit ihnen die Herausforderungen für angehende Priester. Deshalb hat sich für die künftigen Pfarrer einiges geändert. Anstatt wie bislang beinahe ausschließlich im Seminar zu leben und nur für einzelne Praktika in Pfarreien zu gehen, wurde die Zeit vor Ort deutlich ausgebaut. Die Semesterferien verbringen die jungen Männer nun immer in einer Pfarrei oder der Kategorialseelsorge, also etwa einem Krankenhaus oder Gefängnis. "Das entsprang dem Wunsch nach mehr Praxis. Denn am Ende wohnen die Priester ja auf dem Pfarrhof und nicht mehr im Seminar", sagt Pöpperl. Neben Studium und den Ausbildungseinheiten im Seminar nimmt der künftige Pfarralltag also nun einen wesentlich größeren Teil ein.

Bild: ©katholisch.de/cph

Dieser Brunnen im Regensburger Priesterseminar erinnert an einen Besuch des damaligen Papstes Benedikt XVI.

An einer Ecke öffnet sich eine kleine Halle, auf deren Boden ein flacher, runder Brunnen leise vor sich hinsprudelt. Er erinnert an den Besuch des damaligen Papstes Benedikt XVI. im Jahr 2006. Der Titel seiner Enzyklika "Deus caritas est", Gott ist die Liebe (gemeint ist die Nächstenliebe), ist dort eingemeißelt. Der Nächste, also die Menschen um den Priester herum, stehen beim neuen Ausbildungskonzept deutlich stärker im Fokus als früher. Denn die Seminaristen kommen nicht jedes Semester an einen anderen Ort, sondern arbeiten mehrmals an der gleichen Stelle. Dadurch sollen Entwicklungen und Fehler besser zu Tage treten. "Drei Wochen können Sie mal Mr. Nice Guy spielen, aber über längere Zeit hält das keiner durch. Durch die ausführlichen Praxisphasen lassen sich Eignung und Fähigkeiten der Studenten wesentlich besser beurteilen", resümiert Pöpperl. Für ihn sind die Pfarrer und Seelsorgemitarbeitenden vor Ort ebenso Priesterausbilder wie das Personal im Seminar. Deshalb kommen die Seminaristen in kleine und große, städtische und ländliche Pfarreien. In manchen ist viel Personal zu managen, in anderen der Pfarrer allein. "Auch darauf muss man vorbereitet sein", sagt Pöpperl.

Es geht die Treppen hinauf. Zuerst in die Seminarkapelle. Die stammt aus den 1930er Jahren, wurde aber mittlerweile umgestaltet in drei Teile: Für die Anbetung, die gemeinsame Feier und kleinere Andachten. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer kommt einmal im Monat vorbei und betet gemeinsam mit den angehenden Priestern. Viele sind es nicht mehr. Für die Oberpfälzer Diözese bereiten sich zehn Männer auf das Priesteramt vor.

"Das Seminar ist für uns auch eine Qualitätssicherung"

Nur ein paar Gänge davon entfernt befindet sich die Bibliothek. 44.000 Bände stehen dort zur Lektüre bereit – und weisen darauf hin, warum das Bistum trotz des neuen Konzeptes nicht auf die Institution des Seminars verzichten möchte. "Das Seminar ist für uns auch eine Qualitätssicherung." Würden die Seminaristen ausschließlich in den Pfarreien leben, hänge die Qualität der Ausbildung ausschließlich von ihnen ab, meint Pöpperl. Diese Unwägbarkeiten soll die zentrale Stellung des Seminars abfedern. Zudem soll es ein Schutzraum sein: "Hier muss man tiefgreifende Lebensentscheidungen treffen, deshalb muss man sich auch mal vom Druck des Alltags zurückziehen können."

Bild: ©katholisch.de/cph

Gerhard Pöpperl ist Präfekt des Regensburger Priesterseminars.

Das zeigt sich ein paar Meter weiter in einem Gruppenzimmer. In sogenannten Emmausgruppen treffen sich drei bis fünf Seminaristen einmal die Woche, um etwas für ihre geistliche Entwicklung zu tun. Entweder wird über die eigene Berufungsgeschichte gesprochen oder es stehen Heiligenbiografien sowie Bibelworte im Zentrum des Austauschs. Daneben gibt es hier noch eine Medienzentrale, wo die angehenden Priester in der digitalen Präsentation der christlichen Botschaft fit werden sollen, und eine Bierstube im Untergeschoss. Selbst innerhalb des Seminars ist der Alltag des 21. Jahrhunderts also spürbar.

Durch eine weitere Tür öffnet sich das Seminargebäude in einen großen Garten, in dem die Stadt drumherum durch die Umgebungsgeräusche spürbar wird. Dort warten Marvin Schwedler (28) und Stephan Knott (23). Beide sind schon seit einiger Zeit im Priesterseminar und haben bereits Praktika in sehr unterschiedlichen Umgebungen absolviert. So war Knott in einer ländlichen Pfarrei im Umland von Regensburg: "Da ist es deutlich ruhiger als hier in der Stadt, das zeigt sich etwa an den Terminen des Pfarrers: Krankensalbungen, Krankenkommion, der Besuch von Senioren und bei Geburtstagen stehen da auf dem Programm. Alles recht traditionell", erzählt er. Ganz anders bei Schwedler, der in Weiden in einer Stadtpfarrei war: "Das war eine ganz aktive Pfarrei mit viel Kreativität und zahlreichen Angeboten. Da gab es einen charismatischen Pfarrer, aber auch der hat nicht alles im Alleingang gemacht, sondern mit dem Pfarrgemeinderat und ganz verschiedenen anderen Leuten zusammengearbeitet."

Vielfältige Betätigungsfelder

Die Betätigungsfelder waren bei beiden Praktikanten sehr vielfältig: Sie waren bei Messen, Dienstgesprächen und dem Schulunterricht dabei, haben Gottesdienste vorbereitet und Lieder ausgesucht oder bei einer Prozession mal eine Statio gehalten. Dazu kam der Alltag auf dem Pfarrhof und in der Verwaltung der Pfarrei. Wertvolle Eindrücke für die Seminaristen: "Es war sehr motivierend, ins Geschehen eingebunden zu sein und das nicht nur aus der Theorie zu kennen", erzählt Knott. "Ich musste mir überlegen: Fühle ich mich in diesem Milieu wohl? Kann ich für die Menschen da sein, ist das meine Berufung?" Beide berichten, dass sich durch diese Erfahrung ihre Berufung bestätigt hat. "Ich bin ganz klassisch für die Pfarrei berufen", sagt Schwedler, "das kann ich mir für die Zukunft gut vorstellen."

Geholfen hat da, dass die beiden nicht für einmal, sondern mehrmals in der gleichen Gemeinde waren. Das haben auch die Menschen vor Ort geschätzt: "Da gab es ein großes Interesse für meine Biografie, keine Vorurteile oder Scheu, aber ein Wohlwollen für Männer, die sich für diesen Weg interessieren", erzählt Knott. Schwedler kennt aber auch die andere Seite: "Früher musste ich mich bei Familie und Freundeskreis für meine Entscheidung schon rechtfertigen. In der Gemeinde hat man es dagegen als Auszeichnung empfunden, einen Praktikanten zu bekommen."

Bild: ©katholisch.de/cph

Marvin Schwedler (28, r.) und Stephan Knott (23) sind Seminaristen in Regensburg.

Genau diese Arbeit mit den Menschen ist den Seminaristen auch später für das Berufsleben wichtig: "Seelsorge lebt von personalen Beziehungen", sagt Knott. "Wir müssen eine Kirche der Anonymität verhindern, da sind auch die normalen Gemeindemitglieder gefragt." Schwedler stimmt zu: "Seelsorger heißt nicht immer Priester. Wir haben so viele leerstehende Pfarrhöfe, da sollen Gemeindereferenten einziehen und ein Anlaufpunkt für die Menschen sein. Es gibt auch Gottesdienstformen, für man keinen Priester braucht, die können dort mit Kreativität umgesetzt werden." Es wird klar: Auch in der vermeintlich traditionellen Oberpfalz dreht sich nicht mehr alles um den Pfarrer als Solitär, auch hier werden die anderen Seelsorgeberufe mitgedacht.

Vernetzung und Freundschaften

Gleichzeitig ist den beiden Männern das Seminar wichtig, um sich mit anderen zu vernetzen und Freundschaften zu knüpfen. "Ein Priester braucht Freunde – und darunter auch Priesterfreunde", so Schwedler. Es müsse einen Schutzraum für die eigenen Ängste und Nöte geben.

An denen mangelt es nicht, denn auch in Regensburg geht die Zahl der Kirchenmitglieder zurück. Viele Themen des Synodalen Weges seien an der Basis jedoch nicht so präsent, sagt Schwedler. Für ihn ist die wichtigste Maxime für den Priester von morgen auch jene für den Priester der Gegenwart: "Man braucht als Priester eine große Leidenschaft für Christus und für die Menschen", konstatiert er. Die Kirche müsse in der Gesellschaft präsent und der Priester in der Gesellschaft erkennbar sein – für die Menschen in der Kirche aber auch jene außerhalb.

Die beiden Seminaristen stehen auf, sie haben noch zu tun, auch das Studium macht sich nicht von alleine. Durch die Tür entschwinden sie wieder in das Seminar. Über die Mauer des Gartens hinweg ist der Lärm der Straße auf der anderen Seite zu hören. Der Alltag lässt sich nicht aussperren. Doch dann erklingen die Kirchenglocken und rufen die Menschen zur Messe. Ein paar Momente lang besiegen sie die Geräusche der Stadt.

Von Christoph Paul Hartmann