"Homosexualität ist keine Panne Gottes"

Bischof Dieser: Dürfen Weiterentwicklung der Lehre nicht verweigern

Veröffentlicht am 07.09.2022 um 04:00 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Aachen ‐ Am Donnerstag beginnt die vierte Vollversammlung des Synodalen Wegs. Beim Reformprozess beschäftigt sich Bischof Helmut Dieser besonders mit den Themen Sexualität und Ehe. Er wünscht sich "ein Wort des Mutmachens" aus dem Vatikan.

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Der Aachener Bischof Helmut Dieser hat sich für eine Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre zu Sexualität und Empfängnisverhütung ausgesprochen. "Wir dürfen die Weiterentwicklung der Lehre nicht einfach verweigern", sagte Dieser in einem Interview mit der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" (Donnerstag). Er würde eine Neueinschätzung des kirchlichen Lehramtes zur Empfängnisverhütung begrüßen, so der Bischof. Wenn die Kirche in Übereinstimmung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) anerkenne, dass Eltern selbst entscheiden könnten, wie viele Kinder sie bekommen wollen, sei die Wahl der Mittel zweitrangig. "Doch darf auch nicht verloren gehen, dass die Sexualität von Mann und Frau von Gott dazu berufen ist, das Leben weiterzugeben." Alle Formen der "Tötung des gezeugten menschlichen Lebens" seien jedoch abzulehnen.

Sein Blick auf Homosexualität habe sich durch Gespräche auf dem Synodalen Weg, durch Begegnungen mit jungen Menschen und die Auseinandersetzung mit Erkenntnissen der Humanwissenschaften stark verändert, sagte Dieser weiter. "Homosexualität ist keine Panne Gottes, sondern gottgewollt im selben Maß wie die Schöpfung selbst." Auch homosexuelle Paare könnten Jesus nachfolgen, indem sie sich einander annehmen und innerhalb ihrer Beziehung treu seien. "Wir reden nicht von Polyamorie, sondern von verbindlichen Paarbeziehungen", stellte der Bischof klar.

Sünde sei ein "fragwürdiger Begriff" mit Blick auf Homosexualität. "Denn Sünde ist ja, was einer tut, obwohl er anders könnte", so Dieser. In seinem Bistum würden Seelsorger nach Befragung ihres Gewissens homosexuelle Paare segnen. Doch dies seien Entscheidungen einzelner Seelsorger und keine generelle Erlaubnis durch Dieser, die er als einzelner Bischof aufgrund der offiziellen Lehre der Kirche zu Homosexualität und Ehe nicht geben könne. Mit dem Papst oder dem Vatikan habe er wegen Segnungen homosexueller Paare bislang keine Probleme bekommen.

"Keine hundertprozentige Binarität"

Er glaube zudem, dass es "keine hundertprozentige Binarität" bei der persönlichen Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht gebe. "Auch wenn es eine weitgehende Binarität gibt, sagen manche Menschen: Ich bin etwas dazwischen. Oder: Ich möchte es offenlassen." Daher setze er sich im Forum "Leben in gelingenden Beziehungen" dafür ein, dass der Synodale Weg die Kategorie "divers" beim Taufbucheintrag beschließe.

Dieser verteidigte den priesterlichen Zölibat als "großen Gewinn", wenn er denn gelinge. Er habe die Sorge, dass die Kirche etwas Wertvolles verliere, wenn die verpflichtende Ehelosigkeit generell freigestellt werde. In seinem Leben nehme er den Zölibat als etwas sehr Positives wahr, so Dieser. In seinem spirituellen Leben, in seiner Beziehung zu Gott habe er "Ekstatisches" erfahren können. "Man muss richtig hingerissen sein von Christus", wolle man den Zölibat leben.

In Bezug auf den Synodalen Weg wünsche er sich "ein Wort des Mutmachens aus Rom", sagte Dieser. Wenn aus dem Vatikan immer nur gemahnt und nicht der Reformstau in der Kirche in Deutschland gesehen werde, sei das ärgerlich. Die Bischöfe müssten ihre Macht mit den Gläubigen teilen, da sie in der Nachfolge der Apostel stünden, die keine einsamen Herrscher gewesen seien. Zudem würde er sich vom Kirchenvolk absetzen lassen, wenn es ihn zu der Einsicht führen würden, dass seine Person und sein Dienst "verbrannt" seien. "Diese Demut erwarte ich von jedem." Im Moment entscheide allein der Papst über Rücktritte von Bischöfen. Dieser sprach sich dafür aus, künftig auch die Gläubigen dabei einzubinden. Helmut Dieser ist seit 2016 Bischof von Aachen. Er gehört der Plenarversammlung des Reformprozesses Synodaler Weg an und ist einer der Leiter des Synodalforums 4, das sich mit den Themen Ehe und Sexualität befasst. (rom)