Bsirske: EKD bei kirchlichem Arbeitsrecht weniger gesprächsbereit
Der arbeitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Frank Bsirske, sieht bei der evangelischen Kirche größere Widerstände gegen eine Angleichung des kirchlichen Arbeitsrechts an die staatlichen Regeln als bei der katholischen. In einem Interview mit dem "Humanistischen Pressedienst" sagte der ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft "ver.di" am Wochenende, dass man inzwischen sehe, dass man sich auf der katholischen Seite bewegen will. "Auf der evangelischen Seite sehen wir jedoch größere Widerstände. Die EKD hat Verfassungsklage gegen das EuGH-Urteil eingereicht, das bereits die Einforderung besonderer Loyalitätspflichten auf ihre Verhältnismäßigkeit, ihre Sachgerechtigkeit und ihre gerichtliche Überprüfbarkeit hin ausgeurteilt hatte", so Bsirske über den Fall "Egenberger". Dabei geht es um eine Bewerberin, die von der Diakonie aufgrund ihrer Konfessionslosigkeit nicht eingestellt wurde.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in dieser Sache entschieden, dass staatliche Gerichte überprüfen dürfen, ob die Religionszugehörigkeit für eine Position "wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt" ist. Die evangelische Kirche sieht die Entscheidung des höchsten Gerichts der EU nicht als vereinbar mit der staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) an. "Die EKD kommt hier mit der Behauptung, dass der EuGH mit seiner Entscheidung den Kern der deutschen Verfassungsidentität verletzt hat. Das ist in der Tat dreist; denn dadurch wird ein kirchliches Obergrundrecht postuliert, das zumindest aus meiner Sicht jeder verfassungsrechtlichen Substanz entbehrt", kritisiert Bsirske. Die EKD sei dabei, "gewissermaßen das Verständnis des verkündigungsnahen Bereichs grenzenlos auszuweiten". Es sei absurd, dass die Kirche ihren Sendungsauftrag aufgeben würde, wenn sie das kirchliche Arbeitsrecht bei ihren Wohlfahrtsorganisationen aufgebe, so der Grünen-Politiker weiter.
Bsirske bekräftigte, dass es in der Koalition "ganz ernsthaft" den Willen gebe, den Prüfauftrag des Koalitionsvertrags umzusetzen und das kirchliche ans staatliche Arbeitsrecht anzugleichen, "jedenfalls für den Bereich der kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen, und der umfasst ja tatsächlich auch 1,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land". Dazu habe die Grünenfraktion bereits mehrere Fachgespräche mit Arbeitsrechtlern und Vertretern der Kirchen veranstaltet. "Ich gehe davon aus, dass wir im nächsten Jahr daran gehen, die usurpatorischen Ansprüche der Kirchen kritisch zu überprüfen und in dem Sinne auch das staatliche Arbeitsrecht zur Geltung zu bringen", so der Bundestagsabgeordnete weiter. Die Grünen seien entschlossen, Ergebnisse zu erzielen, die Beschlusslage der FDP entspreche dem auch. Die SPD sei "im Prinzip" auch auf dieser Linie. "Vor diesem Hintergrund sollte es uns gelingen, hier ein überholtes Verständnis zum kirchlichen Sonderarbeitsrecht zu überwinden und zu einer Angleichung an das weltliche Arbeitsrecht zu kommen", erklärte Bsirske. SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, gemeinsam mit den Kirchen zu prüfen, "inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann". Bislang gibt es keine konkreten Planungen für die Umsetzung. Die Vorhabenliste des Bundesarbeitsministeriums für 2022, die das Portal "FragDenStaat" Mitte August veröffentlicht hatte, verzeichnet keine entsprechenden Pläne.
Selbstverwaltungsrecht von Weimar her verstehen
Der Spielraum der Politik im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts ist aufgrund des grundgesetzlich abgesicherten Selbstverwaltungsrechts der Kirchen gering. Bsirske plädierte dafür, die aus der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz übernommenen Regelungen, die den Religionsgemeinschaften ermöglichen, im Rahmen der für alle geltenden Gesetze ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu verwalten, aus ihrem Entstehungskontext heraus auszulegen. Evangelische Geistliche seien bis 1919 in Preußen Staatsbeamte gewesen, in Bayern sei das örtliche Kirchenvermögen durch die politischen Gemeinden verwaltet worden. "Mit diesen Zuständen hat die Weimarer Reichsverfassung gebrochen und den Kirchen das Recht gegeben, ihre eigenen Angelegenheiten selbst verwalten zu können", so der Politiker. Eigene Angelegenheiten der Kirchen seien "Fragen der Liturgie, der Priesterwahl, des Gottesverständnisses, der Vermögensverwaltung". Wo die Kirche aber als Arbeitgeber Arbeitsverhältnisse eingehe, handle es sich nicht um eigene Angelegenheiten, sondern gemeinsam von Beschäftigten und Arbeitgebern, die im Rahmen der allgemeinen Gesetze zu regeln seien. "So ist das auch in der Weimarer Zeit gehandhabt worden. Damals gab es Streiks auch bei Kirchen und natürlich unterlagen auch die Kirchen und ihre Wohlfahrtsorganisationen dem Betriebsrätegesetz", betonte Bsirske. Daran gelte es anzuknüpfen.
Anders als die evangelische hat die katholische Kirche in einem prominenten Konflikt um kirchliches Arbeitsrecht auf Rechtsmittel beim BVerfG verzichtet. Das Erzbistum Köln hatte 2019 keine Verfassungsbeschwerde im "Chefarzt"-Fall eingereicht, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesarbeitsgericht (BAG) gegen die Kirche entschieden hatten. Entscheidend dafür war laut einer Pressemitteilung des Erzbistums, dass der Fall eines wegen Wiederheirat gekündigten Chefarztes zu diesem Zeitpunkt aufgrund von Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht nicht mehr vorkommen könne. Mit der Reform der Grundordnung des kirchlichen Dienstes 2015 wurden die Loyalitätspflichten des Arbeitnehmers gegenüber kirchlichen Arbeitgebern reduziert.
Bei der jetzt anstehenden erneuten Reform der Grundordnung sollen die Loyalitätspflichten noch einmal reduziert werden. Am kollektiven Arbeitsrecht, das Streik und Aussperrung ausschließt und die Tariffindung möglichst konsensual entscheidenden, paritätisch mit Dienstnehmer- und Dienstgebervertretern besetzten arbeitsrechtlichen Kommissionen überlässt, sind keine Änderungen geplant. Änderungen im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung sind ebenso nicht geplant. Auch künftig soll die Mitbestimmung im Rahmen einer kirchlichen Mitarbeitervertretungsordnung geregelt sein, die weniger Beteiligungsrechte als das Betriebsverfassungsgesetz beinhaltet. Gewerkschaften und jüngst kirchliche Mitarbeitervertreter äußerten daran deutliche Kritik. (fxn)