Der Filioque-Zusatz: Ein Wort, das zum Schisma führte
Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel wird in der römisch-katholischen Kirche meist als Großes Glaubensbekenntnis bezeichnet. Es verbindet bis heute alle Kirchen, die die ersten beiden ökumenischen Konzile von Nizäa und Konstantinopel anerkennen. Und doch gibt es eine entscheidende Ausnahme, die viele westliche und orthodoxe Kirchen trennt: den Filioque-Zusatz. Michael Böhnke ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Wuppertal. Im katholisch.de-Interview erklärt er, wie aus dem Zusatz zum Glaubensbekenntnis eine theologische Kontroverse wurde
Frage: Herr Böhnke, worum geht es denn beim Filioque-Zusatz genau?
Böhnke: Es geht dabei um einen Zusatz zum Großen Glaubensbekenntnis, das durch die Konzile von Nizäa (325) und Konstantinopel (381) formuliert worden ist. Dieser Zusatz wurde in den Artikel über den Heiligen Geist eingefügt und besagt, dass der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn ausgeht. Wörtlich heißt es dort mit dem Filioque-Zusatz: "Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht."
Frage: Was war der Grund für die Zufügung?
Böhnke: Im heutigen Spanien ist im 6. bis 8. Jahrhundert eine Lehre aufgetaucht, die gar nicht den Heiligen Geist selbst, sondern den Sohn betrifft. Dort wurde die These vertreten, dass Christus zwar im Hinblick auf seine Gottheit wahrer Sohn – lateinisch: filius proprius – ist, im Hinblick auf seine Menschheit jedoch lediglich angenommen – filius adoptivus – wurde, also von Gott adoptiert. Gegen diese adoptianistische Lehre wollte man die wahre Gottheit von Jesus Christus betonen und hat entsprechend eingefügt, dass der Geist vom Vater und vom Sohn ausgegangen ist.
Frage: Was bedeutet das theologisch?
Böhnke: Theologisch ist daraus in mehreren Schritten eine Kontroverse geworden. Nachdem durch die Synode von Toledo das Filioque in das Glaubensbekenntnis aufgenommen worden ist, findet sich die Bezeugung dieses Wortes auch in der fränkischen Liturgie. Das sorgte zu Beginn des 9. Jahrhunderts jedoch für eine handgreifliche Kontroverse zwischen fränkischen und griechischen Mönchen in Jerusalem. Auf dem Konzil von Aachen wurde 809 diese Kontroverse schließlich behandelt. Karl der Große hatte die Synode eigens dafür einberufen und wollte bezwecken, dass dieses Filioque auch in Rom ins Glaubensbekenntnis aufgenommen wird. Papst Leo III. lehnte das jedoch mit der Begründung ab, dass nicht jede Glaubenswahrheit gleich Eingang ins Glaubensbekenntnis finden müsse. Erst durch Benedikt VIII. wurde das Filioque 1014 tatsächlich auch in der römischen Liturgie ins Glaubensbekenntnis eingefügt.
Frage: Wie wurde das aufgenommen?
Böhnke: Im Oströmischen Reich gab es eine Gegenbewegung. Die griechisch-sprechende Orthodoxie hat dieses Filioque strikt abgelehnt, um die Monarchie des Vaters nicht zu gefährden. Schon im 9. Jahrhundert betonte der Patriarch von Konstantinopel, Photios I., explizit, dass der Geist vom Vater allein ausgeht. Daher hielt man sich im Oströmischen Reich an den ursprünglichen Wortlaut des Glaubensbekenntnisses, dass der Geist vom Vater ausgeht, radikalisierte allerdings dessen Interpretation. Somit stehen sich zwei unterschiedliche theologische Traditionen gegenüber: Die Tradition des lateinischen Westens beruft sich eher auf Augustinus und auf die Bedeutung des Wesens Gottes. Gerade im Wesen ist ja der Sohn dem Vater gleich. Währenddessen geht die östliche Trinitätslehre mehr von der Monarchie des Vaters aus und denkt von der Person des Vaters her. Im Hintergrund der Kontroverse steht Joh 15,26. Dort heißt es: "Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen."
Frage: Was hat es mit dieser Bibelstelle auf sich?
Böhnke: Beide Seiten haben sich auf diese Stelle berufen. Meiner Ansicht nach wird darin eindeutig, dass der Geist dem Zeugnis des Johannes zufolge durch den Sohn gesandt wird. Sicher wollten die Filioquisten, dass dieses "durch" nicht nur heilsökonomisch verstanden werden darf, sondern dass der Geist auch vor der Menschwerdung des Sohnes aus dem präexistenten, ewigen Sohn hervorgeht. Als Gegenreaktion hat Photios mit der Interpretation "allein" sowohl das "aus dem Sohn" als auch das "durch den Sohn" abgelehnt. Bis heute hat man sich nicht auf eine theologische Interpretation "per filium" einigen können.
Frage: Das klingt schon so, als ob da auch politische Interessen eine Rolle spielen …
Böhnke: Die Problemlage ist in der Tat politisch aufgeladen und spätestens seit dem 13. Jahrhundert ist das Filioque zum Symbol für die Spaltung zwischen den orthodoxen Kirchen und den lateinisch sprechenden Kirchen des Westens geworden. Der Beginn dafür liegt aber schon im 9. Jahrhundert. Karl der Große hat sich durchaus in der Nachfolge der Cäsaren als Kaiser und Schutzherr der Kirche von Rom verstanden und damit einen klaren Gegenpol zum Oströmischen Reich und Konstantinopel gesetzt. Das wird dann eben auch über diese theologischen Differenzen ausgetragen.
Das Große oder Nizäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis
Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt. / Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. / Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. / Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden. / ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift / und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters / und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein. / Ich glaube an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten, / und die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. / Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. / Ich erwarte die Auferstehung der Toten / und das Leben der kommenden Welt. / Amen.
Frage: Warum hat dieser Filioque-Zusatz denn bis heute so eine hohe ökumenische Relevanz? Strenggenommen geht es ja um ein einziges lateinisches Wort …
Böhnke: Es geht schon um das Bekenntnis des gleichen Glaubens. Und das Bekenntnis des gleichen Glaubens gilt als Voraussetzung für Kirchengemeinschaft und auch für Eucharistiegemeinschaft. Auch wenn sich die theologischen Trinitätsmodelle aus Ost und West im ökumenischen Diskurs heute annähern und von Kardinal Kasper durchaus als komplementär angesehen werden, gibt es Unterschiede, die eben nicht nur auf dieses eine Wort beschränkt bleiben, sondern die durchaus auch ekklesiologische Auswirkungen haben.
Frage: Welche ekklesiologischen Auswirkungen sind das?
Böhnke: Zum Beispiel wird bis ins 20. Jahrhundert hinein der römisch-katholischen Kirche seitens der Orthodoxie eine gewisse Geistvergessenheit vorgeworfen. Denn wenn der Geist vom Vater und vom Sohn ausgeht, dann interpretiert die orthodoxe Kirche das so, dass der Geist dem Sohn auch untergeordnet sein muss. Tatsächlich war der Heilige Geist fast 500 Jahre lang kein Thema in lehramtlichen Dokumenten der römisch-katholischen Kirche. Deren Ekklesiologie ist christozentrisch geprägt.
Man sollte aber auch darauf hinweisen, dass sich der Filioque-Zusatz nur in der lateinischen Fassung des Glaubensbekenntnisses befindet. In die griechische Fassung des Glaubensbekenntnisses hat er nie Eingang gefunden. Es gibt daher durchaus Stimmen in der römisch-katholischen Kirche, die dafür plädieren, diesen Zusatz auch in der lateinischen Fassung einfach zu streichen. Das geht allerdings nicht ohne eine theologisch zureichende Begründung und diese müsste schon so aussehen, dass man sich auch über eine neue, offenbarungstheologische Grundlage für die Trinitätslehre verständigt.
Frage: Wie groß ist aus Ihrer Sicht denn die Chance, dass es hier in Zukunft Annäherungen der Konfessionen geben könnte?
Böhnke: Die Chance ist sicherlich gegeben. Es wird meines Erachtens aber nicht ohne eine Erneuerung der Trinitätslehre in Ost und in West gehen, denn man kann nicht auf dem Stand der patristischen, frühmittelalterlichen und mittelalterlichen Trinitätslehre stehen bleiben, in der ausschließlich die Ursprungsbeziehungen im Fokus stehen. Wenn wir heute offenbarungstheologisch denken und die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus und im Geist zum Ausgangspunkt nehmen, dann kann man nicht nur auf die Ursprungsbeziehungen abheben, sondern muss auch die trinitarischen Lebensbeziehungen einbeziehen, dass der Geist auch der Geist des Sohnes ist und dass der Sohn auch Träger des Geistes ist. Dabei wird die ganze Vielfalt der biblischen Zeugnisse Berücksichtigung finden müssen.