Interview über das abgelehnte Papier des Sexualmoral-Forums

Kreidler-Kos: Niederlage des Grundtextes hat Synodalem Weg geholfen

Veröffentlicht am 14.09.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Osnabrück ‐ Das Scheitern des Grundtextes für eine erneuerte Sexualmoral hat den Synodalen Weg nachhaltig geprägt. Die Osnabrücker Seelsorgeamtsleiterin Martina Kreidler-Kos hat an dem Text mitgewirkt. Im katholisch.de-Interview spricht sie über ihre Emotionen und darüber, wie es mit dem Text jetzt weitergeht.

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Als Beraterin ist die Osnabrücker Seelsorgeamtsleiterin Martina Kreidler-Kos Teil des Synodalforums zum Thema "Leben in gelingenden Beziehungen". "Viel Arbeitszeit und Energie" hat sie dort nach eigenen Worten in den Grundlagentext "Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik" gesteckt. Bei der vierten Synodalversammlung scheiterte der Entwurf in zweiter Lesung aber an der Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischöfe und ist damit bislang die einzige Textvorlage, die beim Synodalen Weg nicht beschlossen wurde. Im katholisch.de-Interview spricht Kreidler-Kos darüber, wie sie die Abstimmung erlebt hat und warum sie der Ablehnung sogar etwas Positives abgewinnen kann.

Frage: Frau Kreidler-Kos, die Ablehnung des Grundtextes Ihres Forums war einer der prägendsten Momente der vierten Synodalversammlung. Wie haben Sie die Abstimmung und die Entscheidung erlebt?

Kreidler-Kos: Ich war sehr erschrocken und bin danach in eine tiefe Traurigkeit gefallen. Ich kann das ganz offen sagen: Im Saal sind Tränen geflossen – auch bei mir. Es ist eine riesige Anspannung, die man mitbringt, wenn man sich vor Augen führt, was auf dem Spiel steht, wie viel Arbeit man investiert hat und vor allem wie viel Hoffnung ganz vieler Menschen man im Gepäck hat. Dann in der Synodalversammlung zu sitzen und zu erleben, wie der Text zwar breit angenommen, aber doch an der Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischöfe, quasi mit einem Federstrich, scheitert, das war ein ganz bitterer Moment. Neben der Traurigkeit hat sich aber auch eine Widerstandskraft gemeldet: Ich bin nicht bereit, die Hoffnung auf eine lebensnahe Kirche aufzugeben, auch nicht an diesem Abend.

Frage: Hat Sie die Ablehnung des Textes überrascht?

Kreidler-Kos: Ich muss gestehen: Mich hat das überrascht. Ich bin mit viel Optimismus und einer großen Zuversicht gesegnet und so auch in diese Versammlung gegangen. Andere nennen das vielleicht Naivität. Ich würde sagen, ich hatte und habe immer noch ein großes Zutrauen in das bessere Argument und die besseren Argumente stecken in unserem Text. Ich habe auch großes Zutrauen in die Gestaltungskraft und die Lebensnähe der Bischöfe. Da musste ich erkennen, dass ich mich zumindest an diesem Abend verschätzt hatte.

„Die queeren Mitglieder haben meines Erachtens eine Entscheidung getroffen, vor der man sich nur verneigen kann: Sie haben beschlossen, wiederzukommen und im Diskurs zu bleiben.“

—  Zitat: Martina Kreidler-Kos

Frage: Der Text ist von einem Großteil der Synodalversammlung bejaht worden und an der Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischöfe gescheitert. Trägt die Bischofskonferenz aus Ihrer Sicht die Schuld an diesem Ergebnis? Im Vorfeld hatte man auf Probeabstimmungen verzichtet und nach dieser Abstimmung gab es vertrauliche Gespräche und danach sind im weiteren Verlauf alle Texte beschlossen worden …

Kreidler-Kos: Ich hätte mir tatsächlich im Vorfeld der Synodalversammlung gewünscht, dass sich noch mehr derjenigen melden, die nicht mit dem Text oder mit einzelnen Passagen einverstanden waren. Man hatte viel Zeit, Bedenken zu artikulieren und zu sagen: Bis hierhin kann ich mitgehen. Um dem ganzen Elend allerdings etwas abzugewinnen: Ich bin überzeugt dass die Niederlage unseres Grundtextes dem Synodalen Weg zum Durchbruch verholfen hat. Wir sind alle durch eine dunkle Nacht gegangen, aber am Freitagvormittag gab es schon mehr Redezeit, mehr Redebereitschaft. Die Erkenntnis ist durchgedrungen: Wir schaffen das hier nur gemeinsam. Und: Wenn nicht, dann verlieren hier alle und vor allem die Kirche.

Frage: Man hat sich also zusammengerauft …

Kreidler-Kos: Ganz genau! Es ist auch eine Leistung des Synodalforums IV gewesen ist, diesen Moment auszuhalten. Viele der Forumsmitglieder und vor allem der queeren Mitarbeitenden haben nach der Abstimmung den Saal verlassen – nicht aus bloßem Protest, sondern weil so viel Herzblut, so viel eigene Existenz mit in diesem Text steckt und sie die Zurückweisung dieses Anerkennungskampfes nicht aushalten konnten. Wir mussten da auch als Forum zusammenbleiben und das sind wir. Die queeren Mitglieder haben meines Erachtens eine Entscheidung getroffen, vor der man sich nur verneigen kann: Sie haben beschlossen, wiederzukommen und im Diskurs zu bleiben. Ich hoffe, dass die Bischöfe auch sehen, dass das eine ganz große Bereitschaft zur Vermittlung gewesen ist, die wir da aufgebracht haben.

Frage: Was war aus Ihrer Sicht denn der inhaltliche Grund dafür, dass der Text gerade von den Bischöfen nicht verabschiedet werden konnte? Was war der Knackpunkt?

Kreidler-Kos: Da kann ich nur spekulieren und aus Nebengesprächen erahnen, dass es um das kontroverse Thema der Binarität des Menschen ging. Im Text arbeiten wir mit dem Begriff der Bipolarität der Geschlechter, dass es zwischen den beiden Polen männlich und weiblich einen Raum gibt, in dem vieles möglich ist. Dieses Thema ist relativ neu und auch gesellschaftlich noch nicht ausdiskutiert. Ich glaube, dass es dort noch so viel Klärungsbedarf gibt, dass eine Zustimmung für manche Bischöfe unmöglich war. Wir haben im Vorfeld versucht, breit in die Diskussion zu gehen, haben Hearings zu dem Thema geschlechtliche Vielfalt für alle Synodalen und auch speziell für die Bischöfe angeboten und ich glaube, weil das Thema gesellschaftlich so relevant ist, täten auch die Bischöfe gut daran, es nicht zu ignorieren, sondern sich damit auseinanderzusetzen. Selbst wenn sie ihm kritisch gegenüberstehen.

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Frage: Wäre es nicht möglich oder vielleicht sogar sinnvoll gewesen, das Thema Bipolarität der Geschlechter aus dem Text herauszulassen und so einen Text zu verfassen, der möglichst auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischöfe erreicht? Viele Bischöfe haben in der Aussprache angedeutet, dass es viele Punkte gibt, bei denen sie zustimmen könnten.

Kreidler-Kos: Es wäre aus meiner Sicht die Aufgabe der Bischöfe gewesen, das vorher anzuzeigen, wenn es wirklich an diesem Inhalt scheitert. Das ist tatsächlich ein Versäumnis. Wir können sonst nur erraten, was möglicherweise problematisch ist, aber wir können diese Stellen nicht vorauseilend herausnehmen. Wir können das nach bestem Wissen und Gewissen diskutieren und das haben wir im Grundtext getan. Ich denke aber, dass diese Botschaft angekommen ist und keine und keiner mehr unvorbereitet in die nächste Synodalversammlung gehen wird. Das ist eine gute Frucht des Ganzen.

Frage: Wie geht es denn jetzt mit dem Text weiter? Bischof Georg Bätzing hat bereits angedeutet, dass man den Text trotzdem zum Ad-limina-Besuch beim Papst mitnehmen  möchte, dass er in die kontinentale Phase des weltweiten synodalen Prozesses eingebracht werden soll und auch auf der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz diskutiert werden soll. Da ist offenbar also doch vieles im Gang.

Kreidler-Kos: Eine Ablehnung kann ja auch zu einer gewissen Berühmtheit verhelfen, also vielleicht hat der ganze Eklat dem Text auf diese Weise gutgetan, dass viele Menschen jetzt neugierig sind, was im Text steht. Und ich bin Bischof Bätzing sehr dankbar, dass er nicht einfach nur den Text, sondern auch das Thema nicht verloren gibt und dass es weiter geht auf dem Weg zu einem positiven Blick auf Sexualität, den wir so dringend brauchen. Bischof Bätzing hat auch betont, dass er die Pastoral seines Bistums an der Haltung dieses Textes ausrichten möchte. Das erhoffe ich mir auch für mein Bistum Osnabrück. Ich werde mich dafür einsetzen, dass der Text seine Wirkung auf ortskirchlicher Ebene entfaltet und höre hier auch ermutigende Signale meines Bischofs. Und wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann, dass die Bischöfe den Text bei ihrer Vollversammlung noch einmal gemeinsam lesen, identifizieren, wo die Knackpunkte sind und wir dann darüber im Gespräch bleiben. Wir können den Text jetzt nicht noch mal neu formulieren und in die Vollversammlung einbringen, das ist klar. Aber wir können uns darüber austauschen, womit sie sich noch so schwertun.

Frage: Ist es am Ende also sogar verschmerzbar, dass der Grundtext nicht beschlossen wurde? Er entfaltet seine Wirkung trotzdem und vielleicht haben gerade dadurch andere Texte und die Diskussion nochmal eine andere Priorität bekommen ...

Kreidler-Kos: Ja, genauso würde ich das sehen. Insofern bleibt es zwar bitter und tut weh und zugleich zeigt sich an den Früchten, dass es etwas bewirkt hat. Und dass es gut und wichtig war, dass wir als Forum nicht in den Widerstand gegangen sind. Ich bin mir sicher, dass die positiven Beschlüsse am Freitag und Samstag auch mit den Beratungen der Bischöfe nur deshalb so möglich waren, weil unser Grundtext am Donnerstagabend nicht beschlossen wurde. Insofern bin ich schon schweren Herzens aus Frankfurt weggefahren, habe zugleich aber viel Zutrauen gefasst, dass die Debatte jetzt ernsthafter, zielgerichteter und vor allem gemeinsamer geführt werden wird. Und das kann allen verbleibenden Texten nur dienlich sein.

Von Christoph Brüwer