Standpunkt

Missbrauch im Sport taugt nicht zur Entlastung der Kirchen

Veröffentlicht am 29.09.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Eine neue Studie zu sexualisierter Gewalt im Sport könnte denen zupass kommen, die die Kirche ohnehin zu Unrecht am Pranger sehen, kommentiert Joachim Frank. Doch zur Relativierung des Missbrauchsskandals in den Kirchen tauge die Untersuchung nicht.

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Na bitte, die doch auch. Man kann sie förmlich sehen, die moralischen Zeigefinger, die sich jetzt auf die Sportvereine, die Verbände und ihre Repräsentanten richten. Eine Studie im Auftrag der "Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs" legt dar, wie auch dort sexualisierte Gewalt negiert, bagatellisiert und verschleiert wurde und wird.

Sportfunktionäre sind um keinen Deut besser als Bischöfe oder Generalvikare. Diese Botschaft könnte denen zupass kommen, die die Kirchen immer schon zu Unrecht am Pranger gesehen haben. Der katholische Ablenkungsreflex im Missbrauchsskandal greift zuverlässig, seit Kardinal Karl Lehmann nach Missbrauchsberichten aus den USA Anfang des Jahrtausends vom "Schuh der Amerikaner" sprach, den die Kirche in Deutschland sich – weil unpassend – nicht anziehen müsse. Noch 2010 machte der damalige Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller antikirchliche Hetze in Goebbels-Manier als Grund allen Übels aus, und für den früheren Papst Benedikt XVI. und andere sind – kurz gesagt – eh die 68er schuld.

Richtig ist, dass der öffentliche Fokus lange nicht so sehr auf dem Sport lag wie auf den Kirchen. Die Studie deutet an, woran das unter anderem lag: Ins durchweg positiv gezeichnete, romantisierende Bild vom Vereinssport passen die hässlichen Farben des Missbrauchs nicht. Sexualisierte Gewalt mag ein Problem sein, aber doch nicht hier – "bei uns". Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, sieht in dem "Nicht bei uns"-Narrativ bis heute ein entscheidendes Hindernis für umfassende, schonungslose Aufarbeitung.

Bei genauerer Lektüre taugt die neue Studie allerdings überhaupt nicht zur Relativierung des Missbrauchsskandals in der Kirche. Schauen deren Akteure in die 170 Seiten, tritt ihnen wie in einem Vergrößerungsspiegel das eigene System jahrzehntelanger Vertuschung mit dem gnadenlosen Vorrang des Institutionen- und Täterschutzes noch einmal auf je widerwärtigere Weise entgegen. Dafür muss man nur die Kontexte und ein paar Begriffe tauschen.

Dass das Machtsystem Kirche auch nicht anders funktioniert (hat) als das Machtsystem Sport, das ist mitnichten eine entlastende Erkenntnis angesichts des Anspruchs, den die Kirche an sich selbst hat. Umso unverständlicher, dass alles Bemühen des "Synodalen Wegs" zu einer besseren Einhegung, Kontrolle und Legitimation klerikaler Macht von interessierter Seite immer noch als sachfremd heruntergeredet wird. Das Gegenteil ist richtig. Keine fromme Übung, kein Konzept zur "Evangelisierung" wird dem Missbrauch wehren, wenn bei den toxischen Strukturen von Macht, Abhängigkeiten, klerikaler Überhöhung und Selbstabschottung alles beim Alten bleibt. 

Von Joachim Frank

Der Autor

Joachim Frank ist "DuMont"-Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion des "Kölner Stadt-Anzeiger". Außerdem ist er Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.