Kollig: Zu früheren Zeiten wurden Kirchen überhaupt nicht geheizt …
Die Energiekrise beschäftigt auch die katholische Kirche in Deutschland und sorgt wohl in allen Bistümern derzeit für hektische Betriebsamkeit. Was kann und was muss mit Blick auf den Herbst und Winter jetzt (noch) getan werden? Im Interview mit katholisch.de spricht der Berliner Generalvikar Manfred Kollig über die Vorbereitungen des Erzbistums auf die Heizperiode, den Energieverbrauch der Pfarrgemeinden und die daraus folgenden finanziellen Herausforderungen sowie über die Frage, ob das Angebot an Gottesdiensten im Winter eingeschränkt werden muss. Außerdem äußert sich der Geistliche zu den Sorgen vor einem "heißen Herbst", den umstrittenen Energiespartipps mancher Politiker, der Debatte um den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke und konkreten Hilfsangebote für Menschen, die besonders hart von der Energiekrise betroffen sind.
Frage: Generalvikar Kollig, welche Vorbereitungen trifft das Erzbistum vor dem Hintergrund der Energiekrise derzeit mit Blick auf den Herbst und Winter?
Kollig: Im Prinzip tun wir das, was wir auch schon vor der Energiekrise getan haben: Wir gucken, wie wir möglichst sparsam mit den natürlichen Ressourcen umgehen können, die wir jeden Tag nutzen – also konkret mit Gas, Strom und Wasser. Durch die Energiekrise haben unsere Bemühungen in diesem Bereich natürlich noch einmal an Bedeutung gewonnen; es gibt jetzt einen konkreten Anlass, auf den wir reagieren müssen. Leitend sind für uns zunächst die aktuellen gesetzlichen Vorgaben, etwa zum Heizen von Gebäuden. Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit anderen Bistümern und der Bischofskonferenz Empfehlungen zum Heizen von Kirchengebäuden zusammengestellt. Darüber haben wir bereits unsere Verwaltung, die Pfarreien und weitere kirchlichen Einrichtungen im Erzbistum informiert.
Frage: Was für Empfehlungen sind das? Können Sie ein Beispiel nennen?
Kollig: Wenn sie eine Kirche auf herkömmliche Weise heizen – also zum Beispiel mit einer Heißluft- oder einer Fußbodenheizung –, müssen sie sehr viel Energie aufwenden, um überhaupt einen Wärmeeffekt zu erzielen. Denn bei dieser Art des Heizens geht viel Energie sinnlos verloren, weil die warme Luft nach oben steigt und unter dem Kirchendach quasi ungenutzt "verpufft". Wenn sie stattdessen eine Sitzkissenheizung nutzen, dann heizen sie sehr zielgerichtet nur die anwesenden Personen. Auf diese Weise können die ökologischen und ökonomischen Kosten des Heizens erheblich reduziert werden.
Frage: Allerdings dürften bislang die wenigsten Kirchen über solche Sitzkissenheizungen verfügen – und eine Umrüstung oder eine Neuanschaffung in diesem Bereich ist in der Regel mit hohen Kosten verbunden.
Kollig: Die Kosten amortisieren sich schon unter normalen Umständen in zwei bis drei Jahren; bei den aktuell hohen Energiepreisen sogar noch wesentlich schneller. Manche unserer Pfarreien mussten schon vor der aktuellen Krise Energiekosten von 100.000 Euro im Jahr stemmen. Wenn man sieht, wie massiv die Preise für Gas und Strom zuletzt gestiegen sind, kann man sich ungefähr vorstellen, was auf die Pfarreien an zusätzlichen Kosten zukommen wird. In vielen Fällen dürfte sich eine Umrüstung oder Neuanschaffung deshalb ganz sicher lohnen.
„Wenn Pfarreien aufgrund der gestiegenen Energiekosten in finanzielle Schwierigkeiten geraten sollten, können sie damit rechnen, dass das Erzbistum sie unterstützen wird.“
Frage: Gibt es im Erzbistum auch Überlegungen, das Angebot an Gottesdiensten in der bevorstehenden Heizperiode räumlich und zeitlich einzuschränken, um so die Zahl der zu heizenden Kirchengebäude zu reduzieren?
Kollig: Solche Überlegungen gibt es nicht, und wir empfehlen das auch nicht. In den ländlichen Gebieten unseres Erzbistums – in Vorpommern und Brandenburg – wäre die ökologische und ökonomische Bilanz einer solchen Reduzierung des Gottesdienstangebots negativ. Die Gläubigen müssten dann weitere Wege zurücklegen – und das angesichts des schlecht ausgebauten öffentlichen Nahverkehrs überwiegend mit dem eigenen Auto. Mit Blick auf das Klima und den Geldbeutel der Gläubigen – denken Sie nur an die hohen Benzinpreise – wäre dadurch nichts gewonnen. Hinzu kommt: Nach Ansicht der Experten müssen wir davon ausgehen, dass die Zahl der Corona-Erkrankungen im Herbst und Winter wieder deutlich zunehmen wird. Auch vor diesem Hintergrund wäre es fahrlässig, die Zahl der Gottesdienste zu reduzieren und damit größere Mengen von Gläubigen in einer Kirche zusammenzubringen.
Frage: Wäre die flächendeckende Rückkehr zu Online-Gottesdiensten eine Option? Immerhin könnte man dadurch viele Kirchen aus der Beheizung nehmen und zugleich der Corona-Ansteckungsgefahr vorbeugen.
Kollig: Nein, das ist für uns keine Option. Es gibt in der Bevölkerung insgesamt und auch unter unseren Gläubigen nach zwei Corona-Jahren mit zum Teil erheblichen Einschränkungen ein großes Bedürfnis nach Nähe. Die Menschen wollen sich treffen und Gemeinschaft erleben – auch in der Kirche. Präsenzgottesdienste erneut einzuschränken oder gar ganz darauf zu verzichten und stattdessen wieder vorrangig auf digitale Gottesdienste zu setzen, hielte ich deshalb für falsch.
Frage: Sie haben die leitenden Pfarrer Ihres Erzbistums bereits im Juni dazu aufgerufen, jeglichen Energieverbrauch auf den Prüfstand zu stellen. "Welches Gebäude muss auf welche Temperatur geheizt werden, wo kann weniger oder auch gar nicht geheizt werden?", wurden Sie damals dazu in den Medien zitiert. Haben Sie zu Ihrem Aufruf Rückmeldungen aus den Pfarreien erhalten?
Kollig: Nein, konkrete Rückmeldungen haben wir nicht erhalten, aber die Pfarreien sind in dieser Hinsicht ja auch weitgehend für sich selbst verantwortlich. Mir ist es wichtig in Erinnerung zu rufen, dass zu früheren Zeiten Kirchen in der Regel überhaupt nicht geheizt und trotzdem ganzjährig für den Gottesdienst genutzt wurden. Insofern halte ich es für folgerichtig, darüber nachzudenken, ob man Kirchen überhaupt beheizen muss. Die Menschen kommen im Winter ohnehin mit dicken Jacken und Mänteln zum Gottesdienst ...
Frage: Das heißt aber auch, das Erzbistum überprüft nicht, ob und wie die Pfarreien mit Blick auf die Energiekrise aktiv werden?
Kollig: Wenn Pfarreien aufgrund der gestiegenen Energiekosten in finanzielle Schwierigkeiten geraten sollten, können sie damit rechnen, dass das Erzbistum sie unterstützen wird. Wir haben sie aber bereits unmissverständlich darüber informiert, dass sie für eine Unterstützung nachweisen müssen, dass sie Energiesparmaßnahmen einhalten und verantwortlich mit Gas und Strom umgehen. Pfarreien, die keine entsprechenden Sparmaßnahmen umsetzen, werden wir nicht unterstützen.
Frage: Wenn eine größere Anzahl an Pfarreien finanzielle Unterstützung bräuchte, würde das das Erzbistum aber doch schnell überfordern, oder?
Kollig: Natürlich sind auch unsere Mittel begrenzt. Es würde uns überfordern, wenn Pfarreien, die schon im vergangenen Winter Energiekosten von 100.000 Euro im Jahr hatten, sich zum kommenden Winter hilfesuchend mit Kosten in Höhe von 300.000 oder gar 400.000 Euro für Energie an uns wenden. Umso dringender ist der Appell an die Pfarreien, alle Anstrengungen und Überlegungen zu unternehmen, um so viel Energie wie möglich einzusparen.
Frage: Die Energiekrise betrifft nicht nur die Kirchen, sondern vor allem auch die Menschen, die finanziell ohnehin schon schwer gebeutelt sind. Gibt es beim Erzbistum Überlegungen, kirchliche Gebäude im Winter zum Beispiel als "Wärmestuben" für Betroffene zur Verfügung zu stellen?
Kollig: Ich schlage ganz konkret vor, in Pfarreiräumen oder Schulhorten die Küchen zur Verfügung zu stellen und einzuladen, gemeinsam für und mit den Menschen zu kochen und zu essen, die finanziell besonders stark unter den hohen Energiekosten leiden. Das hat ökonomische Vorteile – nicht jeder müsste dann zu Hause seinen eigenen Herd anstellen und damit Energie verbrauchen –, aber es hat auch einen sozialen Effekt, indem dadurch Räume der Begegnung geschaffen werden. Damit kann man im Prinzip sofort anfangen. Als Kirche in der Diaspora ist unser Netz zwar nicht ganz so engmaschig, aber das ist ein einfacher Beitrag, an einem "Netzwerk der Wärme" mitzuwirken, wie es Sozialsenatorin Katja Kipping für Berlin vorschlägt.
Frage: Eine Senkung der Strompreise wird mindestens kurzfristig nur mit klimaschädlichen Energieträgern wie der Kohle möglich sein – mit den entsprechenden ökologischen Folgen. Was sollte aus kirchlicher Sicht in der aktuellen Lage Priorität haben: Bezahlbare Energie oder entschlossener Klimaschutz? Beides zusammen scheint derzeit ja nicht zu gehen ...
Kollig: Wir stehen als Menschen immer wieder vor der Herausforderung, abwägen zu müssen. Was den Bereich Energie angeht, hängt das natürlich auch mit den Versäumnissen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zusammen, die wir jetzt nicht kurzfristig beheben können. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass insbesondere die Politik alle Optionen transparent auf den Tisch legt und die jeweiligen Vor- und Nachteile klar benennt. Wie wichtig ist Kohle für die Stromerzeugung tatsächlich? Wie sehr wirft sie uns ökologisch in den kommenden Jahren zurück? Oder als Frage an uns selbst: Sind wir bereit, unsere Häuser und Wohnungen weniger zu heizen, um den CO2-Ausstoß zu minimieren? Und was ist mit den Atomkraftwerken? Wie stehen wir als Bevölkerung zu dieser Technologie? Welche tatsächlichen Vorteile sind damit für das persönliche Leben und die Wirtschaft verbunden? Welche Risiken und Nachteile ergeben sich? Das sind Fragen, die mit großer Ernsthaftigkeit beantwortet werden sollten, bevor Entscheidungen getroffen werden.
Frage: Sie haben die Atomkraftwerke angesprochen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat vor Kurzem entschieden, die drei verblieben Atomkraftwerke wie geplant Ende des Jahres abzuschalten, zwei davon aber noch mehrere Monate einsatzbereit zu halten. Dieser Beschluss hat eine kontroverse Debatte ausgelöst. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Kollig: Ich weiß zu wenig über Atomkraftwerke und ihre tatsächliche Bedeutung für die Stromerzeugung in Deutschland, als dass ich mich sinnvoll an dieser Debatte beteiligen könnte. Ich nehme aber natürlich wahr, dass die Frage der Abschaltung oder des Weiterbetriebs der Atomkraftwerke hochemotional diskutiert wird. Umso wichtiger ist es meiner Ansicht nach, dass Politik und Medien sachlich und vorurteilsfrei über dieses Thema berichten und informieren. Nur dann haben die Menschen die Chance, sich eine gut begründete Meinung zu bilden und das Für und Wider in dieser kontroversen Frage abzuwägen.
„Es stirbt niemand, wenn das Wohnzimmer im Winter statt 22 Grad nur 19 Grad warm ist.“
Frage: Kontrovers diskutiert wurden in den vergangenen Wochen auch die Energiespartipps einiger Politiker. Unter anderem empfahl der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, weniger zu duschen und stattdessen nur einen Waschlappen zu benutzen. Was halten Sie von solchen Äußerungen? Kann das in der aktuellen Lage hilfreich sein oder verhöhnt es die Sorgen der Menschen vor den steigenden Energiepreisen?
Kollig: Grundsätzlich unterstelle ich jedem Politiker, der jetzt Ratschläge zum Energiesparen gibt, gute Absichten. Ich finde es aber problematisch, dass diese Ratschläge fast immer direkt auf die Komfortzone der Menschen zielen. Denn so etwas führt zu emotionalen Abwehrreaktionen, weil die meisten Menschen eben nicht auf Komfort verzichten wollen. Hilfreicher wäre es aus meiner Sicht deshalb, wenn man erstmal auf die Bereiche hinweisen würde, in denen Energie eingespart werden könnte, ohne dass es mit einem Komfortverlust verbunden wäre. Nehmen Sie etwa das Zähneputzen: Viele Menschen lassen dabei das Wasser die ganze Zeit laufen. Das sind bei zwei Minuten locker zwanzig bis vierzig Liter Wasser, die völlig sinnlos verschwendet werden. Zudem wird für das fließende Wasser und das Erwärmen Energie überflüssig verbraucht. Hier und in vielen ähnlichen Situationen könnte man ohne jeglichen Komfortverlust Energie und wertvolle Ressourcen sparen.
Frage: Ich gehe nach dieser Antwort davon aus, dass Sie das Wasser beim Zähneputzen nicht laufen lassen. Wie sieht es darüber hinaus bei Ihnen aus: Hat sich Ihr Alltag durch die Energiekrise verändert? Versuchen Sie aktiv, Energie zu sparen?
Kollig: Ja, zum Beispiel beim Backen und Kochen. Darüber habe ich mir vorher, ehrlich gesagt, nie Gedanken gemacht. Aber wenn ich jetzt Brot backe oder etwas auf dem Herd koche, überlege ich vorher, ob und wie ich die Restwärme nutzen kann. Auch beim Wäsche waschen gucke ich jetzt genauer hin: Muss die Maschine wirklich schon laufen oder warte ich, bis sie voll ist? Muss ich den Trockner benutzen oder kann ich die Wäsche anders trocknen? In Sachen Mobilität kann ich – glaube ich – nicht besser werden: Schon seit Langem nutze ich zu 95 Prozent den öffentlichen Nah- und Fernverkehr – sowohl privat als auch für dienstlich veranlasste Reisen.
Frage: Manche Medien und Politiker haben zuletzt vor einem "heißen Herbst" und einem "Winter der Wut" gewarnt. Befürchtet wird, dass linke und rechte Extremisten sowie sogenannte "Querdenker" die Sorgen der Menschen im Zuge der Energiekrise für ganz andere Zwecke missbrauchen könnten. Wie sehen Sie das? Ist Protest gegen die hohen Energiepreise Ihrer Ansicht nach legitim?
Kollig: Natürlich ist Protest legitim. Mir stellt sich in diesem Kontext aber die Frage nach dessen Sinnhaftigkeit. Was will man erreichen, wenn man gegen hohe Energiepreise auf die Straße geht? Die Politik kann nicht auf Knopfdruck die Preise senken. Die Ursachen der jetzigen Energiekrise zu beheben, wird vermutlich viele Jahre dauern und nicht ohne Wohlstandsverluste möglich sein. Trotzdem plädiere für mehr Gelassenheit. Natürlich machen sich jetzt viele Menschen Sorgen um ihre Existenz, und natürlich muss gerade ärmeren Menschen auch finanziell unter die Arme gegriffen werden. Aber es stirbt niemand, wenn das Wohnzimmer im Winter statt 22 Grad nur 19 Grad warm ist. Die aktuelle Krise ist nicht lebensbedrohlich, und gerade Politik und Medien sollten beim Umgang mit der Krise immer die Verhältnismäßigkeit wahren. Wer Panik verbreitet und Horrorszenarien an die Wand malt, spielt nur das Spiel radikaler Gruppierungen, die wie schon bei den Flüchtlingen und bei Corona sicher auch jetzt versuchen werden, ihr demokratiefeindliches Süppchen zu kochen. Als Gesellschaft und auch als Christen müssen wir uns solchen Versuchen konsequent entgegenstellen.