Mitgliederschwund müsse "Folgen für eine ganze Reihe von Themen" haben

Norbert Lammert stellt Grundlagen der Kirchensteuer infrage

Veröffentlicht am 02.09.2022 um 12:42 Uhr – Lesedauer: 

Zürich ‐ Wenn der Staat als bezahlte Dienstleistung Kirchensteuern eintreibe, mache es "einen Unterschied, ob die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger diesen Kirchen angehört oder nicht", sagt Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert.

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Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sieht angesichts des sinkenden Anteils der christlichen Bevölkerung Änderungsbedarf bei der Praxis der Kirchensteuer. Wenn der Staat als bezahlte Dienstleistung Kirchensteuern eintreibe, mache es "einen Unterschied, ob die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger diesen Kirchen angehört oder nicht", sagte Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem Schweizer Portal "kath.ch" in einem am Freitag veröffentlichten Interview.

"Wenn es um die historisch gewachsenen Staatsleistungen geht, also um die Kompensation für die Säkularisierung nach den Napoleonischen Kriegen, dann spielt es eine Rolle, in welchem statistischen, aber auch in welchem geistigen Kontext eine solche Diskussion stattfindet", sagte Lammert, von 2005 bis 2017 Präsident des Deutschen Bundestages. Natürlich gehe es "früher oder später auch um den obligatorischen Religionsunterricht an den Schulen", ergänzte der CDU-Politiker. Hintergrund ist, dass inzwischen weniger als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland einer der beiden großen Kirchen angehört und der Mitgliederschwund anhält. Lammert sagte, er erwarte, "dass das Folgen für eine ganze Reihe von Themen hat".

In Deutschland ist die Kirchensteuer eine gesetzlich festgelegte Abgabe der Kirchenmitglieder. Sie wird über das staatliche Finanzamt eingezogen und an die Kirchen weitergegeben. Der Staat erhält dafür etwa drei Prozent des Steuereinkommens. Die katholische Kirche hat 2021 bundesweit insgesamt 6,73 Milliarden Euro aus Kirchensteuern eingenommen, trotz Rekord-Mitgliederverlusts und Corona-Pandemie war das der zweithöchste jemals gemessene Wert (2019: 6,76 Milliarden Euro); die evangelische Kirche nahm rund 6 Milliarden Euro ein. Bei einer repräsentativen Umfrage des Insa-Instituts im Auftrag der "Bild"-Zeitung hatten sich kürzlich 67 Prozent der befragten Bundesbürger für eine Abschaffung der Kirchensteuer ausgesprochen.

Verärgerung über Reform-Blockade der Kirchenleitung

Weiter warf Lammert der katholischen Kirchenführung eine schwer erträgliche Reformunwilligkeit vor. Ihn ärgere "der schiere Übermut, sich einem unvermeidlichen Veränderungsbedarf mit häufig wenig überzeugenden Argumenten in den Weg zu stellen", sagte er. Zudem kritisierte Lammert fehlende Durchsetzungsmöglichkeiten für Reformen. Einerseits könne die Bischofskonferenz keine allgemein verbindlichen Beschlüsse für alle Bistümer treffen, andererseits setzten manche Bischöfe das, was sie selbst als notwendige Veränderungen formulierten, in ihrer eigenen Diözese oft nicht um.

Lammert äußerte auch Vorbehalte gegen die Feststellung von Papst Franziskus, die Kirche sei kein Parlament. "Wenn gemeint ist, dass innerhalb einer Religionsgemeinschaft, die als Kirche verfasst ist, eine breite Partizipation von Kirchenmitgliedern gar nicht möglich sei, würde ich dem widersprechen", sagte er. "Wenn damit gemeint ist, dass die Willensbildung und die Verbindlichkeit von Orientierungen nicht in gleicher Weise von allgemeinen Mehrheitsentscheidungen abhängig gemacht werden kann, die uns für politische Entscheidungen selbstverständlich erscheinen, dann stimme ich dem selbstverständlich zu", führte Lammert aus. (tmg/KNA)

2.9., 13 Uhr: Ergänzt um weitere Aussagen.